Hamburg. Eigentümer dürfen unterdurchschnittliche Mieten um bis zu 15 Prozent erhöhen. Wie sie tricksen, zeigt ein Beispiel aus Eppendorf.
Zwei Tage vor Weihnachten bekam Christian Siems* von seinem Vermieter eine besondere Überraschung zugeschickt: Seine Miete werde von 330 Euro auf rund 410 Euro erhöht, schrieb die Hausverwaltung. Grund sei der aktualisierte Mietenspiegel. Seit einem Eigentümerwechsel vor einem Jahr ist dies nicht die erste Mieterhöhung für ihn. Siems wurde sogar schon eine Prämie angeboten, dass er auszieht. Für ihn ist das Maß voll.
Bis zu 200.000 Haushalte in Hamburg dürften in den vergangenen drei Monaten eine Mieterhöhung erhalten haben, schätzt der Mieterverein zu Hamburg. Im Dezember 2017 wurde der neue Mietenspiegel veröffentlicht.
Vermieter dürfen Mietpreise, die bisher unter dem Durchschnitt des Mietenspiegels liegen, ohne weitere Begründung bis zu 15 Prozent erhöhen. Nach Angaben des Mietervereins könnten Vermieter bei rund einem Drittel aller Hamburger Mietwohnungen die Mieten hochsetzen.
Mieterhöhung, die über das Erlaubte hinausgeht
Und einige sogar über das gesetzliche Maximum hinaus. Die Mieter bemerken das oft nicht, weil nicht alle den Prozentsatz ausrechnen. Vermieter spekulieren darauf, dass sich die einzelnen Mieter nicht wehren. Sie können den übertriebenen Mietsteigerungen aber widersprechen.
Bei dem Eppendorfer Siems schlägt die Hausverwaltung sogar 20 Prozent drauf, und damit fünf Prozentpunkte mehr, als erlaubt sind. Und er ist nicht der einzige Betroffene. In mindestens zwei weiteren Fällen haben seine Nachbarn das gleiche Schreiben erhalten. Auch in diesen Briefen kündigt die Hausverwaltung eine Mieterhöhung an, die über das Erlaubte hinausgeht.
„Viele Vermieter halten sich nicht an die Kappungsgrenze“, sagt Britta Schön, Mietrechtsexpertin der Verbraucherorganisation Finanztip. Im Dezember hat die Stadtentwicklungsbehörde den neuen Mietenspiegel veröffentlicht. Dieser wird alle zwei Jahre neu ermittelt. Dort legen Vertreter der Immobilienwirtschaft und der Mieterverbände gemeinsam mit der Behörde fest, an welchen Miethöhen sich Mieter und Vermieter orientieren können.
Hausverwaltung bietet Mietern Umzugsprämie an
In den vergangenen zwei Jahren ist die Miete durchschnittlich um 5,2 Prozent im Vergleich zum letzten Mietenspiegel gestiegen, sagt Anwältin Britta Schön von Finanztip. Wohnlagen werden dabei unterschiedlich eingestuft: Es gibt „normale“ und „gute“ Wohnlagen. Im vergangenen Jahr wurden sechs Prozent aller Wohnlagen in Hamburg von „normal“ auf „gut“ hochgestuft. Das bekommen die Mieter zu spüren, die nun automatisch in eine höhere Preiskategorie rutschen.
Die Wohnung von Siems am Rande von Eppendorf ist im Mietenspiegel der Wohnlage „normal“ zugeordnet. Sie ist mit rund 50 Quadratmetern nicht sehr groß und war recht günstig, als er sie vor mehr als 15 Jahren anmietete. Der Eigentümer, ein Hamburger Kaufmann, habe die Miete nie erhöht. „Der hatte das Herz auf dem rechten Fleck“, sagt Siems. 2017 wurde die Wohnung dann verkauft. Seitdem tritt eine Hausverwaltung als Vermieter auf und nutzt jede Möglichkeit, die Miete nach oben zu treiben. „Mit der neuen Vermietung haben wir nur noch über den Briefkasten Kontakt.“
Für Christian Siems war die unzulässige Mieterhöhung nicht der einzige Brief vom neuen Vermieter. Ein paar Wochen später kündigte die Hausverwaltung an, das Haus zu modernisieren. Unter anderem sollte die Fassade gedämmt werden. Zusammen mit der Mietenspiegelerhöhung würde seine Miete damit sogar auf rund 600 Euro steigen, das wäre fast doppelt so viel wie das, was er derzeit noch zahlt.
Die Hausverwaltung bot ihm und anderen Mietern sogar an, ihnen jeweils 7500 Euro als Umzugsprämie zu zahlen, wenn sie ausziehen würden.
Ohne Ankündigung Pflanzen aus den Beeten gerissen
Wer der Eigentümer ist, für den die Hausverwaltung handelt, ist Altmieter Siems nicht klar. Die Hausverwaltung schreibt ihm im Namen einer Firma, die die Adresse seines Hauses im Namen führt. Nach Recherchen von Correctiv gehört diese Firma wiederum zu demselben Konzern, der die Hausverwaltung führt.
Siems könnte die Mieterhöhung aufgrund der geringen Grundmiete und der kleinen Wohnung noch tragen. Er hat nun den Mieterverein zu Hamburg eingeschaltet, um sich gegen die überhöhten Forderungen seiner Hausverwaltung zu wehren.
Seine Nachbarn bekommen den Einfluss der neuen Eigentümer bereits ganz unmittelbar zu spüren. Vergangene Woche wurden im gemieteten Garten Pflanzen aus den Beeten weggerissen. „Ohne Vorankündigung“, sagt eine Mieterin. Bald könnte im Garten ein Baugerüst stehen. Die betroffenen Mieter schließen sich jetzt zusammen, um sich gegen die Maßnahmen des Vermieters zu wehren.
*Name von der Redaktion geändert
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