Luparevo/Kurachowe. Der Wintereinbruch hat die Ukraine hart getroffen – und er hat gerade erst begonnen. Die Menschen bereiten sich auf brutale Monate vor.

Der Wind ist beißend kalt an diesem Novembertag. Auf den lehmigen Straßen der kleinen Siedlung Luparevo südlich von Mykolajiw, in der viele Häuser von den Narben des Krieges gezeichnet sind, liegt grau-brauner Schneematsch. Pawlo Oliynyk und seine Männer sind hierher gerufen worden, weil eine Stromleitung durch die stürmischen Böen am Tag zuvor gerissen ist. Der Vorarbeiter der Arbeitsbrigade sagt, das sei nicht überraschend, Russlands Bombardements hätten im vergangenen Winter viele Leitungen beschädigt. Jetzt hat ihnen der Wind den Rest gegeben. „Es ist unsere Pflicht, sie zu reparieren. Ohne Strom haben alle ein Problem“, sagt Oliynyk. Er ahnt: In den kommenden Monaten werden er und seine Männer wieder viel zu tun haben.

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In der hat der Winter am Wochenende brachial begonnen. Ungewöhnlich starke Schneestürme tobten am Sonntag durch den Süden und das Zentrum des Landes. Zehn Menschen kamen ums Leben. Strommasten knickten um. In über 1600 Siedlungen fiel der Strom aus. Hunderte Fahrzeuge blieben in den Schneeverwehungen stehen. In Odessa kollabierte der Schornstein eines Heizwerkes, die Menschen in mehr als zweihundert Wohnblocks saßen im Kalten. Bis zum Montagnachmittag waren im Süden des Landes viele Straßen gesperrt. Diesmal hat die Natur zugeschlagen. Aber viele Menschen in der Ukraine rechnen damit, dass die russischen Streitkräfte das Land wieder in Kälte und Dunkelheit bomben werden.

Ein Mitarbeiter von Pawlo Oliynyk repariert in der Kälte Stromleitungen.
Ein Mitarbeiter von Pawlo Oliynyk repariert in der Kälte Stromleitungen. © Funke Foto Services | André Hirtz

Ukraine: Im vergangenen Winter fiel der Strom teilweise tagelang aus

„Sie haben uns bombardiert, sie bombardieren uns zurzeit und sie werden uns bombardieren.“ Für Pawlow Oliynyk ist klar, was in den nächsten Wochen und Monaten geschehen wird. „Sie beschießen jetzt schon unsere Stromleitungen und Umspannwerke“, sagt der Vorarbeiter der Arbeitsbrigade, die an dem Tag nach dem Schneesturm im Süden der Ukraine in Luparevo eingesetzt ist. Er ist 66 Jahre alt und schon seit sieben Jahren Pensionär. Aber sein Job ist seine Leidenschaft. Selbst in diesen Zeiten, in denen die Bedingungen, unter denen er und seine Männer arbeiten, lebensgefährlich sind. „Im vergangenen Winter mussten wir sehr viele Leitungen reparieren. Es war fürchterlich. Wir sind zweimal unter direkten Beschuss geraten. Zwei meiner Männer wurden verletzt.“ Sie haben weitergearbeitet. „Wir müssen doch zum Reparieren herausfahren, egal wie gefährlich es ist.“

Im vergangenen Winter hatte Moskau auf eine Zermürbungsstrategie gesetzt. Immer wieder attackierten die russischen Streitkräfte mit Marschflugkörpern und Raketen die kritische Infrastruktur des Landes. In nahezu allen Städten fiel der Strom teilweise tagelang aus, die Wasserversorgung war vielerorts gekappt, ebenso die Wärmeversorgung. Auch wenn der Plan nicht aufging, die Moral der Bevölkerung durch diese Angriffe zu schwächen, könnte der Kreml erneut auf diese Strategie setzen. Viele Menschen in der Ukraine sind kriegsmüder als noch vor zwölf Monaten. In jüngster Zeit halten sich die Russen mit Luftangriffen merklich zurück. Wenn sie attackieren, dann zumeist mit Kamikaze-Drohnen iranischer Bauart, so wie bei dem massiven Angriff auf Kiew in der Nacht zu Samstag. Es scheint, als wollten sie die Fähigkeiten der ukrainischen Luftabwehr testen und mögliche Lücken ausfindig machen.

Der Wintereinbruch hat die Ukraine in diesem Jahr hart getroffen.
Der Wintereinbruch hat die Ukraine in diesem Jahr hart getroffen. © Funke Foto Services | André Hirtz

Furcht vor russischen Angriffen auf Kraftwerke

Die Angst vor dem Winter treibt auch die Menschen 600 Kilometer weiter, im Osten der Ukraine, um. Aus einem der beiden hoch aufragenden Schlote des alten Kraftwerks bei Kurachowe steigt dichter schmutzig-brauner Qualm in den grauen Himmel. Noch arbeitet die Anlage aus Sowjetzeiten. Noch versorgt sie die Region mit Strom und mit Wärme. Vor dem russischen Überfall im Februar 2022 lebten in Kurachowe, einer Kleinstadt in der Region Donezk, etwa 20.000 Einwohner. Jetzt sind viele geflohen, weil der Krieg hier so nah ist. In den Ruinen der völlig zerstörten Nachbarstadt Marjinka verläuft die Front. Von dort weht unablässig das bedrohliche Grummeln des Geschützdonners herüber. Immer wieder schlagen Geschosse auch in Kurachowe selbst ein.

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    Die wenigen Menschen, die durch das gespenstisch leere Zentrum der Stadt hasten, sehnen sich ein Ende des Krieges herbei. Wie er beendet werden soll, darauf haben sie aber keine Antwort. „Ich bin keine Politikerin“, sagt Maryna, 32. Sie arbeitet in dem Kraftwerk, wie so viele andere Menschen aus Kurachowe. „Es ist schwer, so nah an der Front zu leben“, sagt die junge Frau. Trinkwasser kommt in der Kleinstadt schon seit fast zwei Jahren nicht mehr aus der Leitung. Im vergangenen Winter zielte die russische Artillerie immer wieder auf das Kraftwerk. „Wir hatten oft keinen Strom und konnten auch nicht heizen“, erinnert sich Maryna, „aber wir haben es irgendwie überstanden.“

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    Sie unternimmt einen Versuch, tapfer zu lächeln, er mutet hilflos an. Kaum ist es in Kurachowe kälter geworden, hat es schon wieder begonnen. In den vergangenen eineinhalb Monaten sei das Kraftwerk sechsmal angegriffen worden, berichtet die junge Frau. In der vergangenen Woche sei das Wärme-Netzwerk beschädigt worden. Immerhin, sagt sie, könne sie zu ihrem Arbeitsplatz gehen, wenn es in ihrer Wohnung kalt wird. Dort sorgen im Notfall Generatoren für Wärme. „Und ich habe drei Katzen, die halten mich warm“, sagt sie und lacht. Diesmal wirkt es herzlich.

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    Lyuba lacht nicht. Sie schleppt zwei Einkaufstüten mit sich, darin sind Lebensmittel, die sie gerade von einer der Organisationen bekommen hat, die in Kurachowe humanitäre Hilfe leisten. „Ich habe Angst vor dem Winter“, sagt sie. Der vergangene Winter sei bereits hart gewesen, so häufig ohne Strom, so häufig in der Kälte. Aber immerhin hatte sie damals noch Glasfenster in ihrer Wohnung.

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    Der Wohnblock, in dem die 73-Jährige lebt, ist Mitte Oktober von einem Geschoss getroffen worden, jetzt hat sie Plastikfolien in den Fensterrahmen. Ihr Sohn hat eine Gehbehinderung, er will die Stadt nicht verlassen, obwohl die beiden Verwandte im Landesinneren haben. Auch Lyuba kann es sich nicht vorstellen, ihr Zuhause zu verlassen. „Wer soll sich denn um die Gräber unser Lieben kümmern, wenn wir nicht mehr hier sind?“ Aber richtig vorbereitet auf den Winter sei sie nicht, räumt sie ein. Sie haben die Wohnung ein wenig gedämmt, aber wenn der Strom diesmal wieder für längere Zeit ausfallen sollte, „dann war es das für uns“, sagt die alte Frau.

    Lyuba ist 73. Sie will ihr Zuhause nicht verlassen.
    Lyuba ist 73. Sie will ihr Zuhause nicht verlassen. © Funke Foto Services | André Hirtz

    In Luparevo haben sich die Männer von Pawlo Oliynyk an die Arbeit gemacht und reparieren die kaputte Leitung. Die Arbeitsbühne auf dem altersschwachen Lastwagen fährt langsam und knarzend in die Höhe. Oliynyk schaut gespannt zu, wie der Arbeiter die Leitungen verdrahtet, dann nickt er zufrieden. „Wir bereiten uns auf alles vor, was passieren kann“, sagt er. Seine Firma, beteuert er, habe Notfallpläne entwickelt und zusätzliches Material in den Lagerhallen. Oliynyk boxt in seiner Freizeit und das schon seit vielen Jahrzehnten. So schnell will er sich nicht ausknocken lassen.

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