Tespe. Michael Cramm, Sozialdemokrat und Bürgermeister in Tespe, tritt zur Wahl am 9. Oktober an. Was ihn bewegt hat und wofür er steht
„Ich möchte nichts verwalten, sondern mit Menschen Probleme lösen“, sagt Michael Cramm. Das klingt im ersten Moment etwas eigenartig. Immerhin bewirbt sich Michael Cramm um den Posten des Landrats im Kreis Harburg. Als Herausforderer von Amtsinhaber Rainer Rempe geht es doch um eben das, um den höchsten Posten in der Kreisverwaltung, also irgendwie ums Verwalten. Der 62-Jährige sieht das anders: „Das stimmt eben nicht. Verwaltungsrecht ist nicht in Stein gemeißelt, es gibt Ermessensspielräume.“
Wenn er die Wahl am 9. Oktober gewinnen würde, dann wäre eine seiner ersten Amtshandlungen deshalb eine Mitarbeiterversammlung, bei der er den Kollegen im Winsener Kreishaus sein Leitbild vermitteln würde: „Wir machen nicht nur das, was gemacht werden muss, sondern schauen, was darüber hinaus möglich ist.“ Kreative Verwaltung nennt Cramm das.
Eines seiner Kernthemen: Medizinische Grundversorgung
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was er unter kreativ versteht, ein Beispiel aus seinem Dorf Tespe, wo er Bürgermeister ist: Der hiesige Hausarzt wollte in Rente gehen, eine Nachfolge fand sich nicht. Da setzte sich der Bürgermeister, wie er erzählt, mit Mitstreitern zusammen. Sie schrieben eine moderne Bewerbung um einen Arzt für ihr Dorf, hoben alle Vorzüge hervor. Zudem versprach er einen sicheren Kitaplatz und ein zinsloses Darlehen durch die Gemeinde. Sie hängten das Schreiben in medizinischen Instituten aus, verbreiteten die Suche über soziale Medien im Netz. „Wir waren kurz davor auch noch einen Imagefilm zu drehen“, sagt Cramm. Doch dann fand sich eine Ärztin. 14 Tage bevor der Arzt seine Praxis endgültig schließen wollte. „Die ländlichen Regionen werden mit ihren Problemen allein gelassen“, sagt der Politiker. Er wünscht sich Konzepte vom Landkreis für die medizinische Versorgung. Eines seiner Kernthemen.
Wer ihn so reden hört, könnte denken, er lebe schon ewig in Tespe. Doch Cramm ist ein Zugezogener, wie er selber sagt. 2009 kam er mit seiner Familie her, baute ein Haus am Deich, ganz nahe der Elbe, wo er gern angelt. Wasser ist sein Element. Nach seiner Zeit bei der Bundeswehr, wo der gelernte Kfz-Mechaniker es bis zum Oberfeldwebel brachte, trat er 1990 in den Dienst der Polizei Hamburg ein. Bei der Wasserschutzpolizei arbeitete er bis zu seiner Pensionierung vor zwei Jahren. Mitglied der SPD ist er seit 2011, seit 2016 ist er Ratsmitglied, 2017 wurde er zum ehrenamtlichen Bürgermeister gewählt. Eine steile Karriere für einen Zugezogenen.
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Dabei könnte ihm geholfen haben, dass er mittlerweile in so einigen Vereinen Mitglied ist – zum Beispiel bei den Anglern, dem Schützenkorps sowie im Förderverein der Feuerwehr. Und mit Sicherheit hat es auch etwas damit zu tun, dass er gern Menschen kennenlernt, auf sie zugeht, den Kontakt sucht. „Ich bin sehr kommunikativ“, sagt Cramm. Vielleicht zu kommunikativ? Zumindest hatten ihm einige Mitstreiter im Vorwege zum Pressegespräch an diesem Vormittag geraten, bloß nicht zu viel zu reden. „Weniger sei mehr“, hätten sie ihm gesagt. Deshalb hat er sich ein paar Notizen gemacht, um sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Der Zettel liegt vor ihm. Doch daran abarbeiten, wird er sich nicht.
