Bis zum Jahresende 66 Prozent mehr Flüchtlinge im Norden – im Landtag bekennen sich alle Parteien, diese humanitäre Aufgabe zu bewältigen. Unterbringung in Zelten im Winter möglich.

Kiel. Die akuten Unterbringungsprobleme von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Schleswig-Holstein müssen nach Ansicht des Landtags schnell und humanitär gelöst werden. Die Flüchtlingszahlen im Norden steigen bis zum Jahresende um 66 Prozent im Vergleich zu 2013, sagte Innenminister Andreas Breitner (SPD) am Donnerstag im Parlament. Bis Dezember sei mit 6500 Asylbewerbern zu rechnen, im Vorjahr waren es 3904. Eine Unterbringung in beheizten Zelten auch im Winter sei nicht auszuschließen, notwendig seien 800 zusätzliche Plätze für die Erstaufnahme, betonte Breitner.

Die zentrale Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster hat lediglich 400 Plätze, dort steht bereits ein Zelt für bis zu 50 Flüchtlinge. „Die Unterbringung in Zelten darf nur eine Übergangslösung sein“, sagte die SPD-Abgeordnete Serpil Midyatli. Der FDP-Politiker Ekkehard Klug bezeichnete die Zeltaktion als „zutiefst beschämend“. Ein Beschluss des Landtags vor einem Jahr, den Kommunen bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu helfen, sei nicht hinreichend umgesetzt worden.

Anlass der Debatte war eine große Anfrage der CDU und die Antwort der Landesregierung, die zudem einen Bericht zur Entwicklung der Asylbewerber vorlegte. Die CDU-Abgeordnete Astrid Damerow kritisierte Breitners Darlegungen: „Ein Konzept, wie Land und Kommunen die weiter steigenden Flüchtlingszahlen bewältigen können, fehlt.“

Die Piratenpartei-Abgeordnete Angelika Beer kritisierte, Anträge von Kommunen zur Bewilligung von Gemeinschaftsunterkünften sei nur zögerlich behandelt worden, das Problem sei ein Stück hausgemacht. Die Landesregierung sei offenkundig überfordert.

Breitner warnte davor, die Flüchtlings- und Asylproblematik parteipolitisch auszuschlachten. Die Flüchtlingspolitik sei eine nationale Aufgabe, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sollte in Berlin einen Flüchtlingsgipfel einberufen. Er selber plane für Anfang 2015 in Schleswig-Holstein eine landesweite Konferenz aller Beteiligten zur Unterbringungssituation, sagte der Minister. Alle Akteure müssten an einen Tisch zusammenwirken.

„Das Land steht vor einer gewaltige Kraftanstrengung“


Der extreme Anstieg der Flüchtlingszahlen war laut Breitner nicht vorhersehbar. Dem widersprach die Opposition. Nach Angaben des Ministers prüft das Land drei ehemalige Bundeswehreinrichtungen in Boostedt, Kiel-Holtenau und Lütjenburg als mögliche zusätzliche Erstaufnahmeeinrichtung des Landes. Es fehle aber bisher die Erlaubnis des Eigentümers, also der Bundeswehr. Breitner machte deutlich, die Rantzau Kaserne in Boostedt (Kreis Segeberg) wegen der Nähe zur Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster zu favorisieren.

Ab 2015 will das Land laut Breitner 20 Millionen Euro als Darlehen den Kommunen für Wohnraumförderung anbieten. 18 Kommunen hätten bereits nachgefragt, drei Projekte zeichneten sich ab. Die Migrations- und Sozialberatung müsste ausgeweitet werden. Die Aufnahme und Integration von Asylbewerbern und Flüchtlingen werde „erhebliche Landesmittel beanspruchen und den Haushalt belasten“.

Auch Grünen-Fraktionschefin Eka von Kalben betonte, „das Land steht vor einer gewaltige Kraftanstrengung“. Die Flüchtlinge bräuchten als erstes ein Dach über dem Kopf „und zwar ein festes“. SSW-Fraktionschef Lars Harms warb für eine dezentrale Unterbringung in den Kreisen, „auch wenn dies nicht immer die preisgünstigste Lösung ist“.

Ein Antrag der Regierungsfraktionen, sich auf Bundesebene für eine humanitäre Aufnahmeaktion für Flüchtlinge aus dem Irak einzusetzen, fand auch die Unterstützung von FDP- und Piraten-Abgeordneten. Gefordert wird auch, bestehende Resettlementprogramme unbefristet fortzusetzen. Mit diesen Programmen werden Flüchtlinge aus Auffanglagern in Krisengebieten direkt nach Deutschland geflogen; hier bekommen sie ein Bleiberecht. Die Bundesregierung müsse die Kommunen für die Unterbringung unterstützen, wurde gefordert.

Ein modifizierter Änderungsantrag der Piraten, Deutschland solle keine Waffen in Krisengebiete liefern und die Rolle der Vereinten Nationen gestärkt werden, fand nach einer Grundsatzdiskussion über die deutsche Außenpolitik eine Mehrheit. Abgeordnete von SPD, Grünen und der oppositionellen FDP stimmten dafür, der Regierungspartner SSW und die CDU-Oppositionsfraktion dagegen. Dabei wandten sich die Fraktionschefs von SPD und FDP, Ralf Stegner und Wolfgang Kubicki, erneut gegen deutsche Waffenlieferungen in den Irak. CDU-Fraktionschef Johannes Callsen unterstützte dagegen den Beschluss der Bundesregierung, Waffen in den Irak zu liefern, um die Gräueltaten der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu stoppen.