Kiel/Berlin. Schleswig-Holstein will Migranten vom Tag ihrer Ankunft an integrieren, Landesregierung verspricht Kommunen mehr Geld.
Zwei Tage vor dem morgigen Flüchtlingsgipfel im Bundeskanzleramt hat der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) einen Flüchtlingspakt verkündet, der zum Vorbild für andere Bundesländer werden könnte. Albig will die Flüchtlinge vom Tag ihrer Ankunft an integrieren. Die Kommunen bekommen dafür mehr Geld. „Wir warten nicht auf das Ende eines Asylverfahrens“, sagte er in Kiel. „Wir versuchen mit dem Tag der Ankunft, die Menschen so fit zu machen, dass sie in unserer Gesellschaft ankommen.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zu dem morgigen Gipfel geladen, um mit den Ländern über die Konsequenzen aus den steigenden Asylbewerberzahlen zu sprechen. Heute wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine neue Prognose für dieses Jahr vorlegen. Nach Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) werden rund 400.000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen – etwa doppelt so viele wie 2014.
Länder und Kommunen verlangen eine größere Beteiligung des Bundes an den Kosten für Versorgung und Unterbringung der Asylbewerber. Der Bund hatte sich bislang auf die unlängst vereinbarten zusätzlichen Mittel in Höhe von einer Milliarde Euro für 2015 und 2016 berufen. Dies reicht den Ländern nicht. Bei dem Flüchtlingsgipfel in Berlin dürfte es deshalb im Wesentlichen um Geld gehen.
An dem Treffen nehmen auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD), Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Kanzleramtsminister Peter Altmaier (beide CDU) und die Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özogus (SPD) sowie mehrere Ministerpräsidenten teil. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig ist nicht dabei.
Die Länderchefs wollen auch die Situation im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum Thema machen. Dort kommt man mit der Bearbeitung der Fälle nicht nach. Die personelle Aufstockung der Behörde hat noch nicht zur angestrebten Verkürzung der Asylverfahren auf drei Monate geführt. Zur Entlastung des BAMF gibt es den Vorschlag, Flüchtlinge aus Bürgerkriegsgebieten generell Asyl zu gewähren. Die Union fordert verkürzte Verfahren für mutmaßlich aussichtslose Anträge aus den Balkanstaaten.
Die Verfahrensdauer spielt eine wichtige Rolle bei der Unterbringung der Flüchtlinge. Schleswig-Holstein strebt jetzt an, die Asylbewerber für mindestens sechs bis acht Wochen in einer Erstaufnahmeeinrichtung unterzubringen. Würde das BAMF in dieser Zeit die von vornherein aussichtslosen Verfahren bearbeiten und abschließen können, kämen in den Kommunen nur die Bewerber an, die Aussicht auf einen dauerhaften Aufenthalt haben.
Egal, wie das Verfahren ausgeht: In Schleswig-Holstein will man zunächst einmal alle Flüchtlinge auf dieselbe Weise integrieren. Der Pakt trägt den Titel „Willkommen in Schleswig-Holstein“, er wird getragen von der Wirtschaft, den Kirchen, von Gewerkschaften, Sozialverbänden, Vereinen sowie den Städten und Gemeinden. Das Willkommen wird zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen stattfinden. Das Land erhöht dort derzeit „fieberhaft“ (Albig) die Unterbringungsmöglichkeiten. In Flensburg, Kiel und Lübeck sollen jeweils 600 Platze entstehen. Schon in diesen Einrichtungen setzt eine „klare, verbindliche und bedarfsgerechte Sprachförderung“ ein. Die Bundesagentur für Arbeit wird zugleich ermitteln, welche Ausbildungen die Flüchtlinge mitbringen.
Die wichtigste, möglicherweise noch zu Konflikten führende Neuerung betrifft die Verteilung der Flüchtlinge auf die Kommunen. Bislang geschieht dies im Gießkannenprinzip – jeder Kommune wird – abhängig von der Einwohnerzahl – eine bestimmte Zahl von Asylbewerbern zugewiesen. Ab Oktober soll dieses Prinzip durch eine „integrationsorientierte Verteilung“ ersetzt werden, deren Details noch erarbeitet werden müssen. Albig: „Ein junger Syrer, der in der Landwirtschaft gearbeitet hat, findet in Nordfriesland vielleicht eher einen Ausbildungsplatz als im Hamburger Rand, ein Ingenieur hat vielleicht bessere Chancen in Brunsbüttel als in Ostholstein.“
Bestandteil des Pakts ist auch, dass die Kommunen mehr Geld von der Landesregierung bekommen. „Wir sind bereit, an unsere finanzielle Belastungsgrenze zu gehen“, sagte Albig. Anfang Juli soll eine neue Integrationspauschale eingeführt werden. Jede Kommune erhält dann pro Flüchtling einmalig 900 Euro. Damit können Kosten für Betreuer beglichen werden. Derzeit gibt es eine Betreuungspauschale von 380 Euro. Die Kreise und kreisfreien Städte erhalten zwei Millionen Euro für die Einrichtung von 30 Stellen. Mit ihnen soll die Flüchtlingsarbeit koordiniert werden. Albig, der den Pakt bei einem Treffen mit mehr als 500 Teilnehmern vorstellte, sprach von einer „breiten Allianz der Mitmenschlichkeit“. Das Land sei auf bis zu 20.000 Flüchtlinge in diesem Jahr vorbereitet. „Schleswig-Holstein wird diese Herausforderung als Chance nutzen“, sagte Albig.
Nicht alle im Land sehen das so. In Lübeck wächst der Widerstand gegen eine geplante Erstaufnahmeeinrichtung. Anwohner haben eine Bürgerinitiative gebildet. Sie wehren sich gegen eine „Massenunterkunft“ mit 600 Plätzen, wollen nur 50 bis 100 Flüchtlinge akzeptieren – vorzugsweise Familien. Willkommen sieht anders aus. Der Flüchtlingspakt, kaum geschlossen, steht vor der ersten Bewährungsprobe.