Hamburg. Er ist einer der großen Architekten der Stadt. Der 81-Jährige ist so streitlustig wie kreativ, so Hamburgverliebt wie kritisch.

Herr Marg, Ihre Projektskizze zur HafenCity hat Hamburg geprägt. In dieser Skizze haben Sie zwei Hochhäuser an den Elbbrücken vorgeschlagen, jetzt kommt eins. Sind Sie mit dem Elbtower glücklich?

Volkwin Marg: Meine Freihandskizze ist damals anstelle eines präzisen Entwurfsvorschlags entstanden, weil die Stadt als Auftraggeber des Gutachtens keinerlei verbindliche architektonische Festlegung wollte. Eine Landmarke als Tor für den Stadteingang bei den Elbbrücken war für mich selbstverständlich. Die vorhandene historische Doppelbogen­brücke hatte ursprünglich riesenhafte Portale …

... die man der autogerechten Stadt geopfert hat.

Marg: Genau, sie waren das Tor zur Stadt. Aber die Stadteinfahrt mit vielen Brücken ist dort auch heute noch, deshalb hatte ich die verschwundenen Portale durch zwei Türme ersetzt.

Diese Idee hat das Büro David Chipperfield in seinem siegreichen Entwurf nun nicht aufgegriffen.

Marg: Ich habe mich über die Intransparenz des Entscheidungsverfahrens gewundert. Viele haben sich gefragt, ob es vor allem um die Höhe des Grundstückspreises und finanzielle Sicherheiten für die Stadt und nur nachgeordnet um eine symbolische Aussagekraft der Architektur ging. Vielleicht war das eine Überreaktion auf das Finanzdesaster bei der Elbphilharmonie, das die Stadt am Ende ausbaden musste? Bürger und Spender hatten sich erst in eine finanziell nicht abgesicherte Architektur-Vision verliebt, und danach ist über sie die politisch peinliche Kostenlawine hereingebrochen. Die Stadtoberen hat für Hammonias arrangierte Verlobung mit einem der investierenden Freier wohl besonders die Erotik seiner finanziellen Mitgift bestochen.

Elbtower

Hat das über die Ästhetik gesiegt?

Marg: Das haben Sie gesagt. In Hamburg wird eine Hochzeit des Kapitalismus meistbietend wie auf einem freien Markt verhandelt.

Was macht diesen Ort an den Elbbrücken so besonders?

Marg: Der Genius Loci. So einen wie diesen gibt es kein zweites Mal auf der ganzen Welt. Die Elbbrücken sind die letzten vor der Nordsee. Sie markieren die Einfahrt zur Stadt mit einem optischen und akustischen Stahlgewitter. Das müsste eine architektonische Landmarke an diesem einmaligen Ort reflektieren.

Das vermissen Sie?

Marg: Die Modelle, die in die engste Wahl genommen wurden, könnten überall stehen, zum Beispiel in Dubai, Shanghai oder Singapur. Sie haben keinen Bezug zu Hamburg und schon gar nicht zum einmaligen Genius Loci. Sie sind der Ausdruck einer ubiquitären Gesinnung und spiegeln nur den globalen Zeitgeist, der den konkreten Ort und seine Geschichte gering schätzt. Es geht weltweit um modische Sensationen. Am häufigsten dort, wo es um die Erektion der finanziellen Potenz geht. Hammonia soll nun spektakulär mit dem gewählten Bräutigam glücklich werden.

In Hamburg erleben wir gerade so manche architektonische Scheidung. Sie haben in unserem letzten Gespräch gesagt: „Die boomenden 60er- und 70er-Jahre waren die Zeit der Geschmacksverirrung. Und das geht schon wieder los.“ Sind wir jetzt mittendrin?

Marg: Leider ja. Vor allem Scheidung der Stadt von ihrer Geschichte. Hamburg wurde früher bewundert für seine konservative Noblesse. Die 70er-Jahre brachten einen ersten Sündenfall, denken Sie an die wogenden Hochhaus-Gebirge des sogenannten Alsterzentrums, unter denen die Neue Heimat das gesamte St. Georg begraben wollte. Gott sei Dank ist das nicht zustande gekommen.

Was halten Sie von der Mitte Altona?

Marg: Eine sehr zu begrüßende Umwandlung von trennenden Gleisanlagen in ein verbindendes Wohnquartier. Aber dort entstehen auch Abstandsprobleme, zum Beispiel im Holsten-Quartier, die wir seit den Gründerjahren des 19. Jahrhunderts für überwunden hielten. Damals spielten Licht, Luft und Sonne für die zu engen Hinterhöfe keine Rolle. Auch damals sollten durch Spekulation überteuerte Grundstückspreise durch maximale Überbauung kompensiert werden.

City-Hof

Hätte der legendäre Oberbaudirektor Fritz Schumacher die Neue Mitte Altona so genehmigt?

Marg: Nein, natürlich nicht. Die zweifache Traufhöhe als minimaler Gebäude­abstand wurde bei ihm zum Gesetz, wie in seiner Jarrestadt oder in Dulsberg von ihm demonstriert wurde.

Aber irgendwo müssen die Menschen wohnen ...

Marg: Hamburg hat dafür durchaus noch Flächen­. Bei allem Verständnis für Aufstockungen, Lückenfüllungen und Nachverdichtungen darf es keinen Rückfall in die Gründerjahre geben. Es gibt sehr wohl noch Verdichtungsmöglichkeiten entlang der Ausfallstraßen und auch Konversionsflächen für Wohnbauland. Zum Beispiel den Großen Grasbrook, der bereits bei der ersten Olympia­bewerbung ein großes Wohnquartier werden sollte. Die dortige Autoverladung auf Schiffe sollte man endlich in den zu wenig genutzten inneren Hafen verlagern und Jörn Walters Sprung über die Elbe von der HafenCity nach Wilhelmsburg samt U-Bahn vollenden. Alles andere wäre zu kurz gesprungen.

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Der Elbtower ist ein Milliardenprojekt

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    Wer bestimmt den Bodenpreis?

    Marg: Der, der die Planungshoheit hat. Das ist die Stadt. Der gesamte Freihafen, dazu gehörte früher das Gebiet der HafenCity und heute zum Beispiel der Kleine und Große Grasbrook, der wurde zu Bismarcks Zeiten von den Hamburger Pfeffersäcken sozialisiert. Es blieb kein einziger Quadratmeter Privatgrund. Die hatten Karl Marx schon zu Kaiserzeiten weit links überholt. Darüber hinaus bietet das hoheitliche Planungsrecht ­Instrumente, die Spekulation mit privatem Grund einzudämmen. Mein Vater erklärte mich zur roten Socke, als ich 1963 als Student in die SPD eintrat. Warum? Ich tat das wegen der gemeinnützigen Sozialisierung von Luft, Wasser, Grund und Boden. Ich glaubte an das Gemeinwohl in Form des Erbbaurechts. Da steht zum Beispiel der City-Hof in der Altstadt drauf.

    Seit Jahren kämpfen Sie um den Erhalt des Denkmals City-Hof. Nun dürfte es bald abgerissen werden ...

    Marg: Was dort passiert, halte ich für politische Selbstverleugnung, sowohl meiner Genossen als auch der Grünen. Das Erbbaurecht wird meistbietend verkauft, und die Grünen ignorieren jegliche Ökologie, indem sie eine riesige Masse verwertbarer sogenannter grauer Energie abreißen wollen. Und das auch noch bei einem Baudenkmal, das erst 2013 unter Schutz gestellt wurde! Und in dem nachweislich alle vier Türme bewohnbar sind! Unser Senat verleugnet dabei auch den Wiederaufbaugeist der 50er-Jahre in Form seiner Wiedergutmachung an die von den Nazis verfemte Weiße Moderne, indem er sich leider in der Architektur populistisch anpassen will.

    Nun streitet die Stadt über das Deutschlandhaus am Gänsemarkt, das ebenfalls abgerissen werden soll.

    Marg: Das ist leider problematisch. Es gibt dort keinen gesetzlichen Denkmalschutz, wohl weil sich hinter den veränderten Fassaden keine Originalsubstanz mehr befindet. Aber der Ersatzbau wird wohl äußerlich wie eine Replik in ähnlicher Figur und Backsteinfassade errichtet.

    Oberbillwerder

    Derzeit steht Abriss hoch im Kurs – auch das Hermes-Hochhaus in Bahrenfeld von 1981 soll weg.

    Marg: Das Hochhaus ist zwar als Landmarke belanglos, aber ein Abriss ist auch hier merkwürdig. Ich verstehe die Grünen wirklich nicht: Sie schreien bei jedem Wachtelkönig, aber hier wollen sie auch wieder jede Menge grauer Energie vernichten. Warum haben sie zum Beispiel nicht untersuchen lassen, ob der Rohbau in das größte Studenten- oder Alten­domizil – oder beides gemischt – zu verwandeln gewesen wäre? Direkt am ­S-Bahnhof Bahrenfeld in Nähe des beliebten Altonaer Kiezes, mit Fernsicht zur Elbe im Süden.

    Fürchten Sie auch um die Asklepios Klinik Altona?

    Marg: Ja,aber das sehe ich etwas anders. Nicht weil ich bei ihrem Architekten Kallmorgen als Student gearbeitet habe, als der Wettbewerb lief, sondern weil ich zurzeit vier Krankenhäuser im Bau habe und damit über reichlich praktische Erfahrung verfüge. Medizin und Therapie haben sich seit 50 Jahren total geändert. Das seinerzeit auf Maß geschneiderte Haus ist dahingehend nicht anpassbar. Eine anderweitige Nutzung ist ebenfalls nicht denkbar, weshalb hier wohl ein Neubau unvermeidlich wird.

    Der neue Oberbaudirektor will den Blick verstärkt auf die Ränder, in die sozialen Brennpunkte richten. Wie kann man diese Gebiete weiterentwickeln?

    Marg: Das macht er zurzeit besonders in Oberbillwerder. Das war schon seit Jahrzehnten beabsichtigt, aber nicht getan worden. Wie soziale Brennpunkte befriedet werden können, hat schon sein Vorgänger beim Sprung über die Elbe bewiesen. Entscheidend bleibt freilich überall die Überwindung der fehlenden sozialen Durchmischung. Mümmelmannsberg oder Steilshoop zum Beispiel sind im Prinzip durchaus richtig angelegte Stadtquartiere, trotz einiger Schwächen besonders in ihren Zentren. Da ließe sich manches mit aufwertendem Rückbau, Ergänzungen und Umbauten verbessern. Das Wesentliche bleibt aber die Veränderung der sozialen Struktur der Bevölkerung. In Kirchdorf Süd zum Beispiel ist das alles sicher schwieriger, aber auch unverzichtbar.

    Derzeit diskutiert die Stadt das günstige Bauen. In Modellprojekten sollen die Kosten von 8 Euro Miete pro Quadratmeter nicht übertroffen werden.

    Marg: Man könnte billiger gleichwohl architektonisch anspruchsvolle Wohnungen bauen, wenn das erdrückende Korsett gut gemeinter, aber unangemessener Zwangsauflagen gelockert würde. Das betrifft die überzogene Perfektion von Vorschriften zu Schallschutz, Wärmeschutz, Ausbaustandards und so weiter. Den wenig bemittelten Mietern ist der Standard auch des Ausbaus und der Ausstattung, die sie zum Teil selber beisteuern könnten, nicht so wichtig wie das Milieu und die Lebensqualität des Wohnumfeldes. Warmwasserboiler, Küchenausbau, Waschmaschinen und Fußböden würden viele zur Not auch selbst beschaffen.

    Nun bekommt Hamburg mit Oberbillwerder einen neuen Stadtteil auf der grünen Wiese. Kann das klappen?

    Marg: Oberbillwerder bietet eine große Chance. Der zukünftige Stadtteil ist prima durch die S-Bahn erschlossen: in wenigen Minuten nach Bergedorf oder in die City. Er sollte urbaner und dichter gebaut werden als die zu weitläufigen südlichen Siedlungen von Allermöhe. Keine ländliche Wohnsiedlung, sondern ein urban gemischtes Quartier, in dem auch gearbeitet wird. Eine Stadt, gegliedert durch Grachten wie in Friedrichstadt oder Glückstadt, im reizvollen Kontrast zum frei gehaltenen großen Landschaftsraum der Billwerder Marsch.

    So soll der Elbtower aussehen:

    So soll der Elbtower in der HafenCity aussehen

    Der Elbtower soll das höchste Gebäude in Hamburg werden
    Der Elbtower soll das höchste Gebäude in Hamburg werden © Signa Chipperfield
    Der Elbtower vom Baakenhafen aus gesehen
    Der Elbtower vom Baakenhafen aus gesehen © Hosoya Schaefer Chipperfield
    Eine Luftaufnahme mit dem Standort des neuen Hochhauses
    Eine Luftaufnahme mit dem Standort des neuen Hochhauses © Signa Chipperfield
    Die Skyline am Hafen wird künftig um ein Gebäude reicher sein
    Die Skyline am Hafen wird künftig um ein Gebäude reicher sein © Signa Chipperfield
    Der Querschnitt des Elbtowers
    Der Querschnitt des Elbtowers © Signa Chipperfield
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