Libyscher Diktator Gaddafi kündigt an weiterzukämpfen. Die USA zieht sich dennoch zurück. Die Frontverläufe werden derweil immer undeutlicher.
Adschdabija/Washington/Hamburg. Ein Waffenstillstand in Libyen wird zunehmend unwahrscheinlicher. Am Freitag formulierten die Rebellen nochmals ihre konkreten Forderungen: einen Rückzug der Soldaten von Muammar al Gaddafi aus allen Städten-Zudem müssten künftig auch friedliche Proteste zugelassen werden, erklärte ein Oppositionsführer, Mustafa Abdul Dschalil, auf einer Pressekonferenz mit dem UN-Sondergesandten Abdelilah al Chatib in Bengasi. Bengasi soll eine friedliche Lösung in Libyen vermitteln. Keine einfache Aufgabe. Um einen friedlichen Weg zu bekräftigen, kündigten die USA ein Ende ihrer Luftangriffe in dem Land an. Die libysche Opposition schloss ein Ölgeschäft mit Katar ab, um Geld für den Kauf von Waffen zu erhalten.
Abdul Dschalil sagte weiter, dem libyschen Volk müsse die Möglichkeit gegeben werden, über sein Schicksal selbst zu entscheiden. Er kündigte an, Libyen werde sich für die Freiheit entscheiden. Unterdessen lieferten sich die Rebellen im Osten des Landes wieder Gefechte mit Regierungstruppen. Ein Reporter der Nachrichtenagentur AP beobachtete, dass die Aufständischen mittlerweile deutlich besser ausgerüstet seien als bisher. So verfügten sie über Minen- und Raketenwerfer sowie über mehr Funkgeräte und Satellitentelefone.
Keine klaren Frontlinien
Die Frontlinien werden derweil immer unübersichtlicher. Die Rebellen stoppten Journalisten westlich von Adschdabija, weit vom Ort der Gefechte entfernt. Es war unklar, wo am Freitag die Front verlief. Zuvor hatten die Regierungssoldaten die Rebellen etwa 160 Kilometer entlang der Küste zurückgedrängt. Die Regimegegner schienen sich am Freitag neu zu formieren. Sie bildeten Einheiten aus jeweils sechs bis sieben Freiwilligen, die von einem ehemaligen Mitglied der Streitkräfte geführt wurden.
Unterdessen wurde bekannt, dass die NATO in den ersten 24 Stunden nach der Kommandoübernahme 74 Einsätze über libyschem Territorium flog. Ob auch Stellungen von Machthaber Gaddafi bombardiert wurden, wollte ein NATO-Sprecher nicht bestätigen. Die Allianz hatte am Donnerstagmorgen das Kommando von Franzosen, Briten und Amerikanern übernommen, die seit dem 19. März Gaddafis Truppen bombardiert hatten. NATO-Kommandeur Admiral James Stavridis sagte, der Libyen-Einsatz zeige wie fähig die westliche Allianz zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges noch immer sei.
Gaddafi will weiterkämpfen
Die libysche Opposition gab eine Vereinbarung mit Katar bekannt, wonach sie für das von ihr kontrollierte Öl von dem Golfemirat Geld für den Kauf von Waffen erhält. Katar habe zugestimmt, das derzeit in Depots im Südosten Libyens lagernde Öl zu vermarkten, sagte Ali Tarhuni am Freitag. Tarhuni ist beim Nationalen Übergangsrat der Opposition für die Finanzen zuständig. Wann der Vertrag unterzeichnet wurde und die Öllieferungen beginnen sollten, war unklar. Gaddafi lehnte einen Rücktritt am Donnerstag erneut ab. Nicht er müsse zurücktreten, sondern die Regierungschefs der an den Angriffen auf Libyen beteiligten Länder, erklärte er. Das staatliche Fernsehen blendete seine Äußerungen in einem Laufband ein, er selbst trat nicht auf.
Trotz jüngster Bodengewinne der Truppen Gaddafis wollen die Vereinigten Staaten ihre Kampfeinsätze im Land beenden. Ab Sonntag fliegen US-Kampfjets keine Einsätze mehr gegen die Regierungssoldaten, wie US-Generalstabschef Admiral Mike Mullen vor dem Kongress in Washington ankündigte. Die USA wollten sich auf eine rein unterstützende Rolle beschränken und nur auf Bitten der NATO-Führung wieder Angriffe in Libyen fliegen, erklärte Mullen. Diese Angriffe müssten ansonsten Frankreich, Großbritannien und andere NATO-Mitglieder übernehmen. Die USA werden den Angaben zufolge aber weiter Flugzeuge in der Luft betanken sowie Rettungs- und Aufklärungsmissionen fliegen. Unklar war, ob die Angriffe mit Tomahawk-Marschflugkörpern, die von US-Schiffen im Mittelmeer abgefeuert werden, weitergehen sollen. Über Nacht seien keine Marschflugkörper dieses Typs abgefeuert worden, verlautete am Freitag aus Kreisen des US-Verteidigungsministeriums. Mullen enthüllte, dass schlechtes Wetter eine wichtige Rolle bei den jüngsten Erfolgen der libyschen Truppen spielte. Viele Kampfmissionen hätten deshalb zu Beginn der Woche nicht stattfinden können, sagte er. Bislang habe Gaddafis Truppe bis zu 25 Prozent ihrer Feuerkraft verloren. Allerdings seien die Rebellen immer noch zahlenmäßig klar unterlegen.
Was wollen die Rebellen?
Die USA wollen die Beziehungen zu den Aufständischen nicht weiter ausbauen. Dafür sprach sich Verteidigungsminister Robert Gates in der Anhörung aus. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei er gegen die Ausbildung und Bewaffnung der Rebellen, sagte Gates. Er schloss aber nicht aus, dass diese Rolle arabische Staaten oder andere Länder übernehmen könnten. Bislang lägen noch zu wenig Informationen über die Aufständischen und ihre Ziele vor.
Das Ende der US-Kampfeinsätze wurde im Kongress umgehend kritisiert. Dabei gäben die USA ein wichtiges Werkzeug auf, mit dem die Menschen in Libyen vor den Angriffen der Gaddafi-Truppen geschützt werden könnten, erklärte ein Senator. „Verrückt“ und „Besorgnis erregend“ lauteten einige der Kommentare. Der frühere Bewerber um das Präsidentenamt, John McCain, sagte, er halte diesen Rückzug aus der Libyen-Missoin für einen „schwerwiegenden Fehler mit möglicherweise desaströsen Folgen“. Zuvor hatten US-Abgeordnete der Regierung von US-Präsident Barack Obama vorgeworfen, vor dem Beginn des Libyen-Einsatzes nicht offen genug mit dem Kongress gewesen zu sein. Einige beklagten, der Einsatz sei teuer und die Ziele seien nicht klar genug definiert.
Mitarbeiter Gaddafis in London
Ein Mitarbeiter Gaddafis führte in den vergangenen Tagen in London Gespräche mit britischen Regierungsvertretern. Die BBC und andere Medien meldeten, bei dem Mitarbeiter habe es sich Mohammed Ismail gehandelt, einen ranghohen Berater von Gaddafis Sohn Saif al Islam. Ismail sei nach den Gesprächen wieder nach Libyen zurückgekehrt. Zwei Gewährsleute erklärten, Ismail habe in London Verwandte besucht. Die Regierung habe davon erfahren und die Gelegenheit genutzt, mit ihm zu sprechen. Beide betonten, Ismail sei nicht von Gaddafi entsandt worden. In London wurde unterdessen der ehemalige libysche Außenminister Mussa Kussa, der am Mittwoch nach Großbritannien geflohen war, von den Behörden weiter befragt. Angehörige der Opfer des Flugzeugabsturzes von Lockerbie 1988 forderten, Kussa erneut zu dem Anschlag zu befragen.
Der libysche Geheimdienstchef Buseid Dorda wies unterdessen in einem telefonischen Interview des libyschen Staatsfernsehens Gerüchte zurück, er wolle sich von Gaddafi lossagen. Seit Beginn der Unruhen in Libyen Mitte Februar haben sich mehrere Angehörige des Regimes auf die Seite der Opposition gestellt.
Deutschland und China: Politische Lösung finden
Der deutsche Bundesaußenminister Guido Westerwelle sprach sich erneut gegen eine militärische Lösung in Libyen aus. Es könne nur einen politischen Weg geben, betont er. Ein politischer Prozess, der dringend benötigt wird, sagt Westerwelle, kann nur mit einem Waffenstillstand beginnen. Die chinesische Regierung appellierte wiederholt daran, den Geist der UN-Resolution zu respektieren und somit auch die Souveränität, Unabhängigkeit, Selbstständigkeit sowie die territoriale Einheit Libyens zu akzeptieren. Der chinesische Außenminister Yang Jiechi betonte, wie Westerwelle, es müsse auf diplomatische und politische Art eine Lösung gefunden werden.
Mit Material von dpa, dapd, AFP und Reuters