Kiew. Vor dem Krieg bastelten sie Rennautos, nun haben junge Ukrainer einen Wagen für die Armee konstruiert – und der sucht seinesgleichen.
Bevor in der Ukraine der Krieg losbrach, entwarf Artem Juschtschuk kleine Rennwagen. Gemeinsam mit anderen Studenten am Kiewer Polytechnischen Institut (KPI), der besten technischen Universität des Landes, projektierte, baute und testete er Fahrzeuge, die jahrelang bei dem internationalen Ingenieurswettbewerb Formula Student teilnahmen. Auch in diesem Jahr findet der Contest in Deutschland statt – auf dem legendären Hockenheim-Ring. Doch dieses Mal fehlt ein ukrainisches Team.
Der Grund ist simpel: Die russische Invasion hat das Leben der Studenten grundlegend verändert. Auch Juschtschuk beschäftigt sich nicht mehr mit Rennwagen, sondern konstruiert unter anderem Landroboter, die verwundete Soldaten vom Schlachtfeld evakuieren sollen. Juschtschuk und die Studenten des KPI haben ein eigenes Rüstungsunternehmen gegründet: Inguar Defence heißt es. Und es könnte bald schon in Serie produzieren.
Lesen Sie auch: Deutschlands Signal an Putin – Bedeutung einer Einheit wächst
Das Durchschnittsalter der Ingenieure bei Inguar beträgt 23 Jahre, nicht alle studieren noch. Nach dem russischen Einmarsch reparierten und modernisierten sie zunächst Hunderte gepanzerte Fahrzeuge, nun haben Juschtschuk und sein Team ein eigenes gepanzertes Fahrzeug für die ukrainischen Verteidigungskräfte entwickelt: Inguar3 soll sicherer als bereits vorhandene ukrainische Panzerfahrzeuge sein – und könnte einen deutlichen Technologiesprung für die heimische Produktion dieser Vehikel sein.
Juschtschuk: „Zu Beginn des Krieges wollten wir schlicht helfen“
„Zu Beginn der russischen Invasion wollten wir schlicht helfen, indem wir gepanzerte Fahrzeuge in unserer Werkstatt in Kiew kostenlos reparierten“, erklärte Juschtschuk gegenüber dem Online-Medium Ukrajinska Prawda. Zu dieser Zeit wurden aus Kanada Hunderte Panzerwagen des Typs Senator geliefert, die zwar gut waren, aber eher für die Polizei konzipiert worden sind und aus diesem Grund für den Einsatz an vordester Front nicht optimal geeignet waren.
Juschtschuk wandte sich an den Produzenten von Senator – mit dem Angebot, die Fahrzeuge für den Fronteinsatz umzurüsten. Ab diesem Zeitpunkt vertrat Inguar Defence, damals noch nicht formell als Firma gegründet, das kanadische Rüstungsunternehmen Roshel in der Ukraine und war seither mit der Modernisierung und Reparatur von Senator-Panzerwagen beauftragt. Daneben reparierte das Team um Juschtschuk auch unterschiedlichste Fahrzeuge für die Nationalgarde. So konnten die Ingenieure die nötige Erfahrung sammeln, um ein einziges gepanzertes Fahrzeug zu planen und in Serie zu bauen.
Panzerwagen werden von Soldaten an besonders hart umkämpften Frontabschnitten gebraucht – etwa dort, wo die Gefahr durch feindliche Drohnen, Saboteure oder Minen am größten ist. Dafür müssen die Fahrzeuge drei Kriterien erfüllen: Passierbarkeit auf unwegsamem Gelände, Schutz vor Explosionen und eine hohe Maximalgeschwindigkeit. Für Inguar3 entwickelte das Team um Juschtschuk deshalb ein eigenes Chassis, das panzerbrechenden Kugeln, Fragmenten einer Artilleriegranate des Nato-Kalibers sowie Detonationen von Panzerminen standhält.
Inguar3: Gewappnet gegen Einschläge und chemische Attacken
Kein einziges in Serie produziertes ukrainisches Panzerfahrzeug kann dies im Moment leisten. Inguar3 ist zudem mit einem Reifenfüllsystem ausgestattet, welches es ermöglicht, die Luft aus den Reifen notfalls etwas abzulassen, um auch durch sumpfiges Gelände zu gelangen. Außerdem sind die Reifen von innen mit der sogenannten Runflat-Technologie verstärkt, damit der Wagen selbst dann weiterfahren kann, wenn die Reifen vom Feind getroffen und beschädigt wurden. Für den Fall einer chemischen Attacke wurde die Fahrerkabine mit einem speziellen Luftfiltersystem ausgestattet.
Und noch eine Besonderheit bietet Inguar3: Auf dem Fahrzeug kann ein System zur elektronischen Kampfführung installiert werden – etwa, um es vor sogenannten First-Person-View-Drohnen zu schützen. „Die Entscheidung, einen mobilen Komplex dieser Art zu installieren, ist selbst im Vergleich zu westlichen gepanzerten Fahrzeugen innovativ“, urteilt Ukrajinska Prawda-Autor Bohdan Miroschnytschenko. Im Moment läuft der Prototyp von Inguar3 die letzten Werktests durch.
Ingenieure erhalten für ukrainische Verhältnisse stattliches Gehalt
In wenigen Monaten soll das Fahrzeug eine Genehmigung des ukrainischen Verteidigungsministeriums erhalten – danach könnte Inguar Defence in Serie produzieren, zunächst nur in der Ukraine, doch schon jetzt sollen zwei große westliche Rüstungsfirmen ihr Interesse an der Produktion im Ausland angekündigt haben. Gut möglich, dass Inguar3 sowohl ein entsprechendes Nato-Qualitätszertifikat als auch einen Platz auf dem internationalen Markt erhalten wird.
Priorität hat für Artem Juschtschuk dennoch etwas anderes: Er will die ukrainische Armee mit den bestmöglichen gepanzerten Fahrzeugen ausstatten – und er hat noch eine zweite Mission: den Ingenieurberuf in der Ukraine wiederzubeleben. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war das Ingenieurwesen immer weniger gefragt, vor allem wegen niedriger Löhne und geplünderter Fabriken.
Bei Inguar Defence verdienen die Spezialisten umgerechnet 3500 Euro pro Monat – ein unglaubliches Gehalt für ukrainische Verhältnisse. Möglich ist diese Bezahlung aber nur, weil mehrere ukrainische Unternehmer aus dem Mittelstand an das Projekt geglaubt und schon früh investiert haben. Eine Geldanlage, die sich noch als überaus lukrativ herausstellen könnte.
- In ständiger Gefahr: Was passiert, wenn Selenskyj stirbt?
- Erfinderisch im Krieg: Studenten bauen Panzerfahrzeug – mit genialen Funktionen
- Wunder Punkt: Putin setzt teure Spezial-Raketen ein – mit einem Ziel
- Ukraine-Konflikt: Sie nennen ihn „Dachs“ – Spezialist soll Superwaffen-Einheit aufbauen
- Krieg: Drohnen zielen auf Putins wunden Punkt – USA warnen Kiew