Hamburg. Zu Gast im Abendblatt-Podcast ist Olaf Scholz. Ein Gespräch über den Kampf um den SPD-Vorsitz und über Emotionen in der Politik.

Selbst für einen erfahrenen Politiker gibt es manchmal Premieren: Olaf Scholz war noch nie zu Gast in einem Podcast – bis jetzt. In der Abendblatt-Reihe „Entscheider treffen Haider“ sprach der Bundesfinanzminister, Vizekanzler und Kandidat für den SPD-Parteivorsitz mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider darüber, warum er ist, wie er ist – und wieso er sich nicht verstellen kann und will. In dem 45 Minuten dauernden Gespräch ging es auch darum, warum er Fragen meist nicht direkt beantwortet, warum seine Liebe zur SPD so groß ist und wieso Erneuerung nichts mit Opposition zu tun hat. Und ja: Olaf Scholz ist sich des Alles-oder-nichts-Risikos, das er mit seiner Bewerbung um die SPD-Spitze eingeht, voll bewusst.

Das sagt Olaf Scholz über ...

… die Regionalkonferenzen:
„Die Regionalkonferenzen führen dazu, dass es der SPD schon mal besser geht. Die Mitglieder haben sichtbar Freunde an der Veranstaltung und diskutieren über die Zukunft. Mir macht das Spaß, und bisher schaffe ich es, bei allen Konferenzen dabei zu sein. Das ist natürlich ganz schwierig, weil viele andere Termine geplant waren und viele Termine als Minister einzuhalten sind. Aber es geht, mit viel Aufwand und wenig Schlaf.“

… die wichtigsten Themen bei der Kandidatenvorstellung:
„Es geht kreuz und quer. Ein Thema bewegt natürlich alle: Wie kommen wir dazu, dass die SPD wieder stärker wird? Deshalb suchen wir ja nach einer neuen Führung. Dazu kommen all die Probleme, die uns umtreiben: Was wird aus dem Sozialstaat, wie geht das mit den Wohnungen weiter, was ist mit den Kindern, was ist mit der Sicherung im Alter, was mit Europa? Und natürlich spielen auch Trump und Putin und all die großen Leute eine Rolle. Die Große Koalition kommt auch vor. Einige Teams, die kandidieren, sprechen die Große Koalition von selbst an und formulieren dazu eine sehr skeptische Haltung. Von den teilnehmenden SPD-Mitgliedern kommen dazu eher selten Fragen, sie wollen dann wissen, wie man dazu steht. Im Übrigen ist es ja kein Geheimnis, dass ich Mitglied der Regierung bin.“

… die Zweifel, ob eine Regierungs-
beteiligung für die SPD das Richtige ist
:
„Die SPD ist eine Partei, die gerne regiert. In den Gemeinden, in den Städten, in den Ländern und auch im Bund. Klara Geywitz und ich sind in diesem Punkt ja ein besonders interessantes Team. Ich habe in Hamburg allein regiert, ich habe im Bund und in Hamburg mit Rot-Grün regiert, ich habe schon mehrfach an Großen Koalitionen teilgenommen. Und Klara Geywitz war zuletzt aktiv in einer rot-roten Landesregierung. Deshalb stehen wir für das Pragmatisch-Konstruktive in der Politik der SPD.

… die Frage, ob die Erneuerung der SPD nur in der Opposition gelingen kann:
„Es hängt an uns selbst und an unserer Stärke. Ob wir aus der Opposition oder aus einer Regierungsbeteiligung Politik machen, führt nicht dazu, dass wir besser oder schlechter dastehen. Das liegt daran, ob wir gute Politik machen und über die Dinge reden, die die Bürgerinnen und Bürger bewegen. Die meisten SPD-Mitglieder sehen es so, dass Regieren besser ist. Einige haben Zweifel, dass es mit dem aktuellen Koalitionspartner auf Dauer ein großes Vergnügen ist. Meine Antwort: Wir müssen so stark sein, dass wir eine Regierung anführen.“

… den Moment, in dem er entschieden hat, sich (doch) um den SPD-Parteivorsitz zu bewerben:
„Es gab nicht diesen einen Moment. Die öffentliche Debatte über die Situation der SPD und die Frage, wer für die Führung der Partei kandidiert, sind einer der Gründe dafür gewesen, dass ich mich umentschieden und gesagt habe: Jetzt kandidiere ich, das steht den Mitgliedern zu, dass sich jemand wie ich zur Verfügung stellt. Ich habe mir diese Entscheidung sehr schwer gemacht und immer wieder neu diskutiert und ein ganzes Wochenende damit zugebracht, ob ich das nun machen soll oder nicht. In einer solchen Situation kann man sich nicht drücken. Ich bin seit meinem 17. Lebensjahr Sozialdemokrat. Die Frage, ob es der SPD gut oder schlecht geht, berührt mich persönlich. Und ich bin als Bürger dieses Landes fest davon überzeugt, dass ohne eine starke SPD das Leben hier anders wäre.“

… eine SPD, die ihn nicht immer gut behandelt hat:
„Ich habe durch die SPD viele Möglichkeiten bekommen: Ich war Generalsekretär, Bundesarbeitsminister, Bundesfinanzminister und vieles mehr. Da kann man nicht sagen, dass die SPD mir nicht wichtige Ämter anvertraut hätte. Und ich finde, das zählt. Meine Bewerbung um den SPD-Vorsitz hat auch viel mit Dankbarkeit gegenüber der Partei zu tun.“

… Emotionen in der Politik:
„Ich bin so, wie ich bin. Man sollte sich auch nicht verstellen. Es ist der Vorteil unserer modernen Mediendemokratie, dass man jedem ununterbrochen ins Gesicht gucken kann und schon merkt, ob jemand etwas spielt oder so ist, wie er wirklich ist. Ich bin bewegt wie alle anderen, und mich ärgern Sachen, klar. Allerdings glaube ich schon, dass ich in der Lage bin, einen klaren Kopf zu behalten. Ich neige nicht dazu, voller Aggressionen gegenüber anderen aufzutreten. Und ansonsten ist es natürlich eine große Zuneigung zur SPD, die mich zu dieser Kandidatur bewogen hat, das will ich gar nicht zu nüchtern schildern.“

… seine Eigenart, Fragen oft nicht direkt zu beantworten:
„Ich versuche, eine geordnete Antwort zu geben, sagen wir es mal so. Jeden Satz, den man als Politiker sagt, muss man so sagen, dass ihn jeder versteht, auch wenn er nicht dabei gewesen ist. Man kann nicht darauf setzen, dass der Rahmen, in dem ein Satz gefallen ist, immer miterzählt wird. Im Übrigen ist es ja so, dass manchmal Dinge im Fluss sind. Dann muss man es aushalten, dass der Prozess des Klügerwerdens und des Beratens noch nicht abgeschlossen ist und man das Ergebnis noch nicht verkünden kann.“

… die oft gestellte Frage, ob er „dieses
oder jenes ausschließen kann“:

„Können Sie ausschließen … ist einer der von mir am wenigsten geliebten Sätze des deutschen Journalismus, weil man in Wahrheit in ganz vielen Fällen überhaupt nicht ausschließen kann, dass es so oder so läuft. Aber trotzdem kann man ernsthaft der Meinung sein, dass es eine bestimmte Richtung gibt, die die Sache nehmen soll. Wenn wir uns nicht für größenwahnsinnig halten, wissen wir auch, dass wir nicht alles allein bestimmen können.“

… die Sprache in der Politik: „Wir müssen direkt sprechen über die Dinge, um die es geht. Und möglichst nicht in irgendwelchem Kauderwelsch, das nur jemand versteht, der an den letzten drei Gremiensitzungen teilgenommen hat.“

… das SPD-Lieblingsthema „soziale Gerechtigkeit“:
„Es geht um die Frage, was wir darunter verstehen. Für mich ist soziale Gerechtigkeit ein Titel, und es geht dann um die ganz vielen Unterkapitel, die sich dahinter verbergen. Und das kann natürlich jetzt nicht das Gleiche sein wie vor 50 oder 100 Jahren. Ich zum Beispiel glaube, dass ein zentrales Thema in einem reichen Land mit wirtschaftlichem Wachstum ist, dass es ziemlich viele gibt, die ziemlich wenig verdienen und nicht gut zurechtkommen, obwohl sie fleißig sind. Das stört die moralische Integrität einer Gesellschaft, und das muss sich ändern. Eine Gesellschaft kann nicht gerecht sein, wenn sie es nicht zustande bringt, dass sich alle als Teil dieser Gesellschaft begreifen.“

… die Frage, ob die SPD nicht wie die Grünen auf ein großes Thema
setzen sollte, zum Beispiel auf die Wohnsituation in Deutschland
:
„Das wäre aus meiner Sicht nicht klug. Man würde auch den Charakter als Volkspartei infrage stellen, wir sollten nicht nur mit einem Thema verbunden sein. Aber ich stimme in der Sache zu, dass das Thema Wohnen ein ziemlich wichtiges ist. Für mich als Hamburger Bürgermeister war das immer ein großes Anliegen. Ich habe mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, wie lange es anderorts gebraucht hat zu verstehen, dass da ein großes, großes Problem auf uns zukommt. Wir sind in Deutschland weit weg von den Antworten, die wir geben müssten. Wir brauchen 400.000 neue Wohnungen, wir brauchen 100.000 Sozialwohnungen jedes Jahr neu, damit wir uns als Gesellschaft das Leben in diesem Land leisten können.“


… Politiker in Talkshows:
„Was viele Bürgerinnen und Bürger bewegt, ist das Gefühl, dass sie in Talkshows Reden hören und sich immer weniger sicher sind, ob diejenigen, die da reden, hinterher auch etwas dafür tun, wenn sie sich aus den Sesseln erhoben haben. Für mich war das große Glück in Hamburg, dass das, was ich vorgeschlagen habe, auch was geworden ist.“

… die nächste Bundestagswahl:
„Das wird eine ganz neue Situation für Deutschland sein. Das erste Mal tritt niemand an, der Amtsinhaber ist. Darin liegen viele Chancen und viele Möglichkeiten. Wenn man sich die Umfragen ansieht, in Bezug auf die Frage, wem man die Regierung anvertrauen mag, sieht man ja auch, dass die Chancen der SPD nicht schlecht sein müssen.“

… Umfragen, die ihn als Kanzlerkandidaten vor der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer sehen:
„Ich habe das auch gelesen und nehme das als gute Message für die SPD. Wir können aus der Sache etwas machen.“

… das Alles-oder-nichts-Risiko, das er mit seiner Kandidatur als SPD-Vorsitzender eingeht:
„Wer sich einer Wahl stellt, geht immer ein Risiko ein, dessen bin ich mir voll bewusst. Trotzdem finde ich es richtig, es zu tun. Wir leben in einer Demokratie, was ziemlich klasse ist. Dazu gehört für diejenigen, die sich Wahlen stellen, dass das Leben nicht planbar ist. Also: Lassen Sie uns das Fest der Demokratie genießen und schauen, was geht. Ich habe sehr oft Risiken akzeptiert. Es ist überwiegend gut gegangen. Deshalb bin ich in der Frage ganz entspannt.“