Mit der Aktion „Spät. Aber nicht zu spät!“ fahndet das Simon-Wiesenthal-Center nach noch nicht verurteilten NS-Schergen. Einer der Meistgesuchten lebt offenbar in Hamburg.

Hamburg. Die Menschenrechtsorganisation Simon-Wiesenthal-Center hat in dieser Woche die deutschlandweite Plakataktion „Spät. Aber nicht zu spät“ gestartet. Mit der Kampagne erhofft sie sich, noch lebende und bisher nicht verurteile Kriegsverbrecher mit Hilfe der Bevölkerung aufzuspüren.

Die Plakate, auf denen die Außenansicht des Konzentrationslagers Auschwitz zu sehen ist, werden ab heute in mehreren deutschen Großstädten aufgehängt. In Hamburg werden es rund 500 Plakate sein, die an Litfaßsäulen, U-Bahn-Stationen und anderen Freiflächen angebracht werden. Start der Plakatierungen ist in Hamburg eine Woche später als in den anderen deutschen Städten. 25.000 Euro will die Organisation für Informationen zahlen, die zu einem Prozess und am Ende zu einer Verurteilung führt.

Einer der meist gesuchten Kriegsverbrecher lebt womöglich in Hamburg

Mit dem Start der Kampagne in Hamburg wird womöglich auch dieser Name wieder fallen: Gerhard Sommer, einer der meist gesuchten und eigentlich bereits verurteilten Nazi-Verbrecher, der in der Hansestadt offenbar in einem Altersheim lebt. Er ist die Nummer zwei auf einer Liste des Simon-Wiesenthal-Centers. Der ehemalige SS-Mann war im Jahr 2005 von einem italienischen Gericht wegen „fortgesetzten Mordes mit besonderer Grausamkeit“ zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Sommer, Jahrgang 1921, kam jedoch nie in Italien in Haft. Mehrere Versuche, ihn in Deutschland anzuklagen, sind gescheitert.

Sommer war, so das italienische Gericht in La Spezia, maßgeblich beteiligt am Massaker von Sant’Anna di Stazzema in der Toskana. SS-Truppen hatten am 12. August 1944 innerhalb weniger Stunden etwa 400 bis 500 Menschen getötet. Erst im März dieses Jahres hatte Bundespräsident Joachim Gauck gemeinsam mit dem italienischen Staatschef Giorgio Napolitano an das Massaker deutscher Truppen in Sant'Anna di Stazzema 1944 erinnert. Versöhnung sei ein Geschenk und meine auf keinen Fall Vergessen, sagte Gauck, der als erster Bundespräsident den Ort besuchte. Gauck sagte, es verletze das Empfinden für Gerechtigkeit tief, wenn Täter nicht bestraft werden könnten, weil die Instrumente des Rechtsstaats dies nicht zuließen.

25.000 Euro für Informationen – Kritik an Kopfgeld

Der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn hat das vom Simon-Wiesenthal-Center ausgeschriebene Kopfgeld für Nazi-Kriegsverbrecher als pietätlos und schamlos abgelehnt. Viel wichtiger sei, dass eine solide, intensive Aufarbeitung der NS-Verbrechen weitergehe, sagte Wolffsohn am Dienstag im Deutschlandradio Kultur.

Die Plakataktion unter dem Motto „Spät. Aber nicht zu spät! Operation Last Chance II“ bringe überhaupt nichts, sondern rufe eher Mitleid mit den betagten Kriegsverbrechern hervor, kritisierte der frühere Professor an der Münchner Bundeswehr-Universität. Ähnlich sei dies auch im Prozess gegen den inzwischen verurteilten früheren KZ-Aufseher John Demjanjuk der Fall gewesen.

Zudem sei ein Aufwiegen der NS-Verbrechen mit Zahlen absurd. „Ich finde es geradezu pietätlos und schamlos: 25.000 Euro für Schwerstverbrecher“, so Wolffsohn. Mit einer moralisch intensiven Aufarbeitung habe das nichts zu tun. „Ich finde das Ganze geschmacklos.“ Wolffsohn übte insgesamt heftige Kritik am Simon-Wiesenthal-Center. Dort wehe nicht der Geist von Simon Wiesenthal, sondern der „Geist von Wichtigtuerei“.

Das ist das Simon-Wiesenthal-Center

Das Simon-Wiesenthal-Center ist durch die weltweiten Suche nach untergetauchten Nazi-Verbrechern und Kollaborateuren bekannt geworden. Die 1977 gegründete Organisation hat ihren Hauptsitz in Los Angeles. Das Simon Wiesenthal Center beschäftigt sich mit dem Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus, Terrorismus und Völkermord.