Nach und nach kommt das Ausmaß der Berliner Flughafenpanne ans Licht. Bis März ist nun Zeit, das Chaos auf der Baustelle zu ordnen.
Berlin. Es ist nicht lange her, da konnten sie noch lachen: "Der Schwarz sieht ja noch erstaunlich gut aus, 100 Tage vor der Eröffnung“, witzelte Air-Berlin-Boss Hartmut Mehdorn im Februar über Flughafenchef Rainer Schwarz. Dass der Hauptstadtairport am 3. Juni nicht startklar sein könnte – undenkbar. Mehdorn über Schwarz: "Irgendwo steht da 'ne Guillotine, unter die er muss, wenn er dann nicht offen ist.“
Der Kopf ist noch dran, aber zum Lachen ist heute in Berlin keinem mehr zumute: Zehn Monate noch Warten auf den Willy-Brandt-Flughafen, bis zum 17. März. Schon ist vom Berliner "Geisterflughafen“ die Rede. Air Berlin steht wirtschaftlich ohnehin das Wasser bis zum Hals, nun stürzt das Flughafen-Debakel Deutschlands zweitgrößte Airline in noch stärkere Turbulenzen.
Und auch die Regierungschefs von Berlin und Brandenburg, Klaus Wowereit und Matthias Platzeck, stehen unter Druck – so sehr sie auch beteuern, als Aufsichtsräte der staatlichen Flughafenbetreiber das aufziehende Unwetter nicht gesehen zu haben. Welche Zusatzkosten auf die Steuerzahler zukommen, ist noch völlig offen. Der Berliner Steuerzahlerbund rechnet schon mit der größten Finanzkatastrophe seit dem Berliner Bankenskandal.
Mehdorn macht erstmal keine Flughafen-Witze mehr: Kaum mehr reparabel sei der Image-Schaden für das geplante Drehkreuz des Berliner Marktführers in Schönefeld, wettert der Manager. Jeder vierte seiner Berlin-Passagiere reist nur zum Umsteigen in die Hauptstadt. Doch der Flughafen Tegel ist für so ein Drehkreuz nicht gebaut.
Am in die Jahre gekommenen Innenstadtflughafen droht in den nächsten Monaten das Chaos, Schwarz macht aus seinen "größeren Sorgen um Tegel“ keinen Hehl. Platzt die Anlage ohnehin schon aus allen Nähten, so müssen dort nun auch noch fünf zusätzliche Lufthansa-Maschinen Platz finden. Für die eigentlich am neuen Airport geplanten zusätzlichen Flüge soll das Nachtflugverbot gelockert werden.
Flughafenchef Schwarz blieb die Guillotine erspart, aber sein Technikchef Manfred Körtgen muss gehen. Ihm sei das Megaprojekt über den Kopf gewachsen, er habe den Überblick verloren und zu spät gewarnt, heißt es. Erstmals verschoben wurde der Termin im Sommer 2010. Ein Jahr waren die Arbeiten damals dem Vernehmen nach schon im Rückstand – doch die Politiker räumten den Bauherren nur sieben Monate ein. Es begann ein Wettlauf mit der Zeit, der ins Chaos führte. Am Ende lief auf der Baustelle alles gleichzeitig, wie die Betreiber nun einräumen: Der Terminal stand noch voller Gerüste, da lief schon der Probebetrieb mit freiwilligen Test-Passagieren.
Ganze Check-in-Bereiche fielen aus, weil Bauarbeiter sich ihren Strom an den Abfertigungsschaltern abzapften. Weil sich Pläne häufig änderten, musste gerade Errichtetes bald wieder eingerissen werden, ist zu hören. Die Datentechnik lief bis zuletzt nicht stabil, sei es das interne Computernetz, die Brandmeldeanlage oder die Türsteuerung. Am Schluss heuerten die Betreiber mehrere hundert Aushilfskräfte an, die streikende Türen im Ernstfall per Hand öffnen sollten.
Warum das keiner sah? Die Generalplaner hätten die Baufirmen nicht ordentlich informiert und koordiniert, Körtgen habe die Probleme nicht rechtzeitig erkannt, meint Wowereit. Doch auch die Politiker im Aufsichtsrat müssen sich die Frage gefallen lassen, warum sie nicht handelten. Warnungen gab es frühzeitig, etwa vom TÜV, der im Februar den 3. Juni als unhaltbar darstellte.
Die Aufseher Wowereit, Platzeck und der Staatssekretär im Bundesverkehrministerium, Rainer Bomba, beteuern am Donnerstag, sie hätten ihre eigene Rolle kritisch überprüft. Doch das Debakel hätten sie nicht kommen sehen können, zu sehr seien Macher und Prüfer des Projekts überzeugt gewesen, es doch noch bis zum 3. Juni zu schaffen. Jetzt erst zeige sich, dass Controlling und Risikomanagement "nicht gut gewesen“ seien, sagt Bomba.
Als das Debakel perfekt war und der Termin platzte, stellte Rainer Schwarz klar: Dieses Mal werde er keinen politisch gewünschten Termin akzeptieren, der technisch nicht machbar ist. Platzeck und Wowereit schwadronierten da noch von einem Start in diesem August.
Und in der Tat: Der 17. März 2013 ist kein politischer Termin - zumindest stellt es die Presseerklärung vom Donnerstag so dar, wenn sie hervorhebt, der Aufsichtsrat sei Schwarz' Vorschlag gefolgt. Auch wenn damit der Ball bei Schwarz liegt: Wenn es im nächsten Jahr wieder nicht klappen sollte, wird wohl auch an Wowereits und Platzecks Stühlen gerüttelt.