Berlin. In Frankreich schockt der Fall Pelicot die Nation. Doch auch hierzulande vergewaltigen Männer ihre Frauen. Über die Psyche der Täter.

  • Dominique Pelicot bot seine betäubte Frau in Internetforen zur Vergewaltigung an
  • Der Fall schockiert Frankreich – doch auch in Deutschland missbrauchen Männer ihre Frauen
  • Ein Psychiater erklärt, warum Männer zu Tätern werden

Er betäubte seine Frau und bot sie in Internetforen fremden Männern zur Vergewaltigung an: Der Fall Pelicot aus Avignon erschüttert derzeit Prozessbeobachter auf der ganzen Welt. Auch in Deutschland erleben jedes Jahr etwa 150.000 Menschen Gewalt in ihrer Beziehung. Rund 80 Prozent der Täter sind Männer. Das sagt Dieter Seifert, ärztlicher Direktor der forensischen Psychiatrie der Christophorus Klinik in Münster. Was bringt Männer dazu, ihre Ehefrauen zu schlagen und zu vergewaltigen? Der Professor erklärt sexuelle Gewaltfantasien, wann sie Wirklichkeit werden – und wie man sich dagegen schützen kann.

Welche Männer können zu Tätern werden?

Dieter Seifert: Es gibt verschiedene Täter-Typen. Daher ist keineswegs davon auszugehen, dass jeder Mann zum Täter werden kann. Gefährdet sind diejenigen, die vom Naturell her dissoziale Persönlichkeitszüge aufweisen, die also per se zu Gewalttätigkeit oder Machtausübung neigen. Diese Männer üben dies nicht selten auch innerhalb der Familie aus. In solchen Konstellationen sind insbesondere Partnerinnen, in manchen Fällen auch die Kinder gefährdet. Natürlich muss man bei Gewalt in Beziehungen auch immer die individuelle Dynamik zwischen Täter und Opfer im Blick haben.

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Nun missbraucht natürlich nicht jeder Mann, der Macht ausübt, seine Frau. Welche Umstände müssen noch dazukommen?

Seifert: Auch hier gibt es verschiedene Konstellationen. Relativ häufig stellen wir fest, dass solche Taten unter Alkohol oder Drogen passieren. Vereinzelt kommt es auch bei Männern, die unter einer akuten psychischen Erkrankung leiden – zum Beispiel einer Schizophrenie – zu gewalttätigen Handlungen im unmittelbaren sozialen Umfeld, also auch gegenüber der eigenen Frau. Ähnliches beobachten wir bei Männern mit einer Demenz; häufige Merkmale dieser Erkrankung sind plötzliche Stimmungsänderungen bei einem Nachlassen der ethisch-moralischen Urteilsfähigkeit, was letztlich in Einzelfällen zu impulshaften, gewalttätigen oder speziell auch sexuellen Übergriffen führen kann. Darüber hinaus sehen wir auch Männer, die in eine ernstzunehmende Lebenskrise geraten sind und nur aufgrund dieser Extremsituation zum Täter werden.

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Was heißt das konkret?

Seifert: Wenn sich zum Beispiel die Partnerin trennen will oder fremdgegangen ist, ihr Partner hingegen unbedingt an dieser Beziehung festhalten möchte, dann geraten einige Männer mitunter in eine verzweifelte Situation. Falls es in dieser Partnerschaft bereits im Vorfeld vielschichtige Konflikte gab, die zum Teil auch mittels Gewalt ausagiert wurden, ist das Risiko hoch, dass der Mann zum Täter wird. In seltenen Fällen enden solche zermürbenden Beziehungskrisen sogar tödlich, in Deutschland circa 150 Fälle pro Jahr. Entweder der Mann suizidiert sich oder bringt seine Partnerin um oder gegebenenfalls beides, was wir als erweiterten Suizid bezeichnen. Der Täter selbst befindet sich zuvor in einer sogenannten homizidalen Bereitschaft.

Ist eine Vergewaltigung eine Art Bestrafung für die Frau?

Seifert: Wenn es tatsächlich primär um Macht geht, dann kann man das durchaus so verstehen. Aber wie gesagt: Man muss stets den Einzelfall betrachten. Typisch Mann, typisch Frau – so einfach funktioniert das nicht. Wenn wir einen solchen Angeklagten für das Gericht begutachten oder in der forensischen Klinik einen Gewalt- oder Sexualstraftäter behandeln, dann müssen wir möglichst umfangreiche Informationen zur Beziehung zwischen Täter und Opfer einholen. Wie war sie früher? Wie hat sie sich im Laufe der letzten Zeit entwickelt? Welche Gedanken, Einstellungen zu Frauen beziehungsweise Vorstellungen von Beziehung hatte der Täter? Worum geht es ihm bei Partnerschaften? Erst wenn wir das alles ausreichend untersucht und verstanden haben, können wir mit unserer Behandlung beginnen. Mit dem Ziel, dass der Täter nicht wieder straffällig wird. Es ist folglich ein komplexes Geschehen, was man nicht einfach auf den Aspekt „Macht und Bestrafung“ reduzieren darf.

Red Flags: Wie sich eine Frau vor Missbrauch in der Beziehung schützen kann

Wie wichtig ist Macht bei sexueller Gewalt?

Seifert: Auch hier gilt: Jeder Mann ist unterschiedlich gestrickt und man muss daher den Einzelfall betrachten. Aber Machtausübung spielt sicherlich in vielen Fällen eine wichtige Rolle, die sich im alltäglichen Zusammenleben widerspiegelt und dann in häuslicher oder eben auch sexueller Gewalt zum Vorschein kommt.

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Kann sich eine Frau vor Missbrauch in der Beziehung schützen?

Seifert: Zuerst einmal würde ich raten: Augen auf bei der Partnerwahl. Das klingt vielleicht simpel, aber wenn der Partner beispielsweise mehrmalig wegen Körperverletzungen vorbestraft ist, sollte das ein ernstzunehmendes Warnzeichen sein. Genauso vorsichtig sollte man sein, wenn der Partner eine narzisstische Persönlichkeit aufweist, eventuell gepaart mit einem hohen Bedürfnis nach Machtausübung. Der Narzisst möchte eben bewundert werden, zu einer gleichberechtigten Partnerschaft ist er kaum in der Lage. Wenn ein solcher Mann dann beispielsweise beruflich nicht mehr erfolgreich ist oder sogar den Job verliert, kann die Beziehungsdynamik schnell kippen und der Frust darüber wird an der Frau ausgelassen.

Prof. Dr. Dieter Seifert, ärztlicher Direktor der forensischen Psychiatrie der Christophorus Klinik in Münster
Prof. Dr. Dieter Seifert ist ärztlicher Direktor der forensischen Psychiatrie der Christophorus Klinik in Münster. Er behandelt dort auch Sexualstraftäter. © FUNKE Foto Services | Prof. Dr. Dieter Seifert

Was sind weitere Red Flags?

Seifert: Man sollte darauf achten, wie sich der Partner in Konflikten mit anderen Menschen verhält. Ist er hier schnell aufbrausend, wenig reflektiert und empathisch oder sogar aggressiv, kann das darauf hinweisen, dass er sich später in einem Partnerschaftskonflikt ähnlich verhält. Als weiterer Risikofaktor für Täter gelten in der Kindheit selbst erlittene Gewalterfahrungen. Das sollte keineswegs unterschätzt werden. Als Frau sollte man versuchen, den Partner dazu zu bewegen, sich in eine Therapie zu begeben. Erneut hinzuweisen ist auf die hohe Bedeutung des Alkoholkonsums. Dieser wirkt oft wie ein Brandbeschleuniger oder Katalysator.

Was passiert mit Männern, die sich in einer besonders schwierigen Lebenssituation befinden?

Seifert: Ich hatte eben schon die homizidale Bereitschaft angesprochen. Wenn Männer in eine Depression rutschen, kann diese sich anders als bei Frauen äußern. Während bei Frauen zumeist die typisch depressive Verstimmung im Vordergrund steht, zeigt sich diese Störung bei einigen Männern vordergründig in einer vermehrten Gereiztheit, Angespanntheit, einem zunehmenden Alkoholkonsum und einer höheren Risikobereitschaft oder eben Aggressivität. Erschwerend kommt hinzu, dass Männer im Vergleich zu Frauen weitaus weniger bereit sind, sich in eine Therapie zu begeben.

Pornos und Alkohol: Psychiater warnt vor „Brandbeschleunigern“

Wie geht es dann weiter, Ihrer Erfahrung nach?

Seifert: So eine Depression kann beispielsweise durch zunehmenden Stress und Überforderung im Beruf ausgelöst werden. Die Belastung steigt kontinuierlich an, er arbeitet mehr und mehr, erreicht aber doch nicht die an ihn gestellten Erwartungen. Zum Stressabbau beginnt er Alkohol zu trinken oder Beruhigungsmittel zu konsumieren, andere lenken sich mit Pornos ab. Die Situation entwickelt sich langsam, spitzt sich aber immer mehr zu. Oft hat der Mann schon zuvor aggressive Fantasien verspürt. Und dann reicht oft eine Kleinigkeit, sodass es zum Übergriff kommt.

Abuse or domestic violence concept. The man covers the woman's mouth with his hand. A woman in tears and with traces of beating on her face. Social problems, aggression and abuse against women. Vector illustration.
 In Deutschland erleben jedes Jahr etwa 150.000 Menschen Gewalt in ihrer Beziehung. Nur rund 20 Prozent der Täter sind Frauen. © iStock | Yulia Zaikina

Wirken Pornos auch als Brandbeschleuniger?

Seifert: Das kann durchaus sein. Üblicherweise geht es dort ja rein um den sexuellen Akt und die Gefügigkeit der Frauen. Und selten enden Pornos damit, dass das Paar vor den Traualtar tritt. Die Wahrnehmung der Frau wird reduziert auf den sexuellen Akt oder den Weg dahin. Und natürlich, wenn man sich davon beseelen lässt und stundenlang konsumiert, dann macht das was mit der persönlichen Wahrnehmung und Wertschätzung von Frauen.

Anmerkung der Redaktion

Von (häuslicher) Gewalt betroffene Frauen erhalten Unterstützung beim bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ der Bundesregierung unter der 116 016. Der Anruf ist kostenlos und auf Wunsch anonym. Über die Internetseite www.hilfetelefon.de können sich Betroffene zudem online per E-Mail oder Chat beraten lassen.

Alternativ können Sie sich auch an die Telefonseelsorge wenden. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.