Das Ende der auf Pump finanzierten Konjunkturprogramme eingeläutet. Kanzlerin Angela Merkel scheitert jedoch mit einer Reform.
Toronto. Die wichtigsten Volkswirtschaften (G20) der Erde läuten das Ende milliardenschwerer, auf Pump finanzierter Konjunkturprogramme ein. Im Jahr Zwei nach der schlimmen Wirtschaftskrise und dem Fast-Zusammenbruch des globalen Finanzsystems heißt das Motto jetzt: Wachstum durch Schuldenabbau. Schärfere Spielregeln für Banken kommen dagegen frühestens im Herbst. Die Entscheidung zur Reform des globalen Finanzsystems vertagten die Staats- und Regierungschefs am Wochenende bei ihrem Doppel-Gipfel in Kanada.
Gegen die von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geforderte Bankenabgabe gab es massiven Widerstand. Die deutsche Idee einer globalen Steuer auf Geldgeschäfte ist ganz vom Tisch. Die Kanzlerin sieht die Finanzpolitik Deutschlands und Europas dennoch bestätigt. „Ehrlich gesagt, ist es mehr als ich erwartet habe (...).“ In Toronto sei eine Formel für „wachstumsfreundlichen Defizitabbau“ gefunden worden. Das „entspricht eigentlich genau unserer Zeitachse.“ Bis 2013 wollen die stärksten Industrieländer nun ihre Haushaltsdefizite halbieren. Der Anteil der Schulden an der Wirtschaftsleistung soll sich möglichst verringern. Rechtlich verbindlich sind die Ziele nicht. Da zur G20 auch aufstrebende Volkswirtschaften wie China, Indien und Brasilien gehören, nehmen die Vorgaben ausdrücklich Rücksicht auf die wirtschaftliche Ausgangslage eines jeden Landes. Um den Aufschwung zu stützen, müssten bestehende Konjunkturprogramme fortgeführt werden, hieß es in der Abschlusserklärung. „Es besteht das Risiko, dass die gleichzeitige Haushaltssanierung in mehreren großen Volkswirtschaften den Aufschwung beeinträchtigt.“ Für eine neue weltweite Finanzmarktarchitektur sei der Gipfel eine „Übergangsphase“, räumte Merkel ein. „Wichtige weitere Schritte werden wir in Seoul abschließen“, kündigte die CDU-Chefin mit Blick auf das G20-Treffen im November in Südkoreas Hauptstadt an.
Merkel zeigte sich zufrieden mit dem Gipfelmarathon; vor der G20 inToronto hatte am Freitag und Samstag im 220 Kilometer entfernten Huntsville schon die kleinere G8-Runde getagt. Zu ihr gehören die sieben führenden Industriestaaten und Russland. Am Sonntag stahl sich Merkel für eine Stunde aus der Sitzung, um begeistert das Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen England bei der Fußball-WM zu sehen. „Das war ein tolles Spiel und ein toller Sieg. Ich bin noch ganz bewegt“, sagte die Kanzlerin nachher.
Gegen den G20-Gipfel in Toronto protestierten mindestens 10.000 Demonstranten. Nach zunächst friedlichen Aktionen kam es zu schweren Ausschreitungen. Etwa 100 militante Demonstranten zündeten am Sonnabendabend Polizeiwagen an und randalierten. Die Polizei setzte Tränengas ein. Die Beamten nahmen mehr als 500 Menschen fest. Den überwiegend friedlichen Demonstranten standen 19.000 Polizisten gegenüber. Das Konferenzzentrum war mit einem eigens errichteten Maschendrahtzaun quer durch die Stadt weiträumig abgesperrt.
Bei der Reform der Finanzmärkte lagen die Positionen der Staats- und Regierungschefs erwartungsgemäß weit auseinander. Nun gilt der Seoul-Gipfel als Nagelprobe für die G20. Die G20-Gipfel waren im November 2008 auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise ins Leben gerufen worden – als eine Art globale Krisenfeuerwehr. Beim Treffen vergangenen September im amerikanischen Pittsburgh hatte sich die G20 auf den Fahrplan für Reformen verständigt. Vorgabe war damals: Jeder Marktteilnehmer, jedes Finanzprodukt und jeder Finanzplatz sollen beaufsichtigt werden. Das Toronto-Treffen war der vierte G20-Gipfel. Obama suchte bei der Finanzmarktreform den Schulterschluss mit den europäischen Partnern. Wie auch Merkel will er eine Bankenabgabe durchsetzen. Kanada, Brasilien, Australien und andere G20-Mitglieder blockieren die Idee. Obama ist bei der Bändigung der Banken am weitesten. Er kann im Juli ein Gesetz unterschreiben, dass schärfere Aufsicht vorsieht.
Allerdings war vom bisher im internationalen Vergleich eher wenig regulierten US-Finanzmarkt die Krise auch ausgegangen. Im Streit um die richtige Konjunkturpolitik gingen Merkel und der US-Präsident aufeinander zu. Obama verteidigte grundsätzlich seine Politik staatlicher Konjunkturpakete auch auf Pump. Man müsse „sich auf beide Aufgaben konzentrieren, auf Wachstum, aber auch auf finanzielle Konsolidierung“, sagte Obama.
Die Staats- und Regierungschefs klammerten die Klimaschutzpolitik quasi aus. Sie strichen das Bekenntnis, in nachhaltige Energien zu investieren. Nach dem Debakel beim Weltklimagipfel in Kopenhagen spielt Klimaschutz in der Weltpolitik derzeit eine untergeordnete Rolle. Auch wenn erstmals ein G20-Gipfel direkt einem G8-Treffen folgte, sieht Merkel für die Gruppe der Acht weiter einen Platz im globalen Machtgefüge. Zur G8 gehören die USA, Kanada, Russland, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien. Sie verurteilten Nordkorea für den Angriff auf ein südkoreanisches Kriegsschiff Ende März. Der Iran wurde erneut dringend aufgerufen, sein Atomprogramm internationalen Inspektoren offenzulegen. Das Land steht im Verdacht, an der Entwicklung einer Atombombe zu arbeiten. Hilfsorganisationen übten scharfe Kritik an der G8. Sie warfen den Staatenführern vor, frühere Versprechen an arme Länder unter den Tisch fallengelassen zu haben.
Der Gastgeber und kanadische Regierungschef Stephen Harper stand wegen der gewaltigen Gipfel-Kosten von fast einer Milliarde Euro massiv in der Kritik. Der größte Teil des Geldes ging für die Sicherheit drauf. Frankreis Staatspräsident Nicolas Sarkozy kündigte daraufhin an, die G8-Gipfelkosten drastisch senken zu wollen. Das nächste G8-Treffen soll im Frühjahr 2011 in Nizza sein.