Essen. Beim Anschlag starben drei Menschen – darunter eine Mutter (56), die sich für Integration engagierte. Was wir über sie und die Überlebenden wissen.

Bei dem Messerangriff in Solingen am Freitagabend werden eine Frau und zwei Männer im Alter von 56 und 67 Jahren getötet, acht weitere Menschen werden zum Teil schwerst verletzt. Die ganze Stadt trauert mit den Familien, Menschen legen Blumen an der Solinger Stadtkirche nahe dem Tatort nieder und gedenken der Opfer. Weitere Details über sie werden nun bekannt, berichtet die nordrhein-westfälische Tageszeitung WAZ, die wie diese Redaktion zur FUNKE Mediengruppe gehört.

Verein trauert um 56-Jährige: „Einfach nur entsetzlich“

Am Sonntagmorgen haben sie sich in ihrer Halle beim Ohligser Turnverein getroffen. Aber nicht wie sonst, um Sport zu treiben. Sie haben gemeinsam geweint, geredet, den Gefühlen Raum gelassen. Der Turnverein im Westen von Solingen trauert um ein Mitglied, drei weitere Sportler wurden bei dem Messerattentat schwer verletzt.

Das Todesopfer, eines von dreien der schrecklichen Tat von Freitagabend, war Mitglied der Kanuabteilung. Die 56-jährige Mutter eines erwachsenen Sohnes engagierte sich offenbar sehr für den Verein, der auch Badminton, Schwimmen oder Schach anbietet – unter anderem war sie Festwartin.

„Dass gerade sie, der Integration so sehr am Herzen lag, auf diese Weise sterben musste, ist kaum zu fassen und einfach nur entsetzlich.“

Bekannte eines der Todesopfer

Und nicht nur dort: Vereinskameraden, Freunde, aber auch berufliche Wegbegleiter kannten sie als Streiterin für Integration. Nach Informationen dieser Redaktion war sie Mitglied in einem Bürger- und Kulturverein in ihrem Stadtteil Ohligs, der sich besonders um Minderheiten und Vielfalt bemühte.

Der Verein „Waldmeister e.V.“, der sich selbst „Kulturelles Selbstversorgungsamt Solingen“ nennt, veröffentlichte eine Traueranzeige für die „Toten, die bei dem schändlichen Attentat vom 23. August 2024 in Solingen ihr Leben verloren“. Die 56-Jährige wird darin als Vereinsmitglied namentlich genannt. In der Satzung steht unter anderem dies: Man verpflichte sich „besonders den Werten der Menschenrechte: Freiheit, Gleichheit und Vielfalt“, beziehe klar „Stellung gegen jede Form von Gewalt, Intoleranz, Ungleichheit und Diskriminierung“.

Eine Bekannte der 56-Jährigen sagt: „Dass gerade sie, der Integration so sehr am Herzen lag, auf diese Weise sterben musste, ist kaum zu fassen und einfach nur entsetzlich.“ Am Freitagabend war in Solingen kein gewöhnliches Stadtfest gefeiert worden: Mit einem „Festival der Vielfalt“ hatte die Stadt ihren 650. Geburtstag feiern wollen.

Die, die die 56-Jährige kannten, beschreiben sie gegenüber dieser Redaktion als „positiv, besonders nett und freundlich“. Das bestätigt auch eine Arbeitskollegin der Frau. Ihr zufolge hat die studierte Pharmazeutin, die aus Ostdeutschland nach Solingen gekommen war, als angestellte Apothekerin in Apotheken der Stadt gearbeitet.

„Wir sind fassungslos, haben dafür keine Worte“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Turnvereins OTV, Beate Globisch, dem Solinger Tageblatt. „Für die kleine Abteilung ist das ein Drama. Hier geht es zu wie in einer Familie.“

Unter den Verletzten: Der Ehemann, eine Mutter und ihre Tochter

Auch der Ehemann der 56-Jährigen, ebenfalls im Vorstand der Kanuten aktiv, sei bei dem Terrorakt schwer verletzt worden, heißt es vom Verein. Er sei inzwischen wieder aus dem Koma erwacht, habe bei der Polizei eine detaillierte Zeugenaussage gemacht.

Er hatte sich auf das Festival gefreut. In einem Post zum Programm schrieb er vorab: „Fahrplan für heute Abend und auch morgen Abend.“ Das war wenige Stunden, bevor er zum Fronhof aufbrach. Ein „Morgen“ gab es für seine Frau nun nicht mehr.

Unter den Verletzten, von denen mittlerweile die meisten außer Lebensgefahr sein sollen, sind offenbar auch eine Mutter und ihre Tochter, die in einem Krankenhaus in Wuppertal behandelt werden. Andere wurden nach Remscheid verlegt. Beate Globisch, die stellvertretende Vorsitzende des Ohligser Turnvereins, vermutet, dass sich die verletzten Mitglieder und die 56-Jährige auf dem Stadtfest in Solingen nur zufällig getroffen hätten.

Menschen aus Solinger Musik- und Eventszene unter den Opfern

Auch „Cobra“, ein soziokulturelles Zentrum in der Stadt, fühlt mit den Opfern, unter denen offenbar auch Menschen aus der Solinger Musik- und Eventszene sind. Auf Facebook heißt es, ein Vorstandsmitglied des Cobra Clubs und Gäste der Einrichtung seien betroffen.

„Wir empfinden tiefe Trauer für die Toten, großes Mitgefühl für ihre Angehörigen und wünschen allen Verletzten schnelle körperliche, aber auch seelische Heilung“, postete das Zentrum. Weiter dazu äußern wollte sich aus dem Umfeld des Clubs am Montag niemand. 

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Unter den Verletzten: Iraner blickt Täter „direkt in die Augen“

Siavash Hosseini war dort, mitten in dem Tumult, der nach dem Angriff am Freitagabend vor der Musikbühne am Fronhof in der Solinger Innenstadt ausgebrochen war. Hosseini war aus Köln nach Solingen gefahren, um dort einen schönen Abend zu verbringen - er gehört zu den acht Menschen, die bei denm Anschlag verletzt worden sind.

Der gebürtige Iraner ist vor der Bühne auf dem Fronhof, als dort der Täter mit einem Messer Menschen gezielt in den Hals sticht. Hosseini wird im Nacken getroffen und schwer verletzt, so erzählt er im Interview mit dem WDR. „Alles ist in weniger als 15 Sekunden passiert“, sagt der Kölner dem Fernsehsender. Niemand habe reagieren können, dafür sei alles viel zu schnell gegangen.

Siavash Hosseini im Interview mit dem WDR. 
Siavash Hosseini im Interview mit dem WDR.  © WDR | WDR

Hosseini ist erst vor einem Jahr aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet. Er hat inzwischen eine Ausbildung als Mechatroniker begonnen. Kurz vor dem Anschlag habe er mit seinem Handy noch ein Video von dem Konzert auf der Bühne gemacht. Dann brach das Chaos aus: Er habe dem Täter direkt in die Augen gesehen, sagt der Iraner dem WDR, dann sei er direkt auf ihn zugekommen. Er habe sich noch wegdrehen können. Trotzdem trifft ihn das Messer im Nacken und hinterlässt eine tiefe Schnittwunde.

Hosseini wird mit den anderen Verletzten ins Krankenhaus gebracht und mit 21 Stichen genäht. „Ich bin ganz glücklich“, meint er heute. Er sei am Leben.  „Ich könnte einer der getöteten Menschen sein.“