Zum ersten Mal erklärt sich der Ex-Bundespräsident. „Meine Äußerungen wurden bewusst missverstanden.“ Köhler mischt sich in aktuelle Debatten ein.
Hamburg. Horst Köhler hat seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten verteidigt. Seinen damaligen plötzlichen Entschluss begründete er mit Angriffen auf sich und sein damaliges Amt. „Ich bin zurückgetreten, um Schaden vom Amt abzuwenden. Die Angriffe auf mich im Zusammenhang mit meinen Äußerungen über sicherheitspolitische Interessen Deutschlands waren ungeheuerlich und durch nichts gerechtfertigt“, sagte Köhler ein Jahr nach seinem Rücktritt in einem an diesem Mittwoch veröffentlichten Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“.
Er fügte hinzu: „Es war die Rede von der Befürwortung von Wirtschaftskriegen und möglichem Verfassungsbruch. (...) Kann man einem Bundespräsidenten angesichts der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts Schlimmeres vorwerfen?“ Köhler kritisierte den Umgang mit dem damaligen Radio-Interview: „Meine Äußerungen wurden im Vorfeld der Diskussion um die Verlängerung des Afghanistanmandats der Bundeswehr bewusst missverstanden und für parteipolitische – auch innerparteiliche – Ziele instrumentalisiert.“ Es sei ihm „um Respekt und Wahrhaftigkeit in der politischen Kultur unseres Landes“ gegangen.
Köhler unterstrich, er habe sich nie in das Amt des Bundespräsidenten gedrängt. „Ich habe mich für das Amt des Bundespräsidenten in die Pflicht nehmen lassen. Die Anfrage schmeichelte mir, aber 80 Prozent war Pflichtgefühl. Ich dachte, ich könnte mit meiner beruflichen Erfahrung auch helfen. Ich kannte und akzeptierte aber selbstverständlich das Institutionen- und Machtgefüge unserer Verfassung.“
Seit einem Jahr führe er „wieder ein normales Bürgerleben. Ich bin mit mir im Reinen und genieße manche Dinge, die ich vorher nicht hatte.“ Und: Er wolle in Ruhe seine „Lebensgeschichte“ aufschreiben, sagte Köhler, der derzeit unter anderem eine Honorarprofessur an der Universität Tübingen hat.
Köhler plädiert dafür, dass Europa mehr afrikanische Flüchtlinge aufnimmt. „Wir können eindeutig mehr verkraften“, sagte er. Zwar könne eine nachhaltige Lösung des Flüchtlingsproblems nur darin bestehen, „dass die Menschen Arbeit und Einkommen in ihren Heimatländern bekommen. Aber natürlich wären wir auch stark genug, in der unmittelbaren Notsituation mehr Flüchtlinge aufzunehmen.“ Europa sei in der Gefahr, „sich selbst zu verraten.“ Dabei würden langfristige Interessen missachtet. Köhler sagte: „Die Rebellion in Nordafrika ist die letzte Warnung, dass es uns mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Afrika wirklich ernst sein muss.“ Der bekennende Afrika-Freund Köhler reist in den kommenden Tagen nach Tansania, Uganda, Ruanda und Äthiopien.
Köhler hat sich außerdem für Hilfen für Griechenland und andere Staaten ausgesprochen. Es müsse darum gehen, „aufzurütteln, damit die Deutschen begreifen, was auf dem Spiel steht“. Auf die Frage, ob die Unterstützung für alle von der Schuldenkrise betroffenen Länder gelten solle, also für Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien, sagte er: „Ja, natürlich. Ohne diese Länder wäre Europa nicht Europa. Wir wären töricht, das gering zu schätzen.“ (dpa/abendblatt.de)