Hamburg. Professor Thomas Carus spricht im Gesundheitspodcast über Diäten, Kurkliniken und andere Behandlungen bei Adipositas.
Es ist ein „zunehmendes“ Problem – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Schon jeder vierte Deutsche gilt als zu dick, Tendenz steigend. „Es liegt zum einen daran, dass Essen jederzeit und überall zu bekommen ist – auch in großen Mengen und relativ günstig“, sagt Professor Dr. Thomas Carus in der „Digitalen Sprechstunde“, dem Gesundheitspodcast von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Zum anderen müsse man sich ja heute kaum noch bewegen, wenn man nicht wolle. „Man sitzt zu Hause auf dem Sofa, isst Chips und guckt stundenlang Spielfilme. Nicht mal ins Kino muss man mehr gehen“, sagt der Chirurgie-Chefarzt, der am Asklepios Westklinikum in Rissen das Zentrum für Adipositas, wie Fettleibigkeit im Fachjargon heißt, leitet.
Ab einem Body-Mass-Index (Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch Größe zum Quadrat) von mehr als 40 gilt ein Patient als krankhaft fettleibig. „Konkretes Beispiel: Eine Frau, die 1,70 Meter groß ist und 130 Kilo wiegt, ist morbid adipös“, sagt der Mediziner, dessen schwerster Patient 320 Kilogramm auf die Waage brachte. Darauf müsse natürlich auch die Ausstattung im Operationssaal ausgelegt sein, denn ein herkömmlicher Tisch trage nur Patienten bis 135 Kilogramm.
Wer zu dick ist, stirbt früher
Doch was kommt vor einer Operation? „Eine rigorose Diät. Es muss erst mal auf konservative Art versucht werden, das Gewicht drastisch zu reduzieren“, sagt Chirurg Carus, der in Dresden am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus – benannt nach einem berühmten Vorfahren – habilitiert hat. „Jedes Kilo weniger hilft!“ Denn zwar sterbe niemand an Übergewicht, aber Tausende an den Begleiterkrankungen. „Das Risiko, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden und an Diabetes zu erkranken, ist extrem stark erhöht. Man kann sagen: Liegt der Body-Mass-Index bei über 40, lebt man im Schnitt zehn bis 15 Jahre weniger.“
Abnehmen ist jedoch nicht leicht, der Kampf gegen die Kilos ein Marathon an Disziplin. Die meisten seiner Patienten – 20 pro Woche sieht Carus im Adipositas Zentrum in Rissen – hätten schon alle möglichen Diäten ausprobiert. „Einige nehmen dann auch in einer Kurklinik ganz wunderbar ab, doch zurück in der freien Wildbahn schlägt der Jojo-Effekt gnadenlos zu.“ Deshalb sei eine Begleitung der Diät unabdingbar, so der Experte. „Das gängige Modell ist auf sechs Monate angelegt und basiert auf drei Säulen: Ernährungsberatung, Bewegungstherapie und Verhaltenstherapie.“ Doch die Bilanz macht wenig Hoffnung: Nicht einmal die Hälfte aller Patienten schaffe es, in dieser Zeit so deutlich abzunehmen, dass eine Operation nicht mehr nötig sei.
Operative Eingriffe können helfen
Bleibt also das Magenband? „Nein, die bauen wir nur noch aus“, sagt der Rissener und lacht. In den 1990er-Jahren sei das zwar die Operation der Wahl gewesen, doch heute machten viele der damals eingebauten Magenbänder mechanische Probleme. „Außerdem lässt sich das System zu leicht beschummeln. Sie können weiterhin literweise Cola in sich hinein schütten oder Schokolade trinken. Der Magen ist zwar von einem Fremdkörper ummantelt, aber in voller Größe erhalten und wartet auf Belieferung.“
Mittlerweile habe sich weltweit der sogenannte Schlauchmagen durchgesetzt. „Der Magen wird bei dieser recht leichten, etwa 30-minütigen Schlüsselloch-OP verkleinert, sodass der Patient später schon nach wenigen Happen einen Dehnungsreiz spürt, die Sättigung also schneller einsetzt.“ Gut ein Viertel des ursprünglichen Gewichts verlören die meisten Patienten im Anschluss. Eigenverantwortung sei aber auch hier der Schlüssel zum Erfolg. „Denn natürlich können Sie mit einem üppigen, fettigen Essen den Schlauchmagen auch leicht zum Platzen bringen“, warnt der leidenschaftliche Kite-Surfer, der nach einem langen Tag in der Klinik gern an die Ostsee fährt, „um noch mal für zwei Stündchen aufs Board zu steigen“.
Bei fettleibigen Patienten, die an schwer einstellbarer Zuckerkrankheit oder starkem Sodbrennen leiden, werde statt des Schlauchmagens oft der Magen-Bypass gewählt. „Dieser Eingriff verändert allerdings den Stoffwechsel und ist in der Nachsorge aufwendig, weil man auf Nahrungsergänzungsmittel angewiesen ist.“
In Deutschland, sagt Professor Carus, zu dessen Team vier erfahrene Adipositas-Chirurgen gehören, werde verhältnismäßig wenig operiert. „In Frankreich steht bei einem Patienten ab einem BMI von 40 sofort eine OP an, in den USA wird teilweise schon ab einem BMI von 25 operiert.“ Hierzulande seien die Krankenkassen jedoch sehr zurückhaltend, was die Kostenübernahme betreffe. „Ob diese Vorsicht sinnvoll ist, darüber kann man sicher streiten. Grundsätzlich lassen sich aber durch eine frühe Operation womöglich teure Folgeerkrankungen vermeiden.“ Ein Wandel der Lebensgewohnheiten sei aber unbedingt wichtig. „Neulich habe ich eine Patientin wiedergetroffen. Die wiegt jetzt nur noch 70 Kilo und ist gerade den Hamburg Marathon mitgelaufen. Das war ein völlig neuer Mensch.“
Gesundheits-Podcast mit Asklepios
„Die digitale Sprechstunde“ ist die Gesundheitsgesprächsreihe von Hamburger Abendblatt und Asklepios. Jede Woche beantwortet ein Experte die Fragen von Vanessa Seifert.
Nächste Folge: Alkoholsucht, Chefarzt Dr. Peter Strate von der Asklepios Klinik Ochsenzoll
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