Buchholz. Viele Übungsleiter bei Blau-Weiss sind älter als 60 Jahre. Was die Senioren motiviert und warum sie gar nicht ans Aufhören denken.
Der Fachkräftemangel und die nachlassende Bereitschaft, sich ehrenamtlich einzubringen, machen nicht nur Unternehmen, sondern inzwischen auch vielen Vereinen zu schaffen. Besonders gebeutelt sind laut einer Umfrage des Think Tanks Ziviz (Zivilgesellschaft in Zahlen) die Sportvereine. 27 Prozent beklagen einen starken Rückgang des Engagements.
Blau-Weiss Buchholz, mit 6000 Mitgliedern der zweitgrößte Sportverein im Landkreis Harburg, hat dagegen nach wie vor ein starkes Rückgrat aus Aktiven, die dem Verein ihre Zeit und Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Das Erfolgsgeheimnis: Senioren sind hier willkommen. Ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihr Können werden besonders wertgeschätzt.
Der Vorsitzende Arno Reglitzky ist 88 Jahre alt und läuft fünfmal pro Woche
„Achtung, Arno kommt“, ruft ein Blau-Weiss-Mitglied auf dem Parkplatz des Sportzentrums am Holzweg. Und tatsächlich, da biegt Arno Reglitzky, der Vorsitzende von Blau-Weiss Buchholz, schon um die Ecke. Natürlich im Laufschritt und in Laufklamotten. Federnd, locker, kein bisschen außer Atem. Die Frage nach seinem Alter beantwortet der drahtige Sportler mit „88 Jahre“. Und fügt hinzu: „Wie alt jemand ist, hat doch nichts mit seinen Fähigkeiten und Leistungen zu tun.“ Er, der bis zum 60. Lebensjahr Forschungsleiter bei Shell war, fand als Manager eines Sportvereins seine neue Berufung.
Bis weit in seine 40er war Reglitzky Gelegenheitssportler. Bei einem zweijährigen England-Aufenthalt ging er besorgniserregend in die Breite: die Pubs, das Essen, das Bier. Der Arzt warnte ihn. Seine Frau Ute, schon damals Übungsleiterin bei Blau Weiss, mahnte. Zurück in Buchholz begann Reglitzky, mit seinem Nachbarn zu laufen. Erst nur einen Kilometer. Dann bald mehr. Inzwischen hat er 55 Marathons absolviert. Noch immer läuft er fünfmal pro Woche.
Reglitzkys erster Gedanke nach dem Aufstehen gilt „seinem“ Sportverein
Doch sein erster Gedanke nach dem Aufstehen gilt dem Verein. Schon um 6.30 Uhr telefoniert er das erste Mal mit der Geschäftsstelle. Dann setzt er sich an den Rechner, beantwortet Mails, telefoniert. Ein Fulltime-Job, der ihn dermaßen in Anspruch nimmt, dass er oft erst abends die Zeit findet, um mit der Stirnlampe auf dem Kopf über die Fußwege von Buchholz zu traben.
„Ich liebe Herausforderungen“, sagt er über seine Motivation. In seiner Ägide hat der Verein nicht nur eine Verdreifachung seiner Mitgliederzahlen, sondern auch eine Vervielfachung seiner Gebäude und Trainingsmöglichkeiten erlebt. Als Reglitzky vor 32 Jahren das Amt des Vereinsvorsitzenden antrat, glaubte er noch, mit wenig Zeitaufwand davon zu kommen. Ein bisschen Sitzungen leiten, ein bisschen Reden schreiben, mehr sei das nicht. Von wegen.
Jubiläum: Buchholzer Stadtlauf besteht in diesem Jahr seit 25 Jahren
Ein erstes typisches Beispiel für Reglitzkys nimmermüden Einsatz: Gegen heftige Widerstände führte er 1999 den Buchholzer Stadtlauf ein – ein Event, das in diesem Jahr 25-jähriges Bestehen feiert und sich in erster Linie an Breitensportler richtet. Doch Ausgerechnet Olympia war für den Vereinschef der Auslöser seiner beispiellosen Erfolgsgeschichte.
Als Hamburg 2006 als Austragungsort Olympischer Spiele ins Gespräch kam, sollte am Holzweg in Buchholz ein Trainingslager für die Olympioniken entstehen. An vorderster Front der Planungsgruppe: Arno Reglitzky. Sein Verein hatte damals nur ein kleines Häuschen mit Self-made-Charme am Sprötzer Weg, wollte gern größere Anlagen. Die Olympia-Träume zerplatzten. Der Plan für ein neues Blau-Weiss-Sportzentrum blieb. Woher das Geld nehmen?
Wichtige Etappe: Vereinsgrundstück am Sprötzer Weg meistbietend verkauft
Blau-Weiss lebt von Mitgliedsbeiträgen, von Zuschüssen der Stadt Buchholz und von Finanzmitteln des Landessportbundes. Reglitzky pokerte, um das Vereinsgrundstück am Sprötzer Weg meistbietend zu verkaufen. Und er verstand es, mit politischem Einfluss – er sitzt für die FDP im Kreistag – und hartnäckigem Charme bei der Spendenakquise sein Herzensprojekt zu verwirklichen. Das neue Sportzentrum am Holzweg wurde 2006 eingeweiht. Von da an ging es Schlag auf Schlag. 2010 eröffnete Blau-Weiss die Integrative Sport- und Freizeitanlage für Menschen mit und ohne Behinderung.
Parallel bereitete Reglitzky schon wieder einen Neubau vor. Nämlich eine Kletterhalle. „Der Vereinsvorstand hat mich damals fast für blöd erklärt, Politiker schüttelten die Köpfe“, erinnert er sich. Doch 2012 wurde auf dem Blau-Weiss-Gelände am Holzweg tatsächlich die größte Kletterhalle Niedersachsens eröffnet und sorgte sofort für steile Mitgliederzuwächse. Der quirlige Vorsitzende saugt neue Sportideen auf wie ein Schwamm. So kam Buchholz noch zu einer Boulderhalle für freies Klettern, die seit 2018 die Kletterhalle und die neue Sporthalle Süd verbindet.
Während der Pandemie ging die Mitgliederzahl von 6400 auf 4800 zurück
Dann kam Corona. „Es war fast ein Todesstoß“, erinnert sich Reglitzky. Die Zahl der Vereinsmitglieder stürzte von 6400 auf 4800 ab. Heftige Diskussionen im Verein. Die Gefahr einer Insolvenz zeichnete sich ab. Und er, der seinen Fulltime-Job ehrenamtlich macht, griff daraufhin in die eigene Tasche, gab dem Verein 40.000 Euro als zinsloses Darlehen. Noch heute spendet er immer wieder in die Vereinskasse, finanziert Neuanschaffungen. „Ich lebe sehr bescheiden, ich brauche das Geld nicht“, sagt er.
Inzwischen hat sich die Mitgliederzahl des Sportvereins wieder bei 6000 stabilisiert. Doch Reglitzky geht nach wie vor betteln. Bei Banken, bei Unternehmen, bei Stiftungen. Alles für seinen Verein. Denn der umtriebige Mann hat wieder neue Pläne, diesmal für die Tennisanlage, die rollstuhlgerecht gemacht werden soll. „Ich sehe die Ängste, Sorgen und das Bedürfnis nach Absicherung im Verein. Aber wenn ich das jemals an den Tag gelegt hätte, wären wir immer noch am Sprötzer Weg “, sagt er..
Michael Hoffmann ist Vereinsmanager und Nachwuchstrainer der Judoabteilung
Einer, der es läuferisch mit Arno Reglitzky aufnehmen könnte, ist Michael Hoffmann. Der 67-jährige Buchholzer hat mehr als 70 Marathons absolviert, war auch beim Ironman auf Hawaii erfolgreich. Hoffmann hat bei Blau-Weiss eine Doppelfunktion. 30 Stunden in der Woche arbeitet er als angestellter Vereinsmanager. Viermal pro Woche trainiert er die Kinder und Jugendlichen der Judo-Abteilung. „Meine Frau arbeitet noch, allein zu Hause zu bleiben würde mir nicht genügen“, sagt er.
Fast jedes Wochenende ist Hoffmann unterwegs, begleitet junge Leistungssportler zu Trainingterminen, Lehrgängen und Wettbewerben. Fortbildungen sind seine Leidenschaft. Mit seinen Befähigungsnachweisen und Urkunden für Zusatzausbildungen könnte er inzwischen wohl ganze Wände tapezieren. Das alles macht er ehrenamtlich.
„Wenn sich einer beim Training nicht anstrengen will, dann bin ich sauer“
Ein Enthusiast im besten Sinne. Mit seinem Einsatz will Hoffmann auch weniger privilegierten Kindern den Sport im Verein ermöglichen. Judo sieht er als Türöffner, der jungen Leuten Selbstvertrauen gibt, ihnen die Gesetze der Fairness und Achtung vor dem Wettkampfpartner vermittelt. Siegen durch Nachgeben, das sei die hohe Kunst dieser asiatischen Sportart. Auch der Spaß kommt nicht zu kurz: Zeltlager, Ostereiersuchen, Judo im Schwarzlicht, bei dem die Anzüge effektvoll leuchten, der engagierte Senior Hoffmann weiß, was bei den Kids ankommt.
