Hamburg. Dr. Peter Strate, Chefarzt der Klinik für Abhängigkeitserkrankungen am AK Nord, klärt über Irrtümer beim Konsum von Alkohol auf.

Das Bierchen am Feierabend, die Flasche Rotwein zum Essen und auf jeder Party mindestens ein Glas Sekt – Alkohol gehört zum gesellschaftlichen Leben wie selbstverständlich dazu. „Wir können davon ausgehen, dass 80 Prozent derer, die jetzt diesen Text lesen, in den vergangenen 30 Tagen Alkohol getrunken haben“, sagt Dr. Peter Strate. „Von der Taufe bis zu Omas 90. Geburtstag gibt es doch im Prinzip kein Fest mehr ohne kollektive Selbstschädigung.“

Medizinisch hat der renommierte Suchtexperte, der als Chefarzt die Klinik für Abhängigkeitserkrankungen an der Asklepios Klinik Nord/Ochsenzoll leitet, mit dieser harten Formulierung natürlich Recht. Aber der Vater von drei Kindern, der mit seinem 17-jährigen Sohn „selbstverständlich“ auch mal ein Bier zur Pizza trinkt, weiß natürlich auch: „Die Theorie ist das eine, die Praxis das andere. Bis zum 25. Lebensjahr wächst das Gehirn und man sollte daher eigentlich komplett verzichten. Aber ist das realistisch? Natürlich nicht.“

Wann ist man vom Alkohol abhängig? Es gibt einen Selbsttest

Doch wann wird aus gelegentlichem Genuss eine Gewohnheit und daraus womöglich eines Tages eine Abhängigkeit? Merkt man selbst, wenn man in die Spirale der Sucht gerät? „Es gibt einen ganz guten Test“, sagt der Experte in der „Digitalen Sprechstunde“, dem Podcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios. „Lassen Sie den Alkohol einfach mal zwei, drei Wochen konsequent weg. Aber Sie müssen auch wirklich abstinent sein und nicht nur sagen: Ich weiß, ich könnte auch ohne... Wenn Ihnen der Verzicht gar nichts ausmacht, dann können Sie weitertrinken“, sagt der 53-Jährige mit einem Augenzwinkern. Eine Zeit der Abstinenz sei auf jeden Fall sinnvoll, um den eigenen Konsum zu hinterfragen.

Es gibt kein risikofreies Trinken

Je jünger man sei, wenn man beginne, Alkohol zu trinken, desto höher sei das Risiko, abhängig zu werden, sagt der Chefarzt, der kürzlich erst einen jungen Mann behandelt hat, der alleine täglich vier Kisten Bier geleert habe – das entspricht 32 Litern pro Tag. „Das ist irgendwann mit dem Leben natürlich nicht mehr zu vereinbaren“, sagt Dr. Peter Strate.

Der Patient habe überlebt, sei aber intensivmedizinisch betreut worden. Grundsätzlich gelte: „Es gibt kein komplett risikofreies Trinken. So wie es kein ungefährliches Autofahren gibt – und es tun trotzdem alle. Man muss also für sich selbst beantworten, wie viel Risiko man bereit ist zu tragen“, sagt der Suchtexperte, der vor knapp vier Jahren mit seiner Familie aus der Schweiz, wo er einige Jahre tätig war, nach Eimsbüttel gezogen ist.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch Alkohol

Eine aktuelle Studie zeige, dass die Gefahr, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu leiden, signifikant zunehme, wenn man mehr als 100 Gramm Alkohol pro Woche zu sich nehme. Heißt konkret? „Klar, das rechnet natürlich kein Mensch um, bevor er anstößt. Man kann grob sagen: Eine Flasche Wein entspricht 70 Gramm, ein Liter Bier sind 40 Gramm.“

In Deutschland – weltweit eines der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Konsum – kommt ein Mann pro Tag im Schnitt auf 50 Gramm Alkohol. „Daran sieht man schon: 100 Gramm pro Woche sind also schnell erreicht.“

Das Glas Rotwein ist keine Medizin

Doch was ist dran an dem Mythos, dass ein Glas Rotwein Medizin sei? „Das Gefühl kann man haben“, sagt der 53-Jährige. „Wissenschaftlich ist leider Gottes nicht belegt, dass Alkohol der Gesundheit zuträglich ist.“ Im Gegenteil: Insbesondere Frauen, die familiär bedingt, ein höheres Brustkrebs-Risiko hätten, sollten sich in Zurückhaltung üben.

Übermäßiger Konsum von Alkohol könne tatsächlich trainiert werden, sagt Dr. Peter Strate. „Trinken Sie auf leeren Magen ein Radler, werden Sie das beim ersten Mal sicher spüren. Machen Sie das an mehreren Abenden hintereinander und es wird dabei vielleicht noch ein bisschen gegrillt und Sie essen was dazu, dann werden Sie feststellen, dass Sie am Ende der Woche deutlich mehr vertragen.“ Dass das Gehirn nicht vergesse, das sei bei einer Alkoholsucht das Tückische: „Wenn Sie es quasi einmal geschafft haben, extrem viel zu trinken, dann schaffen Sie das immer wieder.“

Rückfallquote trockener Alkoholiker liegt bei 80 Prozent

Das sehe er auch an Patienten, die seit zehn oder sogar zwanzig Jahren trocken seien. „Da reicht ein Tag und es kommt zu einem totalen Absturz.“ Die Rückfallquote sei leider hoch, sie liege bei etwa 80 Prozent.

Wann ist der richtige Moment, einen Freund oder Verwandten auf einen überhöhten Alkoholkonsum anzusprechen? „Da ist jeder Moment gleich falsch oder richtig. Man sollte es tun. Die Frage ist, ob derjenige bereit ist, sich helfen zu lassen“, sagt der Chefarzt, der in seiner Suchtambulanz einen „Querschnitt der Gesellschaft“ sehe. „Da kommen alle – vom Akademiker bis zum Obdachlosen.“

20 Zigaretten am Tag = schwer abhängig

Und wie behandelt man Nikotinsucht? „Wer mehr als 20 Zigaretten am Tag raucht, gilt als schwer abhängig. Da hilft es auch wenig, auf zehn zu reduzieren. Das Beste ist, ganz aufzuhören – womöglich mit einem Nikotinpflaster.“

Natürlich muss man den Suchtexperten auch nach Cannabis und einer möglichen Legalisierung fragen. „Die Entscheidung darüber überlasse ich gern der Politik. Ich bin voreingenommen, weil ich nur jene sehe, bei denen es schief gegangen ist. Jene, die an Psychosen oder bipolaren Störungen leiden.“

Gesundheits-Podcast mit Asklepios

"Die digitale Sprechstunde" ist die Gesundheitsgesprächsreihe von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Jede Woche beantwortet ein Experte die Fragen von Vanessa Seifert.

Nächste Folge: Professor Dr. Uwe Kehler, Chefarzt der Neurochirurgie an der Asklepios Klinik Altona, über den gemeinen Gesichtsschmerz, in der Medizin als Trigeminusneuralgie bekannt.

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