Berlin. Im Konflikt mit dem Iran erteilt Olaf Scholz der israelischen Regierung öffentlich Ratschläge. Das ist ungewöhnlich, aber sinnvoll.

Mit öffentlichen Ratschlägen an andere Länder sollten sich Regierungschefs zurückhalten. Das gilt ganz allgemein – aber erst recht, wenn es um Deutschland und Israel geht. Manchmal aber ist die Situation so ernst, dass ein Abweichen von dieser Regel sinnvoll erscheint. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sah am Montag die Bedingungen dafür erfüllt: Er riet Israel, sich nach dem iranischen Großangriff vom Wochenende aktiv um Deeskalation zu bemühen.

Irans Angriff sei „präzedenzlos“, die Aggression müsse enden, forderte der Kanzler im fernen China. Aber: Die weitgehend erfolgreiche Abwehr der rund 300 Drohnen und Raketen sei für Israel „ein Erfolg, der vielleicht auch nicht verschenkt werden sollte“. Scholz ergänzte: „Deswegen auch unser Ratschlag, selbst zur Deeskalation beizutragen.“

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UN-Chef sieht Nahen Osten am Rande des Abgrunds

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    In allen westlichen Hauptstädten ist in den vergangenen Tagen die Sorge größer geworden, dass die Lage im Nahen Osten vollends außer Kontrolle geraten könnte. Israels Krieg gegen die Hamas hat im Gaza-Streifen eine humanitäre Katastrophe ausgelöst, vorausgegangen war dem im Oktober eine unfassbar grausame Terror-Attacke der Hamas auf israelischem Boden. In Syrien tobt ein Bürgerkrieg, der Libanon befindet sich in der Dauerkrise.

    Iran: Mullah-Regime hat viele Handlanger in der Region

    Und jetzt der erste direkte Angriff des Iran auf Israel, der mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht unbeantwortet bleiben wird: Das könnten die Zutaten sein für das, was man gemeinhin als Flächenbrand bezeichnet. Wenn der deutsche Kanzler den Israelis nun öffentlich zur Deeskalation rät, dann geschieht das nicht uneigennützig. Denn es ist nicht auszuschließen, dass irgendwann eine Situation entstehen könnte, in der sich die Frage nach der Solidarität mit dem jüdischen Staat ganz neu und ganz anders stellt als bisher.

    Spätestens seit Angela Merkels historischer Rede vor der Knesset im Jahr 2008 gilt hierzulande das Diktum, dass die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson ist. Das war der Grund, warum Olaf Scholz im Herbst kurz nach den Hamas-Attacken als erster westlicher Regierungschef nach Israel reiste und dem überfallenen Volk versicherte, dass Deutschland an seiner Seite stehe. Das ist der Grund, warum die Bundesrepublik trotz des Grauens im Gaza-Streifen weiterhin zu Israel hält. Ihr fällt das nicht leicht – zumal sie es dort mit einer Regierung zu tun hat, die in Teilen rechtsextrem ist.

    Thorsten Knuf ist Politik-Korrespondent in der FUNKE Zentralredaktion.
    Thorsten Knuf ist Politik-Korrespondent in der FUNKE Zentralredaktion. © Funke Foto Services | Reto Klar

    Die Atommacht Israel verfügt über eine hoch moderne, äußerst schlagkräftige Armee. Nicht einmal das schwerbewaffnete Mullah-Regime im Iran wird sich leichtfertig auf einen militärischen Großkonflikt mit dem jüdischen Staat einlassen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass es dazu kommt und der Konflikt auf andere Staaten übergreift. Der Iran hat viele Handlanger in der Region.

    Angriff auf Israel: Der Westen steckt in einem Dilemma

    Spätestens in diesem Augenblick würde sich die Frage stellen, ob der Westen eingreift, um Israel beizustehen. Die USA haben schon deutlich gemacht, dass sie sich nicht an einer Vergeltungsaktion für den jüngsten iranischen Angriff beteiligen wollen. Im Falle eines ausgewachsenen Krieges aber könnten sie Israel kaum alleinlassen. In dieser Situation müsste auch Deutschland sagen, wie weit es für die Sicherheit des jüdischen Staates zu gehen bereit ist.

    Die gute Nachricht ist, dass der befürchtete Flächenbrand im Nahen Osten mit Besonnenheit und Diplomatie verhindert werden kann. Genau darum bemühen sich gerade zahlreiche Akteure in der Region und darüber hinaus. So gesehen lässt sich der öffentliche Ratschlag des Kanzlers auch als Appell an Israel verstehen, Deutschland und seine Verbündeten nicht in eine unmögliche Situation zu bringen.

    Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl