Von wegen altersmilde: Bei der Buchvorstellung kommt Joschka Fischer der Name von Außenminister Guido Westerwelle nicht über die Lippen.
Berlin. Als Polit-Rentner kommt Joschka Fischer einigermaßen entspannt daher. Der Ex-Außenminister schwelgt öffentlichkeitswirksam in Erinnerungen über die rot-grüne Regierungszeit. Einen ersten Band hatte Fischer 2007 vorgelegt. Nun also Teil zwei der Memoiren. Der einstige Ober-Grüne gibt sich bei der Buchvorstellung in Berlin friedlich, fast ein wenig altersmilde. Über die aktuelle Politik wolle er eigentlich gar nicht viel sagen, kündigt der frühere Polterer zu Beginn an. Ganz ohne Attacken geht es für ein Alphatier im Ruhestand aber doch nicht.
450 Seiten hatte Fischer den rot-grünen Jahren in seinem ersten Band gewidmet – vom Start der Regierung bis zum Terroranschlag vom 11. September 2001. Nun folgen 368 Seiten Erinnerungen über die übrigen Regierungsjahre – vor allem über den Irak-Krieg und das Zerwürfnis mit den USA. Der Titel: „I am not convinced“ – Fischers denkwürdiger Satz, mit der dem damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld das deutsche Nein zu dem Krieg entgegen schleuderte.
Mehrere Dutzend Journalisten sind zu Fischers Gedenkstunde in die Akademie der Künste gekommen. Ein paar Stühle bleiben trotzdem leer. Fischer ist leger gekleidet: Dunkler Anzug, helles, kariertes Hemd, offener Kragen, keine Krawatte. Seinen obligatorischen Dreireiher aus den Ministerjahren braucht er nicht mehr. Fischer erzählt lange aus seinem Buch, spricht von wichtigen und weniger wichtigen Begegnungen, doziert über die Veränderungen der Weltordnung und hat viel Lob über für seinen alten Weggefährten Gerhard Schröder übrig. Der SPD-Mann habe eine „große Kanzlerschaft“ hingelegt, sagt Fischer, und er selbst habe das „Privileg“ gehabt, das Ganze über Jahre aus der Nähe zu betrachten. Die Zuhörer runzeln die Stirn.
Nun gut, zwei liebenswerte „Chorknaben“ seien er und Schröder sicher nicht gewesen, schiebt Fischer nach, eher „robuste Charaktere“, durchaus „egomanisch“, „Alphatiere“ eben. Gekracht habe es deshalb oft, aber beide hätten „sehr darauf geachtet, dass Tür und Fenster zublieben“. Und sowieso: „Bei allem, was es an Chaos gegeben hat und an Fehlern“, habe Rot-Grün auf Gestaltung durch Macht gesetzt und nicht auf „Verwaltung der Macht“, sagt der 62-Jährige und holt aus zum Abgesang auf die politische Kultur in Deutschland.
Wo wollen wir hin? Diese Frage werde heute nicht nur nicht beantwortet, es gebe auch zu wenig Interesse daran. Das gelte nicht nur für die Regierung, sondern auch – „es tut mir leid, dass ich das so sagen muss“ – für die Opposition. Ein Stich auch gegen seine Partei. Das Verhältnis zwischen Fischer und den Grünen ist gespalten. Der frühere Leitwolf, der dominante Über-Grüne hat heikle Befindlichkeiten hinterlassen. Kommt das Gespräch auf ihn, verfällt mancher Grüne in angespanntes Unwohlsein. Das weiß Fischer nur zu gut. Deshalb sei es auch nicht seiner Egomanie, sondern gerade seinem „sozialen Charakterzug“ geschuldet, dass er sich nicht mehr in der Partei einmische, sagt er.
Den Saal verlässt Fischer nicht, ohne noch ein paar weitere Spitzen verteilt zu haben. So denkt er laut darüber nach, ob Deutschland in der Europapolitik mit seinem Nachfolger Frank-Walter Steinmeier (SPD) nicht besser aufgestellt wäre „als mit – ähm – ähm – der aktuellen Entscheidung“. Der Name von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) kommt ihm nicht über die Lippen.
Auch dem plagiats-geplagten Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) erspart Fischer seine Sticheleien nicht. Sein Buch habe er „selbst gemacht – vom ersten bis zum letzten Anschlag“, sagt Fischer genüsslich, „Fußnoten gibt es allerdings keine.“ Von Altersmilde ist das doch noch weit entfernt. (dapd)
Joschka Fischer: „I am not convinced“ – Der Irak-Krieg und die rot-grünen Jahre. Kiepenheuer & Witsch. 368 Seiten. 22,95 Euro)