Hamburg. Mietervereins-Chef ruft die Hamburger auf, beim Rechercheprojekt von Abendblatt und Correctiv mitzuwirken – zu ihrem eigenen Schutz.
Er gilt als mächtigster Vertreter der Hamburger Mieter: Siegmund Chychla. Vorstand und Geschäftsführer des Mietervereins zu Hamburg, vertritt nicht nur rund 65.000 Mitgliedshaushalte, sondern sieht sich auch als Interessenwahrer der insgesamt rund 720.000 Wohnungsmieter in der Hansestadt gegenüber der Politik. Im Abendblatt-Interview erklärt er, warum es für Mieter so wichtig ist zu wissen, wer genau ihr Vermieter ist, warum sich sein Verein an dem Projekt „Wem gehört Hamburg?“ beteiligt – und er äußert sich zu den Plänen der Großen Koalition und ihren Auswirkungen für Mieter.
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Herr Chychla, nach dem jüngsten Mietenspiegel scheint sich der Anstieg der Mieten in Hamburg zu verlangsamen. Können Sie schon Entwarnung geben?
Siegmund Chychla: Nein, auf keinen Fall. Denn die Mieten steigen ja weiterhin mit 5,2 Prozent deutlich schneller als alle anderen Preise. Der etwas reduzierte Anstieg gegenüber den Vorjahren hat viel mit der Hamburger Politik der vergangenen Jahre zu tun. Erstens wurde 2013 die Kappungsgrenze, also die maximal mögliche Mieterhöhung binnen drei Jahren, von 20 auf 15 Prozent gesenkt. Auch die Mietpreisbremse, also die Höchstgrenze bei Neuvermietungen, hat wohl einen Effekt gehabt – auch wenn sie weniger gewirkt hat als erhofft. Außerdem hatte der Bau von mehr als 30.000 Wohnungen zwischen 2011 und 2016 einen positiven Effekt.
Führt allein die hohe Nachfrage zu den nach wie vor schnell steigenden Mieten?
Nein, es gibt auch andere Faktoren. Ein ganz entscheidender ist, dass im Zeitalter der Globalisierung immer mehr internationale Investoren auf den Hamburger Immobilienmarkt drängen. Mit vielen anderen Anlagen lässt sich nämlich derzeit wegen der niedrigen Zinsen kaum Geld verdienen. Also fließt immer mehr Kapital in Wohnungen und Wohnhäuser.
Das erhöht aber doch zunächst nur die Immobilienpreise. Dem Mieter kann das doch egal sein, oder?
Falsch. Denn Vermieter, die allein auf die höchstmögliche Rendite schauen, werden die Mieten stets bis zur rechtlich möglichen Grenze anheben – manche auch darüber hinaus, solange niemand sich dagegen wehrt. Genossenschaften oder die städtische Saga handhaben das anders. Denn ihnen geht es in erster Linie darum, den Bürger der Stadt Obdach zu geben – und nicht darum, möglichst viel Geld zu verdienen. Auch kleinen Privatvermietern ist ein gutes Verhältnis zu ihren Mietern oft wichtiger als die Maximierung des Gewinns. Reine Investoren tragen mit ihren hohen Renditeerwartungen also dazu bei, dass die Mieten schneller steigen.
Wie ist denn der Wohnungsbestand in Hamburg verteilt?
Wir haben rund 720.000 Mietwohnungen in Hamburg. Davon gehören rund 130.000 der städtischen Saga und 130.000 den 30 Hamburger Baugenossenschaften. Die restlichen 460.000 gehören privaten Vermietern. Eines der größten Privatunternehmen auf dem Markt ist der neue Bundesriese Vonovia. Die Vonovia dürfte in Hamburg 12.000 Wohnungen besitzen. Es gibt auch andere größere örtliche Unternehmen wie z. B. Thor, Plambeck oder die Vogel KG, denen viele Wohnungen gehören. Dazu gibt es viele kleinere Bestandshalter, von denen niemand so genau weiß, wie viele es sind und was ihnen alles gehört.
Gibt es denn Indizien für massive Investitionen durch Investoren oder Fonds?
Ja. So hat sich zuletzt etwa der skandinavischer Investor Akelius massiv auf dem Hamburger Wohnungsmarkt eingekauft. Wir schätzen, dass Akelius bereits rund 6000 Wohnungen in Hamburg besitzt. Es kommen auch immer mehr andere ausländische Investoren, die in Deutschland Wohnungen aufkaufen. Neben Frankfurt, Berlin und München ist Hamburg für viele ein interessanter Markt. Auch chinesische Investoren haben ein Auge auf Deutschland und Hamburg geworfen.
Aber haben große Investoren nicht immer eine wichtige Rolle gespielt?
Nein. Solange sich anders gut Geld verdienen ließ, standen Wohnungen nicht so stark im Fokus, wenn es um Investitionen oder Spekulation ging. Bis vor zehn Jahren wurden auch meist nur größere Bestände übernommen. Mittlerweile kaufen sich Investoren auch gerne Einzelwohnungen oder Häuser zusammen. Das ist neu.
Warum stehen Deutschland und Hamburg da jetzt so im Fokus?
London ist schon zu teuer und wird auch durch den Brexit unattraktiver. Und Anleger sind auf der Suche nach politisch stabilen und prosperierenden Volkswirtschaften. Und da sind Deutschland und Hamburg eben eine gute Adresse. Die Mieter bekommen oft gar nicht bewusst mit, wenn die Wohnung, in der sie leben, verkauft wird – das merken sie oft erst richtig, wenn plötzlich teuer modernisiert wird und die Mieten stark erhöht werden. Oder wenn es Probleme mit der Instandsetzung gibt.
Mieter kennen ihre Vermieter nicht?
Ja, das hört sich seltsam an. Oft haben die Mieter aber tatsächlich nur mit Wohnungsverwaltungen zu tun, die nur Dienstleister der Eigentümer sind. Auch weiß man oft nicht, wer sich hinter irgendwelchen Aktiengesellschaften oder GmbHs verbirgt. Das ist ja das Ungerechte: Während Mieter sich vor den Vermietern quasi nackt ausziehen müssen, was Einkommen, Arbeitgeber oder Schufa angeht, bleibt oft völlig offen, wer der wahre Vermieter ist. Da herrscht oft große Intransparenz – obwohl Mietverhältnisse oft länger halten als Ehen. Wir wollen, dass jeder Mieter in Hamburg erfährt, wer sein Vermieter ist.
Was nützt dem einzelnen Mieter das?
Immer, wenn es Probleme gibt, wird es zum Riesenärgernis, wenn der Eigentümer nicht bekannt ist. Manchmal dauert es Wochen, bis man im Fall von Streitigkeiten herausbekommt, wer der Vermieter ist. Viele Hausverwaltungen weigern sich schlicht, diese Information weiterzugeben, sodass Mieter erst mit unserer Hilfe den Rechtsanspruch gerichtlich durchsetzen müssen. Auch kann