Er war nicht erste Wahl aller Sozialdemokraten im Landkreis
Ist seine sehr kommunikative Art auch einer der Gründe, warum er nicht die erste Wahl der SPD im Landkreis Harburg für das Rennen um den hohen Verwaltungsposten war? „Oh, das Thema hätte ich lieber umgangen“, sagt Cramm ehrlich und antwortet dann doch: „Das ist eben ein demokratischer Prozess“, sagt er.
Einigen in der Partei wäre Claus Wilker, Jurist und Mitglied der SPD in Winsen, als Kandidat lieber gewesen. Ihm räumten viele in den Reihen der Sozialdemokraten mehr Chancen gegen den amtierenden Rainer Rempe ein, der von der CDU unterstützt wird, seit 2014 im Amt und Volljurist mit wirtschaftswissenschaftlichem Schwerpunkt ist. Zudem war er zuvor in Leitungspositionen beim Landkreis Harburg tätig. Claus Wilker lebt in der Kreisstadt und ist Fachanwalt für Arbeitsrecht. Doch bevor es zur Kampfabstimmung zwischen Wilker und Cramm kommen konnte, zog Wilker seine Kandidatur Mitte April überraschend zurück. Aus beruflichen Gründen, wir die Partei mitteilte.
"Bürgernah und ansprechbar" will Michael Cramm sein
„Ich bin kein Jurist, aber Diplomverwaltungswirt“, betont Cramm. Zudem sehe er es nicht als seine Aufgabe an, der Spezialist zu sein, sondern die Spezialisten im Haus zu haben. Sein Slogan für den Wahlkampf wünscht er sich in etwa so: „bürgernah und ansprechbar.“
„Ich kann nicht für alles eine Lösung versprechen, aber ich kann versprechen, mir die Probleme anzuhören, zu schauen, was man machen kann“, sagt der fünffache Familienvater. Ihm sei wichtig, dass die Menschen ernstgenommen werden, zeitnah Antworten erhielten, mehr beteiligt werden.
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Thematisch will er sich für eine Verbesserung des ÖPNV, den Erhalt der medizinischen Grundversorgung besonders auch in ländlichen Bereichen sowie die Schaffung von Wohnraum einsetzen. Zudem ist ihm der der gesellschaftliche Zusammenhalt eine Herzensangelegenheit. „Ich werde mich für die Förderung des Ehrenamtes stark machen und eine Neubürgerbegrüßung einführen“, sagt er.
Beim Wahlkampf setzt er auf soziale Medien und Haustürbesuche
Bei seinem Wahlkampf setzt Cramm auf soziale Medien, Haustürbesuche und Informationsveranstaltungen. Dabei hat er ganz besonders die Nichtwähler im Auge. „Ich werde in die sozialen Brennpunkte gehen und mir die Sorgen der Leute anhören“, kündigt er an. Es ist die Besinnung auf die Sozialdemokratischen Wurzeln und das ausgerechnet in Zeiten, in denen die SPD eine Wahlschlappe nach der anderen einfährt. Doch parteilos wollte er nicht antreten. „Die Sozialdemokratie ist meine Ausrichtung“, sagt er. Ob ihm der derzeit negative Bundestrend der SPD am Ende auch schadet, vermag er nicht zu sagen.
Warum er sich als amtierender Bürgermeister, Gemeindepolitiker, aktives Vereinsmitglied und ehrenamtlicher Richter in Lüneburg diesen Wahlkampf aufbürdet? „Ich mache das gern. Mir macht es Spaß, auf die Menschen zu zugehen“, sagt er. Man könne doch die Chance nicht ungenutzt lassen, etwas zu beeinflussen und positiv zu verändern.
„Seit über zwanzig Jahren wird unser Landkreis konservativ und routiniert verwaltet. Viele Gestaltungsmöglichkeiten und Veränderungschancen werden dadurch nicht genutzt, Probleme nicht kreativ und energisch genug angegangen. Für die großen Herausforderungen der Zukunft braucht es Planungen, die den Anforderungen wirklich entsprechen, weil sonst nicht nur Stillstand, sondern Rückschritt droht“, schreibt er dazu auf seiner Internetseite. Im Gespräch fügt er mit einem Lächeln noch hinzu. „Ich kann ja auch nicht immer Zuhause sitzen und nur angeln.“ Da fischt er jetzt lieber nach Wählerstimmen.