ARD hat den Herausforderer vorn, RTL die Kanzlerin. Merkel ließ sich von Steinbrück nicht beeindrucken, sagte den Zuschauern am Ende des TV-Duells: „Sie kennen mich.“
Hamburg/Berlin. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück (SPD) hat in den Augen einer ausgewählten Gruppe von Fernsehzuschauern das TV-Duell am Sonntagabend klar gewonnen. Bei einer Live-Bewertung von 220 Testsehern an der Universität Hohenheim konnte Steinbrück mit Aussagen zur sozialen Gerechtigkeit und zur Pflege punkten.
Die Umfragen in den Sendern ergaben ein unterschiedliches Bild. Die ARD rief Steinbrück zum Sieger aus. RTL sah die Kanzlerin knapp vorn.
Lesen Sie hier die wichtigsten Passagen des TV-Duells
Beim NSA-Skandal und der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa habe Steinbrück die Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU) sogar unter Druck setzen können, sagte Uni-Versuchsleiter Frank Brettschneider. Damit habe Steinbrück bei vielen zuvor unentschiedenen Teilnehmern der Studie hohe Zustimmung erzielen können.
Merkel schnitt bei der Eurokrise besser ab, allerdings sei die Zustimmung bei ihr deutlich verhaltener gewesen. Sie sei mit ihren Aussagen zur wirtschaftlichen Stärke Deutschlands kaum durchgedrungen, sagte Brettschneider.
„Sie wirkte, als sei das Duell für sie ein Pflichttermin. Dagegen war Steinbrück authentisch, wie er es lange während des Wahlkampfs nicht war“, bilanzierte der Forscher.
Die Bedeutung des TV-Duells für den Wahlausgang wird in der Forschung kritisch gesehen. Vor allem könne von Steinbrücks Leistung eine Mobilisierung eigener Anhänger und bei Unentschiedenen ausgehen, sagte Brettschneider. „Es war enorm wichtig, überhaupt mal die eigenen Anhänger dazuzubringen, eine Chance zu sehen.“
Nach anfänglich häufigen Unterbrechungen bei Merkel hätten auch die Moderatoren eine gute Leistung gezeigt, sagte Brettschneider. „Sie haben ungewöhnlich hartnäckig nachgefragt und den Finger in die Wunde gelegt.“
Die Teilnehmer der TV-Duell-Studie saßen in Hohenheim und Ravensburg, sie waren statistisch repräsentativ ausgewählt und vertraten alle politischen Lager. Während des Duells bewerteten sie die Leistung von Merkel und Steinbrück mit Drehreglern, davor und danach mit Fragebögen. Der Wert und die Aussagekraft solcher Experimente sind umstritten.
Bei den einzelnen Themen war unter anderem die Syrien-Problematik brisant. Zur Frage, wie die Staatengemeinschaft mit dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Syrien umgehen solle, sagte Merkel, sie hoffe nach wie vor auf eine einheitliche Haltung des Uno-Sicherheitsrats.
Dazu werde sie am Rande des G20-Gipfels in St. Petersburg in der zweiten Wochenhälfte „viele Gespräche“ – vor allem mit den Präsidenten Russlands und Chinas führen. „Es muss ein politischer Prozess in Gang kommen.“ Eine kollektive Antwort auf den Chemiewaffen-Einsatz sei nötig. „Das ist nicht irgendein kleines Vorkommnis, das ist ein wahnsinniges Verbrechen.“
Eine Beteiligung deutscher Soldaten an einem Militärschlag lehnte sie ab. Steinbrück bekräftigte, er halte ein militärisches Vorgehen gegen Syrien generell für falsch.
Steinbrück betonte, er wolle ein Deutschland, in dem jeder Mensch von seiner Arbeit leben und in Würde altern könne. Es fehle an gesellschaftlichem Zusammenhalt und an Chancengleichheit im Bildungssystem. Die SPD werde die Steuern erhöhen, aber nicht für alle.
Es gehe darum, dass die Stärkeren mehr Verantwortung übernähmen. Es müsse mehr in die Bildung und die Infrastruktur investiert und Schulden abgebaut werden.
Zudem müsse es einen flächendeckenden Mindestlohn geben. Merkel sagte, Deutschland stehe heute für viele Menschen besser da als vor vier Jahren. Steuererhöhungen lehnte sie ab. Wegen der guten Beschäftigung habe der Staat sehr hohe Steuereinnahmen. „Mit denen müssen wir auskommen, und mit denen werden wir auskommen.“
Zugleich schloss Merkel für den Fall ihrer Wiederwahl die Einführung einer Pkw-Maut aus. „Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben.“ Sie widersprach damit CSU-Chef Horst Seehofer, der die Einführung einer Straßen-Benutzungsgebühr für ausländische Autofahrer zur Bedingung für eine Beteiligung der CSU an der nächsten Bundesregierung nach der Wahl am 22. September gemacht hatte.
„Ich glaube nicht, dass es richtig wäre, die Autofahrer weiter zu belasten“, sagte die Kanzlerin. Steinbrück wies darauf hin, dass die Einführung einer Pkw-Maut in Deutschland aus europarechtlichen Gründen nur für In- und Ausländer möglich sei.
Der SPD-Kanzlerkandidat kündigte an, er wolle die Alterversorgung von Beamten und Angestellten angleichen. Es könne nicht sein, dass Pensionen stärker als Renten stiegen. „Die Pensionen müssen in ihrer Entwicklung fair gekoppelt werden an das, was in der umlagefinanzierten, gesetzlichen Rentenversicherung stattfindet.“ Was genau fair sei, könne er jetzt nicht sagen.
Es gehe darum, dass die Zuwächse bei den Pensionen nicht überproportional im Vergleich zu den Zuwächsen der Renten seien. Merkel warf Steinbrück umgehend Einschnitte zu Lasten der Beamten mit geringem Einkommen vor: „Also ich finde, da müssen jetzt die Polizisten, die Justizvollzugsbeamten und alle mal ganz genau hinhören.“
In der Eurokrise verteidigte Merkel ihr Vorgehen. Der Reformdruck auf die Schuldenstaaten müsse aufrechterhalten bleiben, sagte sie. Gleichwohl räumte sie ein, dass ein weiteres Hilfspaket für Griechenland nötig sein könnte. Es müsse aber zunächst abgewartet werden, wie sich die Lage weiter entwickele.
Steinbrück hielt dagegen, der entscheidende Punkt sei, dass mit der Ankündigung eines dritten Hilfsprogramms die bisherige europapolitische Strategie der Bundesregierung gescheitert sei. Man könne Krisenländern wie Griechenland nicht immer neue Sparprogramme verordnen. Was fehle, sei ein Aufbauprogramm für das Land mit stärkeren Wachstumsimpulsen.
Mit Blick auf die Energiewende waren sich Merkel und Steinbrück einig, dass eine Reform des Fördersystems für die erneuerbaren Energien anstehe. Steinbrück unterstrich, es gehe in der Energiepolitik auch darum, den Industriestandort Deutschland zu sichern. Dass die Strompreise unter einer SPD-geführten Regierung sinken würden, könne er nicht versprechen. Er versicherte aber: „Ich werde eine Steigerung zu vermeiden suchen.“
Steinbrück warf Merkel vor, in den zurückliegenden vier Jahren „vieles ausgesessen“ zu haben. Er wandte sich mit den Worten „Lassen Sie sich nicht einlullen“ an die Fernsehzuschauer. Sein Ziel sei es, Deutschland „aus dem Stillstand“ zu führen.
Die Kanzlerin setzte ihrerseits auf ihre hohen Beliebtheitswerte. „Sie kennen mich. Sie wissen, was ich anpacken möchte, und wie ich das tun möchte.“ Merkel betonte, dass sie sich für ein Deutschland einsetze, „in dem diejenigen, die etwas leisten, auch wirklich belohnt werden“.
Streit gab es wegen der NSA-Ausspähaffäre. Steinbrück warf Merkel erneut vor ihren Amtseid verletzt zu haben, Schaden für die Bundesrepublik abzuwenden. „Ich als Bundeskanzler wäre nicht auf die Idee gekommen, in einer Bundespressekonferenz zu sagen: Ich warte ab.“ Darauf entgegnete Merkel: „Ich handle nicht erst und denke dann. Ich mache das umgekehrt: Ich denke erst mal nach, dann entscheide ich und dann handle ich.“
Als Moderator Stefan Raab Merkel fragt, ob bei ihr im „Wahl-O-Mat“ wegen ihrer vielen Richtungswechsel nicht womöglich die SPD als Ergebnis herauskommen könne, betont Merkel: „Ich glaube, dass da gut CDU rauskommen kann.“ Raab – wie immer ohne Krawatte – durfte erstmals das Duell mitmoderieren, neben Peter Kloeppel (RTL), Maybrit Illner (ZDF) und Anne Will (ARD).