Doch eines kann er nicht leiden: „Wenn einer beim Training nur körperlich anwesend ist und sich nicht anstrengen will, dann bin ich sauer“, sagt er. Auslöser der Nullbock-Mentalität seien häufig die Eltern. Selbst durch Job und Haushalt überfordert, hätten viele nicht die Zeit, sich ihren Kindern ausreichend zu widmen. „Da haben wir Senioren die Aufgabe, Vorbild zu sein.“
Vom Tanzen zur Gymnastik: Marion Beneke (86) ist noch immer Übungsleiterin
Durch das Leben tanzt Marion Beneke. Die 86-Jährige, die in ihrer Jugend Ballettunterricht bekam und 1968 bei Blau-Weiss die erste Jazzdance-Gruppe im Landkreis Harburg ins Leben rief, ist noch immer Übungsleiterin bei ihrem Verein. Und zwar mit Begeisterung. Inzwischen ist ihre frühere Tanzgruppe in die Jahre gekommen und deshalb auf Gymnastik umgeschwenkt. „Aber ich selbst kann die Folgen, die ich choreographiere, noch tanzen“, sagt die Kursleiterin mit der Figur eines Mädchens.
Und wirbelt durch den Gymnastikraum, dass der rotgesträhnte Bob fliegt. Jede ihrer Stunden bereitet Beneke mit Akribie vor. Denn: „Die Musik muss zu den Bewegungen passen.“ Die Seniorinnen sind angetan. Sie wissen den Impuls, den die fetzigen Klänge ihnen geben, offenbar zu schätzen und halten das anstrengende Programm von einer Stunde gut durch. Spaß am Sport zu vermitteln, das ist nach wie vor das Ding von Marion Beneke.
Regina Bögeholz: ehrenamtliche Abteilungsleiterin der Sparte Gesundheitssport
Ein Profi in Sachen Vereinssport ist Regina Bögeholz. Die 68-Jährige hat sich vor allem als Flamenco-Lehrerin einen Namen gemacht. Generationen von jungen Frauen hat sie für den spanischen Tanz begeistert, der viel Konzentration, Übung und Rhythmusgefühl verlangt. Inzwischen ist die Flamenco-Gruppe bei Blau Weiss Buchholz aufgelöst. Denn Bögeholz hatte vor Kurzem einen Unfall, laboriert noch an den Folgen und weiß, dass sie sich künftig zurücknehmen muss.
- „Bombastisch abgeliefert“: Buchholz begeistert zum Bundesliga-Auftakt
- Turnen: Was Mareen Jacobs alles für den Traum von der Bundesliga tut
- Florett-Fechten: Deutsche Meisterschaften Altersklasse U13 in Winsen
Nach wie vor ist sie jedoch ehrenamtliche Abteilungsleiterin der 430 Mitglieder zählenden Sparte Gesundheitssport, die mit ihrem 27 Stunden umfassenden Angebot vor allem die 60- bis 90-Jährigen anspricht. Fast täglich kommt Bögeholz in die Geschäftsstelle, gibt Anmeldeformulare neuer Mitglieder ab, kontrolliert Teilnehmerlisten, Sport-Equipment, hält Kontakt zu den 13 Kursleitern ihrer Abteilung und überlegt, wie sie neue Angebote schaffen kann.
Gedächtnistraining ist einer der Kurse mit großem Zuspruch bei Senioren
„Die Antennen für Trends sind immer an“, sagt sie. Der Bedarf ist da. Bereits 20 Prozent der Blau-Weiss-Mitglieder sind über 60 Jahre alt. Einer der Kurse, der großen Zuspruch bei Senioren findet, ist Gedächtnistraining. Jogging für die grauen Zellen sozusagen. Wenn ein Jüngerer oder eine Jüngere käme, um sie abzulösen, wäre Bögeholz nicht böse drum: „Es wäre doch gut, wenn sich jemand findet, der frische Ideen einbringt. Und vor allem besser mit dem Computer umgehen kann“, sagt sie selbstkritisch.
Klein, energisch, und ungeheuer motivierend: Inge Fedeler (79) ist zweimal in der Woche mit „Gymnastik flott“ auf dem Stundenplan von Blau Weiss Buchholz vertreten. „Wir sind miteinander älter geworden“, sagt sie über ihre Turngruppe, die ausschließlich aus Frauen besteht. Die können sich bei Fedeler gut aufgehoben fühlen. Die erfahrene Trainerin weiß genau über die Wehwehchen ihrer Teilnehmerinnen Bescheid.
Viele Gruppen wie Familie: Gemeinsame Aktiviäten auch außerhalb der Halle
Länger als 50 Jahre gehört Fedeler nun schon zum Verein. Erst turnte sie selbst bei der Schwangerschaftsgymnastik mit. Dann übernahm sie nach einer Kurzausbildung das Kinderturnen. Inzwischen ist sie bei den Oldies angekommen, die sie mit ihrem Elan ansteckt. Selbst während der Pandemie haben die Damen gemeinsam trainiert. Draußen, auf dem Sportplatz, mit Sicherheitsabstand.
In den Kursen von Inge Fedeler wird viel gelacht. „Wir sind wie eine große Familie“, schwärmt sie. Und wie es sich für eine Familie gehört, gehen die Damen neben dem Sport auch gemeinsam wandern oder essen. Ans Aufhören denkt Fedeler nicht. Vielmehr besucht sie regelmäßig Lehrgänge, um ihr Können und Wissen aktuell zu halten. „Meine Übungsleiterlizenz gilt noch bis 2026“, sagt sie stolz.