Am 14. Juli 2000 unterzeichnete Otto Graf Lambsdorff das letzte noch ausstehende Dokument zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern.
Hamburg. Der Wirtschaftspolitiker Otto Graf Lambsdorff war 73 Jahre alt, hatte schon Ministerämter und den FDP-Vorsitz hinter sich, als er seinen größten diplomatischen Triumph feierte: Am 14. Juli 2000 unterzeichnete er das letzte noch ausstehende Dokument zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern. Am Sonnabend ist er, zwei Wochen vor Vollendung seines 83. Lebensjahres, in einem Bonner Krankenhaus gestorben. Lambsdorff durchlebte in seiner politischen Karriere Höhen und Tiefen: 1982 lieferte er den Anlass zum Bruch der sozialliberalen Koalition. 1987 wurde er wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit der Flick-Parteispendenaffäre zu 180.000 Mark Strafe verurteilt.
Mitte Mai 2006 gibt Lambsdorff auch sein letztes politisches Amt auf: Sein Nachfolger im Amt des Vorsitzenden der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung wurde der frühere FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt. Der FDP-Ehrenvorsitz bleibt dem „Marktgraf“ aber erhalten, der gut ein Vierteljahrhundert die politischen Geschicke Deutschlands mitbestimmt hatte. Die Entschädigungsregelung für NS-Zwangsarbeiter einschließlich der komplizierten Regierungsvereinbarung mit den USA und Opferorganisationen zur Rechtssicherheit für deutsche Unternehmen gilt als staatsmännisches Meisterstück. Das Lob für Lambsdorff war international und in Deutschland über alle Parteigrenzen hinweg einhellig. Lambsdorff hatte die Regelung in ungeheurer Zähigkeit im Auftrag von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) innerhalb nur eines Jahres ausgehandelt.
Otto Friedrich Wilhelm von der Wenge Graf Lambsdorff, Verfechter preußischer Tugenden aus westfälischem Uradel, wurde am 20. Dezember 1926 in Aachen geboren. Er studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Bonn und Köln. Der Bismarck-Bewunderer steht für die betont marktwirtschaftliche Ausrichtung der FDP seit den späten 70er Jahren. 1972 zog er in den Bundestag und den FDP-Parteivorstand ein. Zehn Jahre danach legte er seine Thesen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik vor. Darin forderte er eine drastische Beschneidung der Sozialleistungen und eine „investitionsfreundliche“ Strategie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Thesen gelten als „Scheidungspapier“ der sozialliberalen Koalition, die am 17. September 1982 zerbrach.
Lambsdorff, seit 1977 Wirtschaftsminister, blieb unter Bundeskanzler Helmut Kohl zunächst im Amt. Doch am 26. Juni 1984 trat er wegen der Anklage im Zusammenhang mit der Flick-Parteispendenaffäre vom Ministeramt zurück. 1988 wurde der Mann mit der Silberkrücke, der als Soldat bei einem Tieffliegerangriff das linke Bein verloren hatte, zum neuen FDP-Vorsitzenden gewählt. Er nutzte die Tatsache, dass er nicht in die Kabinettsdisziplin eingebunden war, um seine Ansichten umso deutlicher zu formulieren. Im August 1990 schlossen sich Ost- und West-Liberale als erste der großen Parteien zusammen und wählten Lambsdorff zum ersten Vorsitzenden der gesamtdeutschen FDP. Bei der Bundestagswahl am 2. Dezember 1990 erreichte die FDP unter seiner Führung elf Prozent der Stimmen.
Danach allerdings begann Lambsdorffs Stern langsam zu sinken. Seine Personalvorstellungen für das Kabinett konnte er nur teilweise durchsetzen. Statt Hermann Otto Solms wurde der forsch auftretende Jürgen Möllemann Wirtschaftsminister. Auf dem Parteitag 1991 in Suhl erreichte Lambsdorff nur noch 67 Prozent der Stimmen. Auch im Streit über die Nachfolge von Außenminister Hans-Dietrich Genscher gelang es ihm nicht, die von ihm favorisierte Irmgard Schwaetzer gegen Klaus Kinkel durchzusetzen. Letzterer folgte 1993 Lambsdorff als Parteivorsitzender.