Das Bundesverfassungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass die Höhe der Sozialleistung für ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht ausreiche und deswegen verfassungswidrig ist. Der bisherige Satz von 225 Euro ist von den Richtern auf monatlich 336 Euro angehoben worden. Rund 130.000 Asylbewerber und Flüchtlinge beziehen in Deutschland soziale Leistungen.

Karlsruhe/Berlin. 19 Jahre war die Höhe der Sozialleistungen für Asylbewerber und Flüchtlinge in Deutschland gleich. Mit monatlich 225 Euro mussten die Ausländer um die Runden kommen. Das ist "verfassungswidrig" urteilte jetzt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Denn dieser Betrag reiche für ein menschenwürdiges Leben hierzulande nicht aus. In einer Übergangsregelung verfügten die Richter deswegen eine Anhebung auf ein Existenzminimum von monatlich 336 Euro. Außerdem beschlossen die Richter, dass 130 Euro bar ausgezahlt werden müssten. Bisher bekamen die Bedürftigen nur rund 40 Euro ausbezahlt.

Mit der neuen Regelung kommen auf die Bundesländer und Kommunen nun Mehrkosten von etwa 130 Millionen Euro zu, schätzt der Deutsche Landkreistag. Denn rund 130.000 Ausländer sind auf die Leistungen vom Staat angewiesen. Das Bundesarbeitsministerium muss nach dem Karlsruher Urteil jetzt eine Gesetzesänderung ausarbeiten. Aus dem Ministerium hieß es dazu, dass man ein einer Lösung „zügig und zeitnah„ arbeite. Ob eine Gesetzesänderung nun tatsächlich schnell erfolgen wird, ist fraglich. Denn dieser müssen die Länder zustimmen. Und eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat bisher keine Einigung gefunden, obwohl seit dem Urteil zur Höhe der Hartz-IV-Regelsätze vom 9. Februar 2010 klar ist, dass auch die Leistungen für Asylbewerber neuberechnet werden müssen. Bisher lagen sie rund 35 Prozent darunter. Eine Sprecherin von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ließ daher auch offen, ob die Gesetzesänderung noch vor der Bundestagswahl 2013 verabschiedet werden kann. „Weil es durch Bundestag und Bundesrat muss, ist es sehr schwer, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen“, sagte die Sprecherin.

+++ Zahl der Asylbewerber steigt wieder +++

Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes indes begrüßt. Die Richter hätten so Klarheit geschaffen, wie das Bundesgesetz angepasst werden müsse, erklärte der CDU-Senator am Mittwoch. Berlin werde die humanitären und juristischen Verpflichtungen aus dem Urteil umsetzen. In Berlin seien davon rund 7700 Asylbewerber betroffen. Nach ersten Schätzungen koste die Übergangsregelung Berlin rund 9 Millionen Euro mehr im Jahr.

Auch die hessische und die rheinland-pfälzische Landesregierung nahmen das Asylbewerber-Urteil positiv auf. Das Gericht habe die „Grundlagen für mehr Rechtsklarheit“ geschaffen, erklärte das Sozialministerium in Hessen am Mittwoch in Wiesbaden. Auch im benachbarten Mainz stieß die Entscheidung des Karlsruher Gerichts auf großes Wohlwollen. „Damit sind wesentliche unserer jahrelangen Forderungen erfüllt worden“, sagte Integrationsministerin Irene Alt (Grüne). Während bundesweit Sozialverbände und das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR wie auch SPD, Grüne und Linkspartei das Urteil begrüßten, schlug der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl eine härtere Gangart gegenüber Asylbewerbern vor, um die Kosten zu verringern. „Wir werden wohl angesichts dieser zusätzlichen Zahllasten dafür sorgen müssen, dass vorzeitiger oder frühzeitiger wieder ausgewiesen wird oder zur Not auch abgeschoben wird“, sagte Uhl dem Sender N24. Der CSU-Politiker hatte zuletzt durch die umstrittene Änderung des Einwohnermeldegesetzes von sich reden gemacht.

Den Anstoß für das Karlsruher Urteil gab der Fall eines irakischen Kurden, der 2003 nach Deutschland gekommen war und erfolglos Asyl beantragt hatte. Seither wird er geduldet und lebt in einer Gemeinschaftsunterkunft, in der er zuletzt Grundleistungen im Gegenwert von 224,97 Euro erhielt. Davon bekam er 40,90 Euro in bar. Laut Asylbewerberleistungsgesetz soll der Bedarf an Ernährung, Unterkunft und Kleidung vorrangig durch Sachleistungen gedeckt werden. Zur „Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens“ gibt es in bar laut geltender Gesetzesfassung „80 Deutsche Mark“ - also 40,90 Euro.

+++ Mehr Asylbewerber - jeder zweite aus Afghanistan +++

Diesen Geldbetrag wurde nun von den Richtern mehr als verdreifacht. Laut dem Vorsitzenden Richter Ferdinand Kirchhof muss ein allein lebender erwachsener Asylbewerber daher ab sofort Leistungen in Höhe von 336 Euro statt bisher 225 Euro monatlich erhalten. Ein Kind zwischen 15 und 18 Jahren erhalte nun 260 statt 200 Euro. „Als Menschenrecht gilt es für alle Personen, also auch für Asylbewerber, in gleichem Maße“, sagte Kirchhof. Es umfasse nicht nur das Überleben, sondern auch die Möglichkeit zur Kontaktpflege und in gewissem Maße die Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Für Flüchtlinge, deren Bescheide etwa wegen laufender Gerichtsverfahren noch nicht rechtskräftig sind, gelten die höheren Leistungen rückwirkend ab Januar 2011. In Ländern wie Bayern, in denen größtenteils Sachleistungen gewährt werden, muss zumindest das Taschengeld auf 130 Euro monatlich erhöht werden. Andere Länder wie Berlin setzen ohnehin allein auf Geldleistungen. Das Bundesarbeitsministerium ließ offen, ob bei der Neufassung des Gesetzes der Vorrang für Sachleistungen komplett gestrichen wird, wie Sozialverbände und Flüchtlingshilfswerke es seit langem fordern.

Mit Material von Reuters, dpa und epd