Hannover/Kiel . Landtage in Kiel und Hannover diskutieren über deren Unterbringung. 2015 werden bis zu 60.000 Menschen erwartet.

Schleswig- Holsteins Innenminister Stefan Studt (SPD) hält die vom Bund vorhergesagten Flüchtlingszahlen für viel zu niedrig. „Wenn wir unsere Zahlen hochrechnen, müssen wir 2015 in Deutschland mit 500.000 bis 550.000 neuen Asylbewerbern rechnen und nicht nur mit 300.000, wie vom Bundesamt angegeben.“ Auch im Norden werden in diesem Jahr weit mehr Flüchtlinge ankommen als 2014. Schleswig-Holstein rechnet mit 20.000, Niedersachsen mit fast 39.000 Asylantragstellern. Die Landtage in beiden Bundesländern diskutierten am Donnerstag über die Konsequenzen dieses Zuwachses.

In Hannover drängten die Oppositionsfraktionen die rot-grüne Landesregierung, endlich die Pauschalzahlung von 6195 Euro je Flüchtling und Jahr für die aufnehmenden Kommunen deutlich anzuheben. Der Landkreistag hatte bereits in der vergangenen Woche in einem dramatischen Appell mindestens 10.000 Euro je Flüchtling gefordert. Andernfalls müssten Landkreise und Kommunen freiwillige Leistungen streichen oder zusätzliche Kredite von bis zu 200 Millionen Euro aufnehmen. Dies sei nicht akzeptabel und gefährde den großen Rückhalt der Willkommenskultur in der Bevölkerung, hieß es beim Landkreistag.

Innenminister Boris Pistorius (SDP) sieht indes auch den Bund in der Pflicht, sich finanziell zu engagieren. Er verwies im Landtag auf laufende Verhandlungen mit der kommunalen Ebene über die Höhe der Pauschalzahlungen. Dennoch hat Pistorius wie auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in den vergangenen Tagen mehrfach auf die vergleichsweise gute finanzielle Lage der Kommunen hingewiesen. Und er rechnete vor, das Land verdreifache binnen fünf Jahren seine Ausgaben für die Erstaufnahmelager auf 74 Millionen Euro. Anfang 2016 soll die Zahl der Plätze in diesen Lagern auf über 5000 steigen.

Umgang mit Asylbewerben hat sich grundlegend geändert

Über das Geld wurde im Landtag heftig gestritten. Einig waren sich die Fraktionen in der von der FDP beantragten Debatte allerdings in der Einschätzung, dass Flüchtlinge helfen können, den Bevölkerungsrückgang auszugleichen und die drohende Lücke bei Arbeitskräften zu schließen. Dazu gehört auch, dass Flüchtlinge schneller eine Arbeitserlaubnis bekommen und junge Leute eine Ausbildung aufnehmen und auch abschließen können.

Tatsächlich hat sich der niedersächsische Umgang mit Asylbewerben und anderen Flüchtlingen seit der Regierungsübernahme von SPD und Grünen Anfang 2013 grundlegend geändert. Die Härtefallkommission wurde deutlich aufgewertet. Anders als der frühere Innenminister Uwe Schünemann (CDU) verzichtet die neue Landesregierung auf nächtliche Abschiebungen.

In Schleswig-Holstein scheiterten die Oppositionsfraktionen CDU und Piraten mit der Forderung, im Landtag einen eigenen Flüchtlingsausschuss einzurichten. Selbst die dritte Oppositionsfraktion, die FDP, war der Ansicht, dass damit die parlamentarische Arbeit nur „zerfasern“ würde, wie es der FDP-Landtagsabgeordnete Ekkehard Klug formulierte.

Dennoch war sich die Opposition einig in der Einschätzung, dass die Landesregierung auf die steigende Zahl an Flüchtlingen nicht vorbereitet sei. Die für den 6. Mai geplante zentrale Flüchtlingskonferenz komme „viel zu spät“, sagte die CDU-Landtagsabgeordnete Astrid Damerow. Angelika Beer von den Piraten warf den Koalitionsfraktionen gar vor, aus „Angst“ einen eigenen Ausschuss abzulehnen. Innenminister Stefan Studt (SPD) mahnte in der Debatte zu Sachlichkeit. „Alle Beteiligten müssen zum Wohle der Schutzsuchenden an einem Strang ziehen“, sagte er. Die Flüchtlingspolitik und die damit verbundenen Herausforderungen eigneten sich nicht für „politische Scheingefechte“.

Lars Harms, Fraktionschef des SSW, forderte seine Abgeordnetenkollegen auf, „größer zu denken“. Die Unterkunft allein sei kein Integrationsansatz.

Das Land wird in diesem Jahr erheblich mehr Geld für Flüchtlinge ausgeben müssen. 2014 standen für „Ausländer- und Integrationsangelegenheiten“ 61,1 Millionen Euro zur Verfügung, in diesem Jahr werden es 97,2 Millionen Euro sein. Die Plätze in der Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster werden aufgestockt – von 450 auf 850. In Boostedt sollen weitere 500 Plätze hinzukommen. Probleme gibt es aber auch in den Kommunen, die die Flüchtlinge nach ihrer Zeit in der Erstaufnahmeeinrichtung unterbringen müssen.

Besonders im Hamburger Umland, wo Wohnraum ohnehin knapp ist, ist die Lage nicht einfach. Der Kreis Stormarn musste im vergangenen Jahr 585 Flüchtlinge aufnehmen. In Pinneberg waren es 790, in Segeberg 636, im Kreis Herzogtum Lauenburg 471.