Das Strafmaß ist noch nicht bekannt. Sein Geschäftspartner Lebedew wurde ebenfalls schuldig gesprochen. Die Polizei verhaftete Demonstranten.
Moskau. Michail Chodorkowski, früherer Ölmagnat und Kreml-Kritiker, ist in einem zweiten umstrittenen Prozess schuldig gesprochen worden. Der Richter machte bei der Urteilsverlesung am Montag zunächst keine Angaben zum Strafmaß. Chodorkowski werden Unterschlagung und Geldwäsche zur Last gelegt. Der Ex-Chef des inzwischen zerschlagenen Öl-Konzerns Yukos soll zwischen 1998 bis 2003 Öl im Wert von 27 Milliarden Dollar gestohlen haben. Kritiker halten das Verfahren für politisch motiviert und sehen den Schuldspruch als Rückschlag für die von der russischen Führung versprochene Reform des von Korruption und staatlicher Einflussnahme geprägten Rechtssystems. Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte sich ebenfalls besorgt.
Die Staatsanwaltschaft hat sechs weitere Jahre Haft für Chodorkowski gefordert. Der 47-Jährige sitzt derzeit eine achtjährige Strafe wegen Betrugs und Steuerhinterziehung ab, die im kommenden Jahr endet. Gemeinsam mit Chodorkowski für schuldig befunden wurde am Montag dessen Geschäftspartner Platon Lebedew. Es könnte noch Tage dauern, bis der rund 250 Seiten lange Urteilsspruch verlesen ist und das Strafmaß für die beiden bekanntgegeben wird. Chodorkowskis leitender Anwalt erklärte, er werde das Urteil anfechten.
Der ganz in schwarz gekleidete Chodorkowski nahm das Urteil abgeschirmt in einem Käfig aus Glas und Stahl entgegen. Er war blass, wirkte aber gefasst. Demonstrativ ignorierte er den Richter, flüsterte mit Lebedew und las in Dokumenten und Büchern. Chodorkowski hat sämtliche Anschuldigungen gegen ihn stets bestritten. Der einst reichste Mann Russlands wirft den Behörden vor, die Vorwürfe nur erfunden zu haben, damit sein milliardenschweres Geschäftsimperium zerschlagen und er politisch kaltgestellt werden könne. Die meisten Yukos-Anteile wurden an russische Staatsunternehmen verkauft.
Vor dem Gerichtsgebäude in Moskau demonstrierten am Montag einige Hundert Menschen und riefen „Freiheit!“. Der Nachrichtenagentur Interfax zufolge wurden rund 30 von ihnen festgenommen.
Chodorkowski hatte vor seiner ersten Verurteilung Ambitionen auf das russische Präsidentenamt erkennen lassen und auch aus der Haft immer wieder die russische Führung unter Ex-Präsident Wladimir Putin und dem amtierenden Staatschef Dmitri Medwedew kritisiert. Putin gilt als mächtigster Politiker Russland und bekleidet derzeit das Amt des Ministerpräsidenten, wird aber möglicherweise im Jahr 2012 wieder für das Präsidentenamt kandidieren. In einer Bürgersprechstunde erklärte er jüngst mit Blick auf Russlands wohl bekanntesten Gefangenen, Diebe gehörten ins Gefängnis, was politische Beobachter als Vorverurteilung werteten. Chodorkowskis Frau hatte am Wochenende erklärt, sie gehe fest davon aus, dass ihr Mann über die Präsidentenwahl hinaus in Haft bleibe.
„Der Schuldspruch zeigt, dass Putin der Boss in unserem Land ist“, sagte der politische Experte Juri Korgunjuk. Medwedew war nach Putins Äußerungen über Chodorkowski auf Distanz gegangen und hatte gesagt, kein offizieller Repräsentant des Staates habe das Recht, vor einem Urteilsspruch seine Meinung dazu kundzutun.
Westerwelle sagte, die Umstände des Verfahrens seien äußerst bedenklich und ein Rückschritt auf dem Weg zur Modernisierung Russlands. Es liege im Interesse der russischen Partner, diese Sorgen ernst zu nehmen und konsequent für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte einzutreten.
US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte, das Urteil werfe die Frage auf, ob in Russland politische Erwägungen über das Recht gestellt würden. „Dieser und ähnliche Fälle haben negative Folgen für den Ruf Russlands hinsichtlich der Respektierung der Menschenrechte und der Verbesserung des Investitionsklimas.“
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger verurteilte das Urteil gegen Chodorkowski scharf. Der Schuldspruch gegen ihn habe ihre „schlimmsten Befürchtungen„ bestätigt, sagte sie dem „Tagesspiegel“. „Das Verfahren lässt rechtsstaatliche Standards vermissen und ist offensichtlich politisch motiviert.“ Der erneute Schuldspruch sei „ein harter Rückschlag“ für Russland auf dem Weg zum Rechtsstaat.
Die Bundestagsabgeordnete der Grünen Marieluise Beck, die als Prozessbeobachterin in Moskau war, sieht in dem Urteil auch ein Versagen der Europäischen Union (EU). Die EU hätte sehr deutlich machen müssen, „dass es keine Partnerschaft gibt, so solange der Rechtsstaat mit Füßen getreten wird“, sagte Beck der Tageszeitung „Die Welt“. „In diesem Gerichtssaal herrschen autoritäre bis polizeistaatliche Verhältnisse“, sagte Beck. „Die rechtsstaatlichen Prinzipien sind außer Kraft gesetzt.“ Der Westen wünsche sich ein „offenes Russland“ als Partner und greife nach jedem Strohhalm. Einer dieser Strohhalme sei Präsident Medwedjew. „Ich habe nicht den Eindruck, dass wir wirklich auf ihn setzen können“, sagte Beck. „Der Mythos Medwedjew zerrinnt.“
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, das Urteil zeige, wie weit Russland noch von einem Rechtsstaat entfernt sei. „Die Macht steht über dem Recht“, erklärte die Organisation. (dpa/dapd/rtr)