Hamburg. Olaf Kortmann analysiert die psychologischen Herausforderungen der Geisterspiele. Erweisen sich leere Ränge als Vorteil für den HSV?

Fast auf den Tag ein Jahr ist es her, dass beim HSV durch die 1:4-Niederlage beim SC Paderborn alle Aufstiegsträume platzten. Verspielt hatten die Hamburger das große Ziel aber nicht in Paderborn, sondern in den vier sieglosen Heimspielen zuvor. Der Druck des Aufsteigenmüssens, so lautete eine der internen Analysen, habe viele Spieler insbesondere vor den eigenen Fans gelähmt.

Ein Jahr später startet der HSV erneut in die entscheidende Aufstiegsphase. Mit dem ersten von neun Geisterspielen am Sonntag bei Greuther Fürth (13.30 Uhr) beginnt für die Hamburger der Saison-Restart.

Insgeheim hoffen die HSV-Verantwortlichen, dass die Spiele in den leeren Stadien eine Chance für das Team sein könnten. Weil ein großes Publikum auch große Last sein kann. Geisterspiele als Vorteil für den HSV?

Mentalcoach widerspricht dem HSV

„Ich glaube das nicht. Ein Volksparkstadion mit 50.000 Zuschauern in der Zweiten Liga ist eine uneinnehmbare Festung“, sagt Olaf Kortmann. Der Mentalcoach und frühere Meistertrainer der HSV-Volleyballer ist gerade in der Pause seines Seminars „Selbstmanagement von Führungskräften“, als ihn das Abendblatt erreicht. Kortmann nimmt sich trotzdem Zeit, im Podcast HSV – wir reden weiter über die psychologischen Herausforderungen der Geisterspiele zu sprechen.

Olaf Kortmann im Jahr 2011 als Aufsichtsratskandidat auf der Mitgliederversammlung des HSV.
Olaf Kortmann im Jahr 2011 als Aufsichtsratskandidat auf der Mitgliederversammlung des HSV. © Witters

„Ich halte überhaupt nichts davon zu sagen, dass der Druck in Hamburg größer ist als in Bielefeld. Druck kann man sich nur selbst machen“, sagt Kortmann zur Frage, ob sich der HSV in leeren Stadien leichter tun könnte.

Mentalcoach hat einen Tipp für Hecking

Für das Team um Trainer Dieter Hecking sei es entscheidend, eine positive Stimmung für die Spiele ohne Zuschauer zu erzeugen. „Es geht darum, aus diesen Geisterspielen etwas Positives zu machen, womit man sich identifizieren kann“, sagt Kortmann.

Erfolgreich seien jetzt die Mannschaften, die eine größtmögliche intrinsische Motivation erzeugen können. „Die Spieler müssen sich davon unabhängig machen, ob Zuschauer dabei sind oder nicht. Die Kunst ist es, von alleine für die Spiele zu brennen.“

Geisterspiele: Daum kontert Hunt-Theorie

HSV-Kapitän Aaron Hunt hatte am Dienstag prophezeit, dass die Mannschaften die meisten Punkte holen werden, die sich am schnellsten an die neuen Umstände gewöhnen. „Ich kann mir vorstellen, dass es auch ungewöhnliche Ergebnisse geben wird“, sagte Hunt. Der HSV-Kapitän glaubt, dass die individuelle Qualität des HSV bei Geisterspielen von Vorteil sein könne. „Wir haben den besten Kader der Liga“, so Hunt.

Christoph Daum war bei seiner letzten Station im Jahr 2017 Nationaltrainer Rumäniens.
Christoph Daum war bei seiner letzten Station im Jahr 2017 Nationaltrainer Rumäniens. © Imago/Aleksandar Djorovic

Der frühere Bundesligacoach Christoph Daum sieht das allerdings anders. In seiner Zeit als Trainer von Fenerbahce Istanbul in der Türkei sammelte Daum Erfahrungen mit Geisterspielen. „Sie sind unberechenbar. Individuelle Klasse macht unter besonderen Umständen wenig aus“, sagte der 66-Jährige der „Bild“.

Auch Kortmann glaubt nicht, dass die Kaderstärke des HSV stärker zum Tragen kommt. „Es geht nicht um die fußballerische Qualität allein. Die war in den vergangenen Jahren immer vorhanden, selbst beim Abstieg. Es geht um den Spirit im Team, um Wille und Durchsetzungsfähigkeit.“

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Mit Footballcoach Patrick Esume hat der HSV in Fürth einen zusätzlichen Motivationsexperten dabei. Ob diese Maßnahme kurzfristig etwas bewirken kann, bezweifelt Kortmann allerdings. „Ein externer Motivationstrainer ist nicht der wesentliche Faktor, sondern die innere Bereitschaft jedes Einzelnen, alles für den Erfolg zu geben.“

In Fürth kann der HSV zeigen, dass er auch in Sachen intrinsische Motivation über einen der besten Kader der Liga verfügt.