Die großen deutschen Reiseveranstalter wollen keine Urlauber mehr nach Ägypten bringen. 4500 Menschen sitzen in Kairo am Flughafen fest.
Kairo/Berlin. Die Flucht Tausender Menschen aus Ägypten hat am Dienstag zu chaotischen Zuständen auf dem Flughafen in Kairo geführt. Zwar trafen weitere Sondermaschinen ein, um Ausländer und Einheimische außer Landes zu fliegen, doch mehr als 4.500 Menschen warteten noch immer verzweifelt darauf, das Land verlassen zu können. Die Lage wird immer bedrohlicher, inzwischen rät auch das Auswärtige Amt von Reisen nach ganz Ägypten ab.
Die großen deutschen Reiseveranstaltern kündigten an, bis Mitte Februar keine Urlauber mehr nach Ägypten zu bringen. Die Reiseverträge werden von den meisten Veranstaltern aktiv gekündigt, sagte ein Sprecher des Deutschen Reiseverbandes am Dienstag in Berlin.
Die verschärfte Reisewarnung gilt auch für die Touristengebiete am Roten Meer. Weniger zögerlich reagierte die amerikanische Regierung auf die anhaltenden Proteste gegen Staatspräsident Husni Mubarak: Die US-Botschaft in Kairo hatte bereits am Sonntag alle Amerikaner aufgefordert, Ägypten zu verlassen. Alle nicht unbedingt für die Arbeit der US-Botschaft notwendigen Mitarbeiter wurden am Dienstag zurück nach Amerika geschicht.
Angesichts der Menschenmassen ist das Flughafenpersonal heillos überfordert, Lebensmittel werden knapp, verlässliche Fluginformationen gibt es nicht. Selbst ein Flugticket garantiert nicht, dass man einen Platz im Flieger bekommt. Panik macht sich breit – und Bestechung. Passagiere berichten, dass Polizisten Bestechungsgelder verlangen, bevor sie einen an Bord lassen. „Die Terminals sind voller panischer Menschen. Das Bodenpersonal ist verschwunden, und am Gate, kurz vor dem Einsteigen, mussten wir 2.000 Dollar für einen Polizisten an der Tür zusammenlegen“, sagte ein kanadischer Tourist am Dienstag nach Ankunft am Frankfurter Flughafen. Der Polizist hätte sie ohne Bestechung nicht passieren lassen.
Eine Geschäftsfrau, die aus New York für eine Konferenz angereist war, berichtete über die zunehmend bedrohliche Lage in Kairo. Von ihrem Hotelzimmer im neunten Stock aus habe sie Plünderungen beobachtet, Feuergefechte, Menschen, die auf andere geschossen hätten. Das Hotelpersonal habe sich mit allem bewaffnet, was sie fassen konnten. Mit Messern und Stöcken hätten die Angestellten versucht, die Hotelgäste vor den Plünderern zu schützen.
Auch die Fahrt zum Flughafen gestaltet sich schwierig. Inzwischen gibt es so viele Kontrollpunkte auf den Straßen, auch von den Bürgerwehren, dass es kaum noch möglich ist, durchzukommen.
Unterdessen meldete die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua, dass ein erstes Flugzeug mit 265 Passagieren an Bord am Dienstag in Peking erwartet wurde. China hat ein halbes Dutzend Sondermaschinen nach Ägypten geschickt, um seine Bürger aus dem Land zu bringen. Ein österreichisches Militärflugzeug landete am Dienstagmorgen in Wien. An Bord waren auch Deutsche. Insgesamt hatten nach Angaben eines Flughafensprechers mindestens 18 Charterflüge mit mehr als 1.500 Ausländern an Bord Kairo am Morgen in Richtung Europa verlassen.
Auch der Irak hat sich entschlossen, seine Bürger in Sicherheit zu bringen. Drei Flugzeuge wurden zu diesem Zweck nach Ägypten geschickt, darunter auch die Maschine des Ministerpräsidenten. Tausende Iraker waren vor der Gewalt in ihrem eigenen Land nach Ägypten geflohen.
Die ägyptische Fluggesellschaft EgyptAir hat rund 75 Prozent ihrer Flüge abgesagt, weil sie wegen der Ausgehverbote und der Straßensperren in Kairo nicht das notwendige Personal zusammenbekommt.
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Die Straßen zum Palast des Präsidenten Husni Mubarak wurden gesperrt, der öffentliche Nahverkehr ruht. Und es strömen immer mehr Menschen ins Zentrum von Kairo – der Marsch der Millionen beginnt. Und Oppositionspolitiker Mohamed el-Baradei würde Mubarak am liebsten vor Gericht stellen. Am achten Tag der Proteste gegen Mubarak haben sich auf dem Tahrir-Platz in Kairo und den angrenzenden Straßen am Dienstagvormittag mehr als 100.000 Demonstranten versammelt. In Sprechchören und auf Transparenten verlangten sie den Rücktritt Mubaraks. An den Eingängen zu dem Platz kontrollierten Zivilisten die Ausweispapiere und durchsuchten die Teilnehmer. Soldaten beobachteten die Szenerie, griffen aber nicht ein. Auffällig war, dass unter den Demonstranten deutlich mehr Vertreter der Muslimbruderschaft als zuletzt zu sehen waren.
Die Bundesregierung hat angesichts der Entwicklung in Ägypten am Dienstag ihren Reisehinweis für das Land verschärft. „Das Auswärtige Amt rät von Reisen nach ganz Ägypten dringend ab“, sagte Außenminister Guido Westerwelle in Berlin. „Das schließt ausdrücklich die Touristengebiete am Roten Meer ein.“ Das gelte, auch wenn dort die Lage derzeit ruhig sei.
„Präsident Mubarak muss den Willen des ägyptischen Volkes respektieren und sich zurückziehen, um ein Blutbad zu verhindern“, hieß es in einer Erklärung von 50 Menschenrechtsorganisationen. Zu den Unterzeichnern gehören die wichtigsten Menschenrechtsgruppen des Landes, darunter das Zentrum für Menschenrechtsstudien in Kairo, der Verband für wirtschaftliche und soziale Rechte sowie das arabische Zentrum für die Unabhängigkeit der Justiz.
Neben dem Rückzug von Mubarak forderten sie eine neue Verfassung sowie Parlaments- und Präsidentschaftswahlen innerhalb der nächsten sechs Monate. Oppositionspolitiker Mohamed el-Baradei rief Mubarak auf, sich nach 30 Jahren an der Macht zurückzuziehen. Die Menschen auf den Straßen des Landes forderten nicht mehr nur seinen Rücktritt, sondern dass er vor Gericht zur Verantwortung gezogen werde, sagte der Friedensnobelpreisträger der britischen Zeitung „Independent“. „Wenn er seine Haut retten will, zieht er sich lieber zurück.“
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte in der ARD, dass der Demokratisierungsprozess eine innerägyptische Angelegenheit sei. Die Bundesregierung ergreife Partei für Bürgerrechte, für Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, sagte er. Wie der demokratische Prozess ablaufe, sei aber Sache Ägyptens. Deutschland könne praktische Hilfe anbieten, zum Beispiel beim Aufbau einer unabhängigen Justiz.
Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) will trotz der Unruhen weiter Entwicklungshilfe an Ägypten zahlen. Derzeit sei es viel zu früh, um über mögliche Konsequenzen für die Zusammenarbeit zu sprechen, sagte Niebel dem Hamburger Abendblatt. Niebel schließt jedoch nicht aus, dass es zu Sanktionen seines Ministeriums kommen könnte. „Die Einhaltung der Menschenrechte und gute Regierungsführung sind wesentliche Kriterien für die Ausgestaltung unserer Kooperation.“ In Ägypten wird nach Angaben Niebels ausschließlich projektbezogen gearbeitet. Deutsche Experten hätten daher jederzeit die Kontrolle über den Einsatz der Finanzmittel. Engagiert sei die Bundesrepublik unter anderem in Projekten der Stadtteilentwicklung und der Förderung von Frauenrechten. (abendblatt.de/dapd/dpa/AFP)