Nach dem Rücktritt des Stabschefs der türkischen Streitkräfte sowie die Kommandeure der Teilstreitkräfte gibt sich Türkeis Präsident Gül gelassen und sieht keine Krise aufkommen.
Ankara/Istanbul. Bereits am Freitag traten der Stabschef der türkischen Streitkräfte sowie die Kommandeure der Teilstreitkräfte geschlossen aus Protest gegen die Festnahme etlicher Offiziere zurück. Doch der türkische Präsident Abdullah Gül sieht nicht die Gefahr einer Krise aufkommen. Dennoch sei es ein beispielloser Vorgang. "Die Entwicklung gestern (Freitag) war außergewöhnlich in ihrem Ausmaß, aber wie man sieht, geht alles seinen Weg. Es gibt kein (Macht)Vakuum“, sagte Gül am Sonnabend.
Den festgenommenen Offizieren wird Beteiligung an Vorbereitungen zum Staatsstreich vorgeworfen. Viele zweifeln daran, dass es jemals solche Pläne gab und sehen den Prozess als Teil einer Kampagne von Ministerpräsident Recip Tayyip Erdogan gegen das säkulare Militär an. Die Regierung dementierte diese Vorwürfe stets.
In dem Machtkampf zwischen Regierung und Militär könnte Ministerpräsident Tayyip Erdogan Experten zufolge gestärkt hervorgehen und den entscheidenden Sieg über die Generalität erringen, die die Politik seiner islamisch-konservativen AKP-Partei seit Jahren mit Misstrauen beäugen. Nachfolger des zurückgetretenen Generalstabschefs Isik Kosaner dürfte der bisherige Kommandeur der Militärpolizei, General Necdet Özel, werden. Ihn beförderte Erdogan am Freitag zum Oberkommandierenden des Heeres und stellvertretenden Generalstabschef.
Unterdessen will Erdogan die Führungskrise schnell beenden. Am Montag tagt turnusgemäß der Oberste Militärrat, der zwei Mal im Jahr zusammenkommt, um wichtige Personalentscheidungen zu fällen. Das Treffen soll wie geplant über die Bühne gehen, wie Erdogans Büro ankündigte. Experten zufolge hat er nun die Chance, an der Militärspitze Offiziere zu installieren, die seiner Partei mehr gewogen sind.
Kosaner sowie die Chefs von Heer, Luftwaffe und Marine boten am Freitag ihren Rücktritt an und begründeten ihn mit der andauernden Inhaftierung von 250 Offizieren, denen Verschwörung zum Sturz Erdogans vorgeworfen wird. In einer Abschiedserklärung an seine „Waffenbrüder“ nannte Kosaner den Verbleib im Amt unmöglich. Er hatte seinen Posten erst vor einem Jahr angetreten. Er könne nicht die Rechte von Kameraden verteidigen, die wegen eines fehlerhaften Verfahrens inhaftiert seien, sagte Kosaner. Mittlerweile sind 40 Generäle und damit zehn Prozent der Kommandeure im Gefängnis.
Das einstmals mächtige türkische Militär versteht sich als Hüter des säkularen Erbes von Staatsgründer Kemal Atatürk. Es hat in den vergangenen 50 Jahren mehrfach Regierungen gestürzt. Erdogan setzte mit einer Reihe von Reformen dieser Dominanz ein Ende. Ziel war unter anderem, damit die Chancen für einen Beitritt zur Europäischen Union zu verbessern. Die Beziehungen des Militärs zu Erdogans islamisch geprägter konservativer Partei AKP sind seit deren erstem Wahlsieg im Jahr 2002 angespannt. Bei der Parlamentswahl im Juni hatte die AKP ein drittes Mal gewonnen und sich 50 Prozent der Stimmen gesichert.
Nach dem Rücktritt der Spitze der Streitkräfte dürfte Erdogan stärker als jemals zuvor seit 2002 dastehen. Experten gehen davon aus, dass seine Position nicht bedroht ist. "Vier-Sterne-Erdbeben“ überschrieb die Zeitung "Sabah“ den Rücktritt des Vier-Sterne-Generals Kosaner, während andere Blätter auf dessen Medienschelte in der Rücktrittserklärung verwiesen. Daran hatte er Journalisten die Verbreitung von Falschmeldungen über die Streitkräfte vorgeworfen und sie bezichtigt, die Armee als kriminelle Vereinigung darzustellen.
Die Zurückstellung der Generäle wurde eklatant, als die Polizei im vergangenen Jahr damit begann, reihenweise Offiziere festzunehmen. Ihnen wurde vorgeworfen, 2003 in einem Militärseminar unter dem Schlagwort "Operation Vorschlaghammer" einen Staatsstreich gegen Erdogans Regierung durchgesprochen zu haben. Die Angeklagten wiesen die Belastungsbeweise gegen sie als konstruiert zurück. Ihrer Darstellung nach handelte es sich lediglich um militärische Planspiele.
(abendblatt.de/dapd/rtr)