Die Bundesregierung will die Steuern senken, trotz massiver Kritik. Es soll bereits Pläne geben, wie der Bundesrat umgangen werden kann.
Berlin. Trotz aller Kritik hält die schwarz-gelbe Koalition an ihrer angekündigten Steuersenkung fest – allerdings nicht bereits zum Anfang kommenden Jahres. Regierungssprecher Steffen Seibert wies am Donnerstag Spekulationen über einen Entlastungsschritt bereits zum 1. Januar 2012 zurück.
Eine Steuerreform wird vom schwer angeschlagenen Koalitionspartner FDP bereits seit Langem gefordert. Allerdings braucht die Regierung dafür die Zustimmung des Bundesrats – und muss deshalb den Kompromiss mit SPD und Grünen suchen. Von der Opposition, aber auch von Ländern, Kommunen und Ökonomen wurde bereits Kritik an den Plänen laut. In der Koalition wird deshalb auch über eine Entlastung bei Sozialbeiträgen diskutiert. Möglich sind Änderungen beim Solidaritätszuschlag – hier ist keine Zustimmung der Länder nötig.
Seibert sagte: „Die Bundesregierung wird in dieser Legislaturperiode Steuererleichterungen für kleine und mittlere Einkommen beschließen – aber noch nicht zum 1. Januar 2012.“ Einen genauen Zeitraum ließ er offen. Union und FDP würden gemeinsam sehr genau betrachten, welche finanziellen Spielräume sich ergeben: „Denn es versteht sich, dass die Haushaltsentwicklung vorgibt, welche Entlastungen wir den Bürgern verschaffen können.“
Union und FDP wollen bis Ende der Legislaturperiode im Herbst 2013 vor allem untere und mittlere Einkommen entlasten. Dazu sollen die Probleme des sogenannten Mittelstandsbauchs und der „kalten Progression“ in Folge des Einkommensteuersystems gemildert werden.
Ziel ist, dass nicht jeder zusätzlich verdiente Euro so stark steuerlich belastet wird wie bisher. Im Gespräch ist ein Entlastungsvolumen von bis zu 10 Milliarden Euro. Eine volle Glättung der Tarifkurve bei der Einkommensteuer würde 25 Milliarden Euro kosten. Bund und Länder müssten je 42,5 Prozent schultern, den Rest die Kommunen.
CDU-Wirtschaftsexperte Michael Fuchs brachte eine Reduzierung der Sozialbeiträge ins Spiel. „Wir können Entlastungen über die Versicherungen schaffen“, sagte er in der ARD. In der Rentenkasse sei „enorm viel Geld“. Hier sei eine Beitragssenkung denkbar.
Unter Umständen könne auch der Solidaritätszuschlag von 5,5 Prozent gesenkt werden, sagte Fuchs. Die Einnahmen stehen allein dem Bund zu. Der Bundesrat, in dem Schwarz-Gelb keine Mehrheit hat, müsste hier nicht zustimmen. In diesem Jahr erwartet der Bund Einnahmen aus dem „Soli“-Zuschlag von 12,15 Milliarden Euro.
Die Steuerpläne sollen nach den bisherigen Plänen am 6. Juli im Kabinett besprochen werden. Dann will die Regierung auch den Haushaltsentwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für 2012 und den Finanzplan bis 2015 billigen. Schäuble hatte bisher stets betont, Steuersenkungen gebe es nur bei finanziellen Spielräumen.
Gegen die Pläne regt sich auch in der Unionsfraktion im Bundestag sowie bei CDU-Politikern der Länder Widerstand. „Ich sehe da derzeit überhaupt keine Mehrheit“, sagte Fraktionsvize Michael Kretschmer (CDU) dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstag). „Die Leute wollen keine Wohltaten. Die wollen, dass die Sache von A bis Z stimmig ist.“
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bekräftigte im Deutschlandfunk: „Für diese Legislaturperiode ist es schlicht und einfach ausgeschlossen und unverantwortlich.“ Eine Abschaffung des „Soli“-Zuschlags hält er für falsch. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) sagte: „Das ist eine der typischen Debatten, die immer wieder kommen und gehen.“
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zeigte sich prinzipiell offen. Es sei zwar oberste Priorität, die Haushalte zu sanieren. In der „Financial Times Deutschland“ (Donnerstag) sprach er sich aber auch für die Abfederung der „kalten Progression“ aus.
Das Hamburgische Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) äußerte sich skeptisch. „Wir müssen den Konsolidierungsprozess bei den Staatsfinanzen fortsetzen, und auch bei den Ländern ist da noch Nachholbedarf“, sagte HWWI-Konjunkturchef Michael Bräuninger. „Wir müssen in einer guten Konjunktur auch einmal Überschüsse generieren, um Defizite in einer schlechten Konjunktur verkraften zu können.“
Die Opposition bekräftigte ihre Kritik. „Das große Steuersenkungs- Durcheinander in der schwarz-gelben Koalition ist unerträglich“, sagte SPD-Fraktionsvize Joachim Poß. Der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, sieht die FDP „politisch so pleite“, dass Kanzlerin Angela Merkel den Rettungsschirm aufspanne. Ohne Not setze Merkel nachhaltige Finanzpolitik aufs Spiel.
Der Industrie- und Handelskammertag nannte es einen „ganz wichtigen Schritt“, das Problem der „kalten Progression“ anzugehen. Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben forderte im RBB-Inforadio die Opposition auf, nicht reflexartig sofort Nein zu sagen.
(dpa/dapd/rtr/abendblatt.de)