Das Bundesverfassungsgericht zweifelt an der Privilegierung für Unternehmer. Die Wirtschaft warnt vor einer Reform
Karlsruhe. Die bohrenden Fragen der hohen Richter in den roten Roben ließen die Sorgenfalten der Wirtschaftsvertreter immer größer werden. Ob der Gesetzgeber bei den Ausnahmen nicht über das Ziel hinausgeschossen sei, wollten die Richter wissen. Ob man nicht von einer Überprivilegierung von Unternehmenserben sprechen könne? Und ob die Erbschaftssteuer Firmenerben nicht einen breiten Raum für Steuertricksereien biete? Einige Wirtschaftsvertreter mussten da erst mal schlucken. Für die rund drei Millionen Familienunternehmer steht bei der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über die Erbschaftssteuer viel auf dem Spiel.
In dem Verfahren prüfen die Karlsruher Richter, ob die Privilegierung von Firmenerben gegenüber anderen Steuerzahlern gerechtfertigt ist. Während Betriebsvermögen im Regelfall vollständig von der Erbschaftssteuer ausgenommen ist, müssen Privatpersonen bis zu 50 Prozent der Erbschaft an den Fiskus abgeben. Der Bundesfinanzhof (BFH) hält diese seit 2009 geltenden Regelungen für verfassungswidrig. Die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen sei eine unzulässige „Überprivilegierung“, meinen die Finanzrichter. Zudem gebe es zahlreiche „Gestaltungsmöglichkeiten“, die es ermöglichen, die Steuer auch für Privatvermögen ganz zu umgehen.
Das Bundesverfassungsgericht muss nun über die Vorlage des BFH entscheiden und prüfen, ob die Vergünstigungen für Unternehmen so weitreichend sind, dass eine gerechte Besteuerung nicht mehr gewährleistet ist – oder ob aus Gründen des Gemeinwohls Betriebsvermögen steuerlich bevorzugt werden kann. Am Dienstag fand dazu die erste mündliche Anhörung in Karlsruhe statt. Das Urteil wird im Herbst erwartet.
Die Richter ließen sich nicht in die Karten schauen, keinesfalls wollten sie eine Tendenz erkennen lassen. Und doch bereitete vor allem die Art der Fragen den Wirtschaftsvertretern Bauchschmerzen. Der Berichterstatter des Verfahrens, Michael Eichberger, warf die Frage auf: „Darf die Steuerverschonung ohne eine individuelle Prüfung gewährt werden, ob das Unternehmen überhaupt der Verschonung bedarf?“ Und Gerichtsvizepräsident Ferdinand Kirchhof sagte, die geltenden Regelungen öffneten „einen breiten Raum für eine Steuervermeidung bis hin zur völligen Steuerbefreiung“.
Damit traf Kirchhof einen wunden Punkt. Denn nicht wenige Unternehmer hatten die Ausnahmeregelungen missbraucht, um auch ihr Privatvermögen steuerfrei zu übertragen. Dabei haben sie Privatvermögen in eine GmbH eingebracht und das Bare beispielsweise als Festgeld angelegt. Anschließend konnten sie die Unternehmensanteile steuerfrei auf Nachfolger übertragen. Der Gesetzgeber hat dem zwar inzwischen einen Riegel vorgeschoben. Aber die Anfälligkeit der Erbschaftssteuer für Schlupflöcher könnte ein zentraler Grund für die Karlsruher Richter sein, das geltende Recht zu kippen.
Wirtschaft und Regierung warnten davor und sprachen sich für die jetzige Erbschaftssteuer aus. Die Entlastungen seien für den Erhalt von Arbeitsplätzen gerechtfertigt, sagte der parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Michael Meister. Es sei Ende 2008 bei der Schaffung der Regelung angesichts der damaligen Wirtschaftskrise darum gegangen, „die Arbeitsplatzbeschaffer in der deutschen Wirtschaft nicht weiter zu belasten“. Er verwies darauf, dass über 90 Prozent der Unternehmen in Deutschland in Familienbesitz sind. Es gehe gerade in Zeiten weltweiter Umbrüche um den Erhalt der deutschen Wirtschaftsstruktur. Die Erbschaftssteuer bringe dem Staat ohnehin lediglich 4,5 Milliarden Euro im Jahr und damit weniger als ein Prozent des gesamten Steueraufkommens ein.
Ohne die derzeitigen Vergünstigungen wären Arbeitsplätze gefährdet, und die Unternehmen könnten weniger investieren, sagte auch Peer Robin Paulus vom Verband Die Familienunternehmer. Rainer Kambeck vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag berief sich auf eine Studie des Bundesfinanzministeriums. Danach nahm der Fiskus 2012 wegen der Privilegien zehn Milliarden Euro weniger ein. Hätten die Unternehmen das zusätzlich zahlen müssen, wären 500.000 Arbeitsplätze gefährdet gewesen. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Markus Kerber, warnte: „Sollte die geltende Regelung gekippt werden, droht vielen Familienunternehmen ein Ausverkauf.“ So würden Familienunternehmen bei der Festsetzung der Steuer regelmäßig überbewertet. Erst die Verschonungsregelungen glichen diesen Nachteil aus.
Diese Argumente schienen die Richter nicht ganz zu überzeugen. Da Betriebe bislang immer auf irgendeine Art von der Erbschaftssteuer ausgenommen waren, liegen keine harten Fakten vor, ob tatsächlich bei einer Reform Arbeitsplätze gefährdet sind. Die Wirtschaftsvertreter mussten sich deshalb mit Umfragen behelfen. So gaben 52 Prozent der Familienunternehmer an, sie hätten ohne die Regelungen Arbeitsplätze abbauen müssen.
Ökonomen sind in seltener Eintracht für eine Reform. Der gängigste Vorschlag, den auch der Wissenschaftliche Beirat beim Finanzministerium macht: weniger Ausnahmen, dafür niedrigere Tarife. Auch Hermann-Ulrich Viskorf, Vizepräsident des Bundesfinanzhofs, hat ein entsprechendes Konzept vorgelegt. Bis zu zwölf Milliarden Euro könnte der Staat zusätzlich einnehmen, wenn er alle Erbschaften mit zehn Prozent besteuerte. Dabei geht Viskorf von einer jährlichen Erbsumme von 250 Milliarden Euro aus. Diese Summe hält das Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in einer neuen Studie allerdings für deutlich zu hoch gegriffen. So könne der Staat nur Erbschaften im Wert von 62 Milliarden Euro besteuern. Die Erbschaftssteuer wird auch wegen der extrem mauen Datengrundlage ein Streitfall bleiben.