Paris. Der Pelicot-Prozess in Frankreich hat Schlagzeilen gemacht, nun steht ein Urteil bevor. Was Sie über den Fall wissen müssen, lesen Sie hier.
- Nach einem monatelangen Prozess steht im Fall Pelicot das Urteil bevor
- Dem Hauptangeklagten drohen bis zu 20 Jahre Haft
- Wir haben die wichtigsten Details zum Fall zusammengefasst
Es begann als furchtbare Nachricht: Ein unbescholtener Ehemann namens Dominique Pelicot hatte seine zuvor betäubte Gattin Gisèle jahrelang Internetbekanntschaften zur Vergewaltigung überlassen. 51 Männer wurden aufgrund der gefilmten Szenen eruiert und angeklagt; zwanzig weitere konnten nicht identifiziert werden. Ein gewisser Voyeurismus bei Prozessbeginn wurde noch verstärkt durch den Wunsch des Opfers nach einem öffentlichen Prozess.
Doch Gisèle Pelicot handelte so, weil sie mit ihrem Fall auf ein Phänomen aufmerksam machen wollte, das auch in Deutschland ein Problem ist: Vergewaltigung unter Einfluss von Betäubungsmitteln. Pelicots mutiges Verhalten weckte weltweit Beifall. Einer ihrer beiden Anwälte appellierte an die Gesellschaft: „Wir müssen aufhören, zu glauben, dass ein guter Familienvater kein Vergewaltiger sein kann.“ Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten zum Pelicot-Prozess:
Wie hat sich der Pelicot-Prozess entwickelt?
Dominique Pelicot gestand seine Verbrechen ohne Umschweife, als er eine Woche nach Prozessbeginn erklärte: „Ich bin ein Vergewaltiger, ich bekenne mich schuldig.“ Die 50 Mitangeklagten aller Alters- und Berufskategorien, die meisten aus der Umgebung von Mazan oder Avignon stammend, wirkten auf den ersten Blick wie Durchschnittsmänner. Die psychiatrischen Gutachten enthüllten aber während des Prozesses abgrundtiefe familiäre, seltener auch soziale Abgründe mit Inzest und sexuellem Missbrauch.
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Dominique Pelicot behauptete – ohne Belege –, er sei als Achtjähriger selber vergewaltigt worden. Gisèle Pelicot wurde mit ihrem nüchternen, zurückhaltenden Auftritt dagegen von französischen und internationalen Medien als Heldin gefeiert. Feministinnen organisierten mehrmals Kundgebungen in französischen Städten, bei denen „Gisèle“ einen ikonischen Status erhielt.
Avignon: Was verlangt die Anklage?
Die Staatsanwaltschaft verlangt für Dominique Pelicot die Höchststrafe von zwanzig Jahren plus eine – oft mehrjährige – Sicherheitsverwahrung. Für die Mitangeklagten fordert sie ein Strafmaß von vier bis 20 Jahren wegen Vergewaltigung. Diese ist nach französischem Recht bei jeder Form von Penetration gegeben.
Da Dominique Pelicot die Szenen filmte, scheint die Beweislage in den meisten Fällen klar. Als erschwerender Umstand kommt dazu, dass mehrere Mitangeklagte Pelicots Haus im provenzalischen Ort Mazan mehrmals – bis zu sechsmal – aufgesucht hatten. Nur wenige verließen das Schlafzimmer, als sie eine reglose Frau auf dem Bett vorfanden. Keiner alarmierte die Polizei.
Wie verteidigten sich die Angeklagten?
Das Hauptargument der Verteidigung lautet, ihre Klienten hätten keine Absicht gehabt, Gisèle Pelicot zu vergewaltigen; der Tatbestand sei damit nicht erfüllt. Die 50 Mitangeklagten versuchten sich meist wortreich herauszureden: Sie hätten gemeint, es handle sich um einen Dreier mit einem etwas speziellen Ehepaar, bei dem die Frau die Bewusstlose gespielt habe. Einer sagt: „Mir kam es komisch vor, aber ich dachte nicht weiter darüber nach.“
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Fast alle Männer gaben an, sie seien von Pelicot über die (heute geschlossene) Webseite „Coco“ rekrutiert und manipuliert worden. Eine Verteidigerin nahm ihren Klienten in Schutz: „Wenn jemand wie Dominique Pelicot seine Familie 50 Jahre lang täuschte, ist es dann so abwegig zu denken, dass er auch Männer auf der Suche nach einem flotten Dreier manipulierte?“ Über die Wochen hinweg wirkten die ewig gleichen Ausreden der Angeklagten allerdings immer weniger überzeugend.
Wann ergeht das Urteil und was ist zu erwarten?
Die Urteilsberatung ist von Dienstag, 17. Dezember, bis Donnerstag, 19. Dezember, angesetzt. 51 Fälle müssen einzeln beurteilt werden. Der Hauptangeklagte Dominique Pelicot sagte selbst, er werde zweifellos die Höchststrafe von 20 Jahren erhalten. Offen ist, ob es vereinzelt auch Freisprüche geben könnte. Ausschlaggebend wird sein, ob das dreiköpfige Berufsgericht eine Vergewaltigung auch dann annimmt, wenn keine Absicht vorlag. „Ohne Absicht kein Verbrechen“, plädierte eine Verteidigerin.
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Die Staatsanwältin hielt dagegen, die Anklagten hätten das Opfer um ihre Einwilligung ersuchen müssen. Das sei unterblieben, weshalb der Akt ein Gewaltakt gewesen sei. Der Einwand der Gegenseite, die Angeklagten hätten die reglose Frau gar nicht fragen können, da sie betäubt gewesen sei, zieht laut Staatsanwaltschaft nicht: Im Gegenteil hätten sie merken müssen, dass Gisèle Pelicot betäubt war. Dies gilt bei einer Vergewaltigung sogar als erschwerender Umstand.
Welche gesellschaftspolitischen Folgen wird der Prozess haben?
Der Prozess in Avignon hat nach Ansicht von Betroffenenverbänden mehr für die Sache weiblicher Gewaltopfer getan als viele Gesetze zuvor. Bis dahin blieben in Frankreich 94 Prozent aller solcher Anzeigen ohne Folgen: Weil die Justiz keine Beweise hat, muss sie viele Verfahren einstellen. Nun hat der abgetretene Premierminister Michel Barnier diverse Maßnahmen angekündigt. Gewaltopfer sollen bis Ende 2025 schon im Krankenhaus Anzeige gegen ihren Peiniger erstatten können. Die rasche Beweisaufnahme ist gerade bei Betäubung durch Schlafmittel, Drogen oder K.-o.-Tropfen entscheidend.
Die Pelicot-Tochter Caroline hat ihrerseits einen Verein namens #Mendorspas (Schläfere mich nicht ein) gegründet. Polizisten werden in Frankreich ab sofort alle drei Jahre speziell für die Aufnahme von Vergewaltigungsanzeigen ausgebildet. Frauen, die ihr Zuhause wegen eines gewalttätigen Mannes verlassen, erhalten in Frauenhäusern als Starthilfe 800 Euro, beschloss Barnier. In der französischen Nationalversammlung verlangen Abgeordnete eine Gesetzesänderung, die wie in Spanien eine explizite Einwilligung für Sex („Nur ein Ja ist ein Ja“) verlangt – sonst ist es eine Vergewaltigung. Das bleibt aber umstritten.
Welche Auswirkungen hatte der Prozess auf die Familie Pelicot?
Die Familie geht nicht unversehrt aus dem Prozess hervor. Dominique Pelicot (72) dürfte bis zum Alter von 86 Jahren oder länger in Haft bleiben. Gisèle Pelicot, die anfangs von allen drei Kindern in den Gerichtsaal begleitet wurde, scheint sich nach Ansicht von Prozessbeobachtern mit Tochter Caroline zerstritten zu haben: Die Mutter weigerte sich, die unbeweisbare Behauptung Carolines, sie sei als Teenagerin von ihrem Vater ebenfalls betäubt und missbraucht worden, auch nur zu kommentieren.