Hamburg. Der Bundesaußenminister begründet im Exklusiv-Interview die Wahl für Hamburg als G20-Austragungsort und appelliert an die Kritiker.
Die Hansestadt steht wie keine andere Stadt für Weltoffenheit, Toleranz und Klugheit - und ist deshalb der ideale Treffpunkt für die Führer der Welt. Außenminister Sigmar Gabriel im Gespräch mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider. Es geht um G20, Israel, Donald Trump und Olaf Scholz.
Musste die Eskalation mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu unbedingt einen Tag nach dem Holocaust-Gedenktag sein?
Sigmar Gabriel: Ich habe gar nichts eskaliert. Sondern der israelische Ministerpräsident hat mir ein Ultimatum gestellt: entweder ich sage das Gespräch mit regierungskritischen Organisationen der israelischen Zivilgesellschaft ab, oder er trifft sich nicht mit mir. Das hat mit dem Holocaust-Gedenktag am Tag zuvor nichts zu tun. Es ist eine Ausrede. Ich war sehr froh darüber, dass der israelische Staatspräsident das alles völlig anders gesehen hat. Das Treffen mit ihm war sehr entspannt, sehr freundschaftlich und hat viel länger gedauert als vorgesehen war. Er hat deutlich gemacht, dass freie Meinungsäußerung zu jeder Demokratie gehört und deshalb auch zu Israel. Und er hat übrigens zum Holocaust-Gedenktag auch gesagt, dass nicht jede Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichzusetzen ist.
Wie ist Ihr Verhältnis zum Holocaust-Gedenktag?
Ich habe schon aufgrund meiner Familiengeschichte ein besonderes Verhältnis dazu. In meiner Familie finden sich Auschwitz-Leugner wie mein Vater und Auschwitz-Opfer wie die Urgroßeltern meiner erwachsenen Tochter. Die Unterlagen dieser Opfer haben meine Tochter und ich vor ein paar Jahren in Yad Vashem gefunden. Sie werden sich vorstellen können, dass mich jeder Besuch dort sehr persönlich berührt. Und in keinem Land der Erde war ich so oft wie in Israel. Auch deshalb habe ich mich in Israel zur historischen Verantwortung Deutschlands für den Holocaust und die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs bekannt. Ich habe die Freundschaft Deutschlands mit Israel und den Juden herausgestellt.
Trotzdem kritisieren Sie die israelische Regierungspolitik.
Die aktuelle Regierung ist nicht Israel, auch wenn sie das gern so darstellt. Für Israel einzustehen, darf ja nicht gleichbedeutend damit sein, zum Beispiel die Rechte der Palästinenser zu ignorieren. Unsere deutsche Haltung zum israelischen Siedlungsbau ist hinlänglich bekannt. Damit stehen wir nicht allein. Dass ich mich bei diesem wichtigen Thema auch mit Kritikern der israelischen Regierung treffe, ist weder ungehörig noch ungewöhnlich noch überraschend.
Also haben Sie das Treffen mit den Kritikern sehr bewusst gemacht?
Treffen dieser Art sind ein üblicher Teil unserer Besuchsprogramme, übrigens auch in Europa. Bisher hat es damit nie Schwierigkeiten gegeben, wohl weil es so selbstverständlich ist. Trotzdem bedauere ich die Absage durch den israelischen Ministerpräsidenten, den ich ja schon oft getroffen habe. Ich bin aber sicher, dass sich unser gutes und enges Verhältnis zu Israel nicht ändern wird. Man darf das alles nicht überbewerten.
Ist auch die Gefahr, die von Donald Trump ausgeht, überbewertet worden? Er ist jetzt genau 100 Tage im Amt, ist es so schlimm geworden, wie viele befürchtet haben?
Es ist zum Glück eher besser geworden. Aber sicher noch nicht gut. Die Wahlkampfäußerungen von Trump und seinem Umfeld hatten zu Recht große Befürchtungen geweckt. Da ging es um Handelskrieg, da schien es mit Blick auf Russland so, als wolle man den Konflikt in der Ost-Ukraine ignorieren und aus seinem Umfeld wurde den Chinesen gedroht. Vieles davon ist heute weg, oder doch stark abgeschwächt. Das heißt nicht, dass jetzt alles gut ist. Und für mich ist es nach wie vor seltsam, wie etwa der Besuch seiner Tochter in Deutschland quasi als Society-Event gefeiert wurde, obwohl doch die Vermischung von Politik mit Familien- und Geschäftsinteressen eher an Nepotismus erinnert und bei uns unvorstellbar wäre. Aber ich habe trotzdem den Eindruck, dass US-Präsident Trump inzwischen stärker im Regierungsalltag angekommen ist und auf Berater hört, die rationaler und realistischer sind…
… als er?
… als die Berater, die am Anfang vor allem sein Ohr gehabt haben. Jetzt sagt Donald Trump: Wir haben einen Militärschlag gegen die Syrer wegen des Giftgaseinsatzes gemacht, wollen aber keine Eskalation, sondern unter Beteiligung Russlands Friedensverhandlungen. Jetzt erklärt die Trump-Administration, dass sie in Nordkorea keinen Wechsel der Regierung will, sondern Sicherheit, und bietet Gespräche an. Vielleicht ist es sogar gelungen, den US-Präsidenten von Einfuhrzöllen gegen Deutschland abzubringen. Wir sind jetzt wieder in einer Lage, in der es zwischen Deutschland und den USA um den Ausgleich von Interessen geht. Das ist ganz normal. Vorher hatte ich durchaus mal die Sorge, dass wir uns als Widersacher gegenüberstehen könnten. Ich habe sogar den Eindruck, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis besser ist, als man es nach dem Besuch der Kanzlerin in Washington erwarten konnte. Man muss abwarten, wie sich das weiterentwickelt. Wir müssen viel hinfahren, viel reden, viel einladen …
Auch Trumps Tochter Ivanka? War es ein kluger Schachzug der Kanzlerin, sie nach Berlin einzuladen?
Aus Sicht der Bundeskanzlerin sicher. Aber ich gebe zu: Mich befremdet es nach wie vor, wenn Familienmitglieder, die nie gewählt wurden, auf einmal wie Staatsgäste auftreten und ihnen fast schon wie Mitgliedern eines Herrscherhauses gehuldigt wird. Ich bin da als Norddeutscher wohl etwas näher an der Zurückhaltung der Hanseaten und ihrer republikanischen Gesinnung.
Im Juli sind alle Staats- und Regierungschef auf Einladung Deutschlands zu Gast in Hamburg. Was sagen Sie den Kritikern des G20-Treffens?
Sie sollten denen zuhören, die nicht aus der alten Welt der Industriestaaten kommen, sondern zum Beispiel aus Afrika oder Asien. Solche Länder sagen: Ihr könnt die Welt nicht einfach weitergestalten wie nach dem Zweiten Weltkrieg, so als wäret ihr allein. Die Welt hat sich verändert. Neue Spieler sind auf die Weltbühne getreten. Ihr müsst mit uns zusammenarbeiten. Die alte Idee von G7, dass sich ein paar große Industrienationen treffen und der Rest wird als Entwicklungsland betrachtet, ist überholt. Man muss aufpassen, dass man die Wünsche von großen Teilen der Welt nicht ignoriert. Wo soll die Welt sich treffen, wenn nicht bei solchen Formaten?
Und wenn nicht in einer Stadt wie Hamburg?
Ganz ehrlich: Ich wüsste keine Stadt, die besser geeignet ist als Hamburg.
Warum?
Weil Hamburg weltweit ein Symbol für Weltoffenheit, Toleranz und Klugheit ist. Wenn jemand die Welt versteht, dann die Hanseaten. Globalisierung ist für manche etwas Neues, hier in Hamburg wird sie seit Jahrhunderten gelebt. Wohin sonst sollte Deutschland also einladen? Es gibt keine Stadt, die besser dafür geeignet wäre, die Welt zu Gast zu haben. Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass die Staats- und Regierungschefs mit ein paar Tausend Mitarbeitern kommen und wir auch ausreichend gute Hotels brauchen. Ich bitte die Hamburger und all die Kritiker: Niemand erwartet, dass jeder die Beschlüsse gut findet. Aber es lohnt sich zu überlegen, warum die Chinesen und andere solche Treffen wollen und warum sich die Afrikaner freuen, dass sie eingeladen sind. Wo sollen Industrienationen und Entwicklungsländer über Maßnahmen gegen die Hungerkatastrophe reden, wenn nicht bei G20? Und wenn es ein Land gibt, das als fairer Mittler gilt, dann ist es Deutschland.
Müssen die Hamburger Angst haben vor Anschlägen?
Nein, der Sicherheitsaufwand ist hoch, Hamburg ist während G20 wahrscheinlich die am besten gesicherte Stadt der Welt. Ich werbe dafür, dass die Globalisierungskritiker ihren Protest äußern, aber bitte friedlich.
Kommen wir zu Ihrer neuen Rolle. Sie sind noch nicht 100 Tage im Amt, aber ihre Beliebtheitswerte haben sich deutlich verbessert. Außerdem sagen sie, dass der neue Job familienfreundlicher ist als ihre alten. Klingt danach, als hätten Sie ihren Traumjob gefunden.
Er ist sicher auch nicht gerade familienfreundlich, aber er frisst auch nicht so viel zusätzliche Zeit wie die drei Aufgaben, die ich vorher hatte: Wirtschaftsminister, SPD-Vorsitzender und Koordinator der SPD in der Bundesregierung. Man darf nicht unterschätzen, wieviel Zeit die Arbeit als SPD-Vorsitzender kostet. Was die Beliebtheit angeht, ist der Wandel einfach zu erklären: Wenn Sie in der deutschen Alltagspolitik unterwegs sind, dann teilen sich die Menschen auf in Anhänger und Gegner der jeweiligen Parteien und dann halten sich Popularitätswerte die Waage. Wenn sie sich da raushalten und ein Amt ausüben, in dem sie Deutschland in der Welt repräsentieren, nehmen die Menschen sie anders wahr. Das geht offenbar ziemlich schnell.
Dass muss doch für Sie ein gutes Gefühl sein: Ihre frühere Unbeliebtheit hat offenbar weniger mit Ihnen zu tun gehabt als mit ihrer Funktion.
Dass es etwas mit mir persönlich zu tun gehabt hätte, habe ich sowieso nie gedacht. Ich musste als SPD-Vorsitzender siebeneinhalb Jahre lang fast jeden innenpolitischen Konflikt ausfechten, in der Partei und in der Gesellschaft. Das führt zu Abnutzungserscheinungen. Deshalb war es richtig, dass ich den Weg für Martin Schulz als Kanzlerkandidat freigemacht habe.
Hat Sie dessen Höhenflug in den Umfragen überrascht?
Dass es so schnell geht, hat auch mich überrascht. Aber dass wir über 30 Prozent kommen und dass wir im Laufe des Wahlkampfs noch deutlich stärker werden, damit habe ich gerechnet.
Sie rechnen damit, dass die SPD noch weiter zulegt? Andere sprechen schon vom Ende des Schulz-Hypes.
Ich sehe kein Ende, und der Wahlkampf läuft ja gerade erst an. Wir werden weiter zulegen.
Gab es einen Moment, als sie noch Parteivorsitzender waren, dass beim Kanzlerkandidaten ein O statt ein U stand? Scholz statt Schulz?
Olaf Scholz ist einer der klügsten Leute in der deutschen Politik. Dass er zu denen gehört, die in der Bundespolitik eine Riesenbedeutung haben, ist doch unstrittig.
Trotzdem war für Sie immer klar: Wenn ich nicht Kanzlerkandidat werde, dann wird es Schulz.
Für mich war relativ früh klar, dass ich es nicht machen werde. Und es gibt zwei Personen, mit denen ich intensiv über die Frage geredet habe, wer es werden soll: Hannelore Kraft und Olaf Scholz. Niemand anders ist da so eingebunden gewesen wie die beiden. Ohne sie oder gegen sie hätte ich das niemals getan.
Scholz macht gerade Wahlkampf in Schleswig-Holstein. CDU und SPD liegen gleich auf. Wie geht die Wahl aus?
Wenn sich Leistung lohnen soll, dann muss Torsten Albig wieder Ministerpräsident werden. Die haben einen guten Haushalt, die haben aufgeräumt mit den Kürzungen in der Schule, die haben 80.000 neue Jobs geschaffen. Was soll einer noch leisten?
Trotzdem muss er kämpfen.
Weil Schleswig-Holstein an sich ein klassisches CDU-Land ist. Aber Torsten Albig ist ein überragender Mann für Schleswig-Holstein. Und deswegen bin ich ganz optimistisch, dass er Ministerpräsident bleibt.
Parallel zu Schleswig-Holstein wird in Frankreich ein neuer Präsident gewählt. Ist Emmanuel Macron schon durch?
Es wäre sehr wichtig, dass er es schafft, weil er der Einzige im französischen Wahlkampf ist, der sich eindeutig für Europa ausgesprochen hat.
Was ist es für ein Zeichen, dass ein Mann so weit kommen kann, der quasi keine Partei hinter sich hat?
Das zeigt, wie unzufrieden die Franzosen mit ihrer gegenwärtigen Lage und dem Parteiensystem der Fünften Republik sind.
Was in Deutschland, obwohl gern prophezeit, ausgeblieben ist. Wie kommt das?
Frankreich ist viel stärker eine Klassengesellschaft als Deutschland. Unser Land wird von der sozialen Marktwirtschaft zusammengehalten. Und am Ende des Tages machen die Menschen den Fernseher an, lesen das Hamburger Abendblatt und sehen dann: Es ist vielleicht nicht alles gut bei uns, aber auf jeden Fall ist es viel besser als in den meisten Teilen der Welt. Und das stimmt ja auch.