Die Privilegien für Firmenerben verstoßen gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht kippte die Erbschaftssteuer in Teilen. Woran man jetzt denken sollte.
Karlsruhe. Die massiven Steuerprivilegien für Firmenerben verstoßen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung gegen das Grundgesetz. Das Bundesverfassungsgericht kippte am Mittwoch die seit 2009 geltende Regelungen zur großzügigen Verschonung von vererbtem Betriebsvermögen. Sie sind mit dem Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes unvereinbar.
Grundsätzlich sei es aber legitim, gerade Familienunternehmen teilweise oder sogar vollständig von der Erbschaftsteuer zu befreien, betonten die Karlsruher Richter. Dem Gesetzgeber setzten sie eine Frist bis zum 30. Juni 2016 für eine Neuregelung. Bis dahin seien die bisherigen Vorschriften weiter anwendbar. (Az. 1 BvL 21/12)
Das Verfassungsgericht entschied über eine Vorlage des Bundesfinanzhofs (BFH). Das oberste Steuergericht hatte die steuerliche Begünstigung von Firmenerben gegenüber Erben von Privatvermögen als Überprivilegierung in Frage gestellt. Nach der Verschonungsregel werden Erbschaften und Schenkungen dann entlastet, wenn im Zuge des Betriebsübergangs die Arbeitsplätze weitgehend gesichert werden: Wer den Betrieb fünf Jahre lang fortführt und die Lohnsumme in dem Zeitraum weitgehend stabil hält, bekommt schrittweise 85 Prozent der Steuerschuld erlassen.
Wer das sieben Jahre lang schafft, muss am Ende gar keine Steuer bezahlen. Von der Lohnsummenklausel befreit sind Unternehmen mit bis zu 20 Beschäftigten und damit fast 90 Prozent aller Firmen.
Drei Millionen Familienunternehmen betroffen
Das Urteil wurde vor allem bei den rund drei Millionen Familienunternehmen in Deutschland mit Spannung erwartet, denn es geht um die Übertragung von Milliardenwerten.
Der Erste Senat knüpfte die steuerliche Begünstigung von Firmenerben nun an strengere Maßstäbe. Denn das bisherige Ausmaß und die Ausgestaltung der Steuerbefreiung seien mit dem Grundrecht der steuerlichen Belastungsgleichheit nicht zu vereinbaren, sagte Gerichtsvizepräsident Ferdinand Kirchhof. So seien im Jahr 2012 Befreiungsmöglichkeiten in Höhe von fast 40 Milliarden Euro in Anspruch genommen worden, während der Fiskus nur 4,3 Milliarden Euro Erbschaftsteuer eingenommen habe.
Das Verfassungsgericht hält es allerdings "allgemein für gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber die persönlich geführten Familienunternehmen im Erbfall steuerlich verschont, um ihre Weiterführung nicht fiskalisch zu gefährden". Der Schutz von Familienunternehmen und Arbeitsplätzen sei "grundsätzlich ein legitimer Grund, Betriebe teilweise oder vollständig von der Steuer zu befreien".
Der Gesetzgeber habe hier einen weiten Gestaltungsspielraum. Es sei aber verfassungswidrig, "eine umfassende Verschonung ohne jegliche Bedingungen zu gewähren."
So verletze es das Gleichbehandlungsgebot, auch Großunternehmen von der Steuer zu befreien, ohne dass konkret geprüft werde, ob sie überhaupt einer steuerlichen Entlastung bedürfen. Der Gesetzgeber müsse nun präzise und handhabbare Kriterien zur Bestimmung der Unternehmen festlegen, für die eine Verschonung ohne "Bedürfnisprüfung" nicht mehr infrage komme.
Länder brauchen Einnahmen aus der Erbschaftssteuer
Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Ralf Stegner bezeichnet das Urteil als weise Entscheidung. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) müsse nun einen neuen Vorschlag vorlegen. „Denn die Länder brauchen die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer. Es werden Rekord-Vermögen vererbt, Billionen in den nächsten Jahrzehnten.“ Der Staat nehme davon „eher wenig ein“.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will indes an den Privilegien für Firmenerben festhalten. Die Richter hätten lediglich einzelne Fragen der Abgrenzung beanstandet. Im Grundsatz seien die Verschonungsregeln für Betriebsvermögen zum Erhalt von Arbeitsplätzen und Unternehmen anerkannt worden. Die Neuregelungen würden „so zügig wie möglich“ umgesetzt.
Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer zeigte sich erleichtert: „Betriebsvermögen von kleinen und mittleren Betrieben dürfen im Erbfall verschont werden. Die Politik muss bei der weiteren Reform der Erbschaftssteuer diesen Grundsatz berücksichtigen.“ Der Präsident des Industrie-Verbandes BDI, Ulrich Grillo, mahnte, die Politik müsse jetzt ihr Versprechen einhalten, den Generationenwechsel in Familienunternehmen weiter zu ermöglichen. Alles andere gefährde Investitionen und Arbeitsplätze.
Der Präsident des Familienunternehmer-Verbandes, Lutz Goebel, nannte die Nachbesserungen nachvollziehbar und verwies auf den früheren Missbrauch. Trittbrettfahrer gehörten ausgeschlossen.
Die Stiftung Familienunternehmen äußerte indes die Sorge, dass Unternehmen „zu einem Spielball politischen Gezänks und ideologischer Verteilungskämpfe werden“. Zu befürchten seien weitere Verschärfungen. Unions-Fraktionsvize Ralph Brinkhaus (CDU) betonte, eine geforderte zielgenauere Auszugestaltung sei nachvollziehbar. Das mache aber das Erbschaftsteuerrecht nicht einfacher.
Sorge vor höheren Steuern
Der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) sprach sich gegen eine „Totalreform“ aus. Eine Neufassung der Regelungen dürfe nicht zu Steuererhöhungen führen.
Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, begrüßt das Urteil: „Es ist nicht zu begründen, dass die Erben ganzer Unternehmen oder von Aktienpaketen in Multimillionen- oder Milliardenwert von der Erbschaftsteuer verschont bleiben.“ Die Grünen-Politikerinnen Kerstin Andreae und Lisa Paus nannten es „ein Armutszeugnis für die große Koalition, dass das Bundesverfassungsgericht wiederholt einschreiten musste“. Die Erbschaftsteuer müsse verfassungsfest und wirtschaftspolitisch vernünftig ausgestaltet sein.
Aus Sicht von Linken-Fraktionsvize Sahra Wagenknecht hat das Bundesverfassungsgericht den Weg frei gemacht „für eine angemessene Besteuerung des Zwei-Billionen-Vermögens, das sich bei rund 19.000 Multimillionären konzentriert“.
Roland Heintze, haushaltspolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion in Hamburg, betonte: „Der Senat darf die Neuregelung der Steuer nicht als neue Einnahmequelle betrachten. Wichtig ist, dass sich Hamburg in den Verhandlungen für eine Sicherung von Arbeitsplätzen einsetzt. Die neue Steuer muss weiterhin mittelstandsfreundlich ausgestaltet sein. Betriebliches Vermögen muss bei der Übertragung auch weiterhin begünstigt werden. Die Belastung der Unternehmen darf nicht steigen. Der Mittelstand ist unser Rückgrat.“
Deutsches Forum für Erbrecht erklärt die Konsequenzen
Anton Steiner, der Präsident des Deutschen Forums für Erbrecht in München erläutert die Konsequenzen für Erben: „Für Schenkungen und Erbschaften bis zum 30.06.2016 kann alles beim Alten bleiben, da das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist gewährt hat, um nachzubessern. Erfahrungsgemäß wird die Politik diese Frist voll ausschöpfen“, sagt der Fachanwalt.
Bei großen Unternehmensvermögen fordert das Bundesverfassungsgericht, etwaige Steuerprivilegien an verschärfte Voraussetzungen zu knüpfen. „Hiervon betroffene Unternehmerfamilien werden prüfen, ob sie bis zum Inkrafttreten eines neuen Rechts noch Unternehmensübergaben durchführen“, sagt Streiner. „Aber auch Kleinbetriebe mit bis zu 20 Arbeitnehmern müssen sich auf Verschlechterungen einstellen, da das Verfassungsgericht fordert, dass auch hier Steuererleichterungen an die Kontrolle des Arbeitsplatzerhalts geknüpft werden.“ Daher werde es auch in diesem Bereich voraussichtlich zahlreiche Unternehmensübergaben noch vor dem Stichtag geben.
Eine Unsicherheit habe das Bundesverfassungsgericht für Unternehmensübergaben in der nächsten Zeit aber eingebaut: „Es schreibt, dass die Fortgeltung der verfassungswidrigen Normen es dem Gesetzgeber nicht verbietet, rückwirkend auf den heutigen Tag der Urteilsverkündung eine Verschärfung des Erbschaftsteuerrechts einzuführen, mit der einer „exzessiven Ausnutzung“ der bisherigen Steuerprivilegien ein Riegel vorgeschoben wird.“