Am Ende war das Ergebnis überzeugend. Der frühere Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ist zum neuen Vorsitzenden der SPD gewählt worden.
Dresden. Der ehemalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ist neuer Parteivorsitzender der SPD. Die Delegierten des Bundesparteitages in Dresden wählten den 50-jährigen Niedersachsen am Freitagabend mit 472 von 501 gültigen Stimmen zum Nachfolger von Franz Müntefering. Das entspricht einer Zustimmung von rund 94 Prozent. Die SPD zieht damit die personellen Konsequenzen aus ihrem Absturz auf einen Wähleranteil von nur noch 23 Prozent bei der Bundestagswahl. Auch die Riege der Stellvertreter des Parteichefs wird neu aufgestellt. Am Abend soll auch noch Andrea Nahles zur neuen Generalsekretärin gewählt werden.
In seiner Grundsatzrede hatte Gabriel zuvor die Partei auf seinen Kurs einschwören wollen. Dabei will Gabriel mit einem scharfen Oppositionskurs und einer geschlossenen SPD die Sozialdemokraten nach ihrem Wahldebakel zu alter Stärke zurückführen. In der kämpferischen Rede bezeichnete der 50-Jährige die schwarz-gelbe Bundesregierung als nicht regierungsfähig. „Die kann es einfach nicht. Es fehlt ihr der Sinn für das, was die Gesellschaft zusammenhält.“ CDU/CSU und FDPgehe es nicht um das Gemeinwohl, es handele sich vielmehr um eine „Klientel-Koalition“.
Seine eigene Partei rief Gabriel zur Geschlossenheit und zu einem Neuanfang auf: „Die allermeisten außerhalb der SPD interessieren sich nämlich nicht für unseren innerparteilichen Streit, für unsere Personaldebatten oder für unsere Flügel“, sagte er in seiner am Ende mit gut sechs Minuten Beifall begeistert gefeierten Rede. „Aber sie haben ein sehr deutliches Gespür dafür, ob wir das, was wir über eine tolerante, weltoffene und solidarische Gesellschaft erzählen, auch selbst vorleben.“ Franz Müntefering hatte am Vormittag in seiner Abschiedsrede Fehler eingeräumt und das Wahldesaster als „selbst verschuldet“ bezeichnet. In der Aussprache rechneten viele Delegierte mit der Führung ab.
Gabriel sprach den rund 500 Delegierten Mut zu: „Die SPD hat in ihrer Geschichte schlimmere Krisen durchlebt als jetzt.“ Die SPD müsse die Deutungshoheit wiedererlangen. Nur wer die Deutungshoheit im Lande habe, habe die politische Mitte gewonnen. Die Mitte sei nie ein „fester Ort“ gewesen und auch nicht an bestimmte Gruppen oder Parteien gebunden. Sie müsse immer wieder erkämpft und erobert werden. Die SPD müsse wieder stärker an die Basis gehen, dorthin, „wo es brodelt, manchmal riecht und gelegentlich auch stinkt“.
Der SPD-Politiker rief seine Partei auf, spätestens in zwölf Monaten Antworten auf die jetzt aufgeworfenen Fragen in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik – darunter die Rente mit 67 und Leiharbeit - zu geben. „Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Sicherheit und ökologische Verantwortung – das gehört für uns zusammen“, betonte er. Ziel bleibe Vollbeschäftigung. Die schwarz-gelben Steuersenkungspläne für bestimmte Gruppen führten spätestens in zwei Jahren zu steigenden Sozialbeiträgen und Steuern. Gabriel sprach sich auch für kostenfreie Bildung vom Kindergarten bis zur Hochschule aus. Auf die Rente mit 67 ging Gabriel nicht näher ein.
Mit Blick auf den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr räumte Gabriel ein, dass er „keine schnelle Lösung“ bieten könne. Anders als im Irak fuße der Einsatz dort auf ein UN-Mandat. Gabriel forderte eine umfassende Aufarbeitung des Wahldebakels vom 27. September, warnte seine Partei aber davor, „sich über die Wahlanalyse weiter innerparteilich zu zerlegen“. Überprüfen heiße, zu sehen, was in den elf Jahren Regierungszeit gut und was falsch gelaufen sei. Und es sei nicht alles schlecht gewesen. Es gebe vieles, „auf das wir nach wie vor stolz sein können“. Gabriel übernahm die Mitverantwortung für das 23-Prozent-Debakel der SPD bei der Bundestagswahl. „Ich fühle mich verantwortlich für alles, was wir in den letzten Jahren gemacht haben.“
Der designierte Parteichef betonte den eigenständigen Kurs seiner Partei. „Die deutsche Sozialdemokratie definiert sich weder in Abgrenzung noch in Ableitung von anderen Parteien.“ Mit Blick auf die Linkspartei betonte er: „Es gibt für mich keinen Grund, Koalitionen prinzipiell auszuschließen. Aber es gibt auch keinen Grund, sie prinzipiell immer zu schließen.“
Zuvor hatten die Delegierten die Parteiführung wegen der verheerenden Niederlage bei der Bundestagswahl zum Teil heftig kritisiert. Der bisherige Vorsitzende Müntefering rief seine Partei in seiner einstündigen Abschiedsrede zu Selbstbewusstsein auf: „Wir sind kampffähig. Wir sind kampfbereit. Wir kommen wieder“, sagte der 69-Jährige. „Die SPD ist kleiner geworden, aber die sozialdemokratische Idee nicht. Schon gar nicht ist sie am Ende.“
In der Aussprache mit mehr als 50 Wortmeldungen gab es kaum persönliche Vorhaltungen an Müntefering. Allerdings hätte man sich von ihm mehr Selbstkritik erwartet, wurde betont. Viele Delegierte vor allem vom linken Flügel kritisierten den sozialpolitischen Kurs der SPDin der elfjährigen Regierungszeit. „Es gab niemals eine Mehrheit für Hartz IV, für die Rente mit 67 und eine Bahnprivatisierung“, sagte der bayerische Delegierte Harald Unfried. Zahlreiche Redner setzten sich für ein schärferes linkes Profil ein. Der Parteilinke Ottmar Schreiner und die Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel verlangten die Wiedereinführung der Vermögensteuer. Auch während der SPD-Regierungszeit seien die Reichen reicher und die Armen ärmer geworden, sagte Vorstandsmitglied Niels Annen.