In den letzten Kriegswirren landete der Nazi-Verbrecher in einem Massengrab an der Großen Hamburger Straße in Berlin. Ein Historiker bestätigte die Spekulation.
Berlin. Der als einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust in die Nazi-Geschichte eingegangene Gestapo-Chef Heinrich Müller ist vor Jahrzehnten auf einem jüdischen Friedhof beigesetzt worden. Der Historiker und Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, sagte am Donnerstag, Müller sei bei den Kämpfen um Berlin im Frühjahr 1945 getötet und zusammen mit anderen Opfern auf dem jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße in Berlin Mitte in einem Massengrab beerdigt worden.
Er habe bei seinen Recherchen in den Akten die Aussage eines Mannes gefunden, der schon in den 1950er Jahre gesagt habe: „Ich habe Heinrich Müller begraben.“ Er sei sich jetzt gewiss: „Heinrich Müller liegt auf dem jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße“, sagte Tuchel zu Reuters TV.
Der im April 1900 geborene Müller war einer der mächtigsten Schreibtischtäter der NS-Diktatur und maßgeblich für die Ermordung von Millionen europäischer Juden verantwortlich. Tuchel wie auch der Historiker Martin Cüppers gehen davon aus, dass Müller die Schuld am Tod einer siebenstelligen Zahl von Menschen trägt. Müller sei der „ganz zentral Verantwortliche“ für die Verfolgung der Juden gewesen, sagte Cüppers.
Er gab die Befehle der SS-Führung an die Einsatzgruppen weiter, die im Gefolge der Wehrmacht unzählige Juden ermordeten. Zu seinen Untergebenen gehörte auch der 1962 in Israel hingerichtete Adolf Eichmann, der die Deportation von Millionen europäischer Juden in die Vernichtungslager organisierte.
Dass der Antisemit Müller ausgerechnet auf einem jüdischen Friedhof beerdigt wurde, halten Tuchel und Cüppers für einen Zufall, der den Wirren der letzten Kriegstage geschuldet war. „Da war Chaos pur“, sagte Cüppers, der im Februar die Leitung der historischen Aufarbeitung der Arbeit der Ludwigsburger Zentralstelle der Justiz für die Verfolgung der NS-Verbrechen übernimmt.
An den jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße erinnert heute nur noch der Grabstein des Aufklärers und Philosophen Moses Mendelssohn (1729 bis 1786). Er ermunterte die damals in Gettos gezwungenen Juden, die deutsche Sprache zu erlernen und sich zu assimilieren. Mit ihm begann die Emanzipation der deutschen Juden, deren Ausgangspunkt Berlin war.
„In Berlin begann für europäische Juden die Neuzeit“, würdigte der damalige israelische Außenminister Schimon Peres 1986 bei einem Besuch in der damals geteilten Stadt das Wirken Mendelssohns. Gotthold Ephraim Lessing setzte seinem Freund Mendelssohn mit „Nathan der Weise“ ein literarisches Denkmal.
Der Friedhof an der Großen Hamburger Straße bestand von 1672 bis 1827 und hatte zuletzt 1817 Grabstätten, die gemäß jüdischer Tradition nicht eingeebnet werden dürfen. Der 1944 von der SS zerstörte Jüdische Friedhof wurde in den 1970er Jahren von der Ost-Berliner Stadtverwaltung eingeebnet und in eine Grünanlage umgewandelt. „Misstraut den Grünanlagen“, empfahl der 2003 verstorbene Ost-Berliner Schriftsteller Heinz Knobloch nach der Umwandlung der Begräbnisstätte.
Die Große Hamburger Straße gilt zudem als Symbol für das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Da sie seit jeher evangelische, katholische und jüdische Einrichtungen – seit 1993 ein jüdisches Gymnasium – beherbergt, ist sie als „Toleranzstraße“ in die Berliner Geschichte eingegangen. In Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten ist aber auch von der „Straße der Toleranz und des Todes“ die Rede.
Dieter Graumann, Vorsitzender des Zentralrates der Juden, sagte der „Bild“-Zeitung: „Dass einer der brutalsten Nazis-Sadisten ausgerechnet auf einem jüdischen Friedhof begraben ist, das ist eine geschmacklose Ungeheuerlichkeit. Hier wird das Andenken der Opfer grobschlächtig mit Füßen getreten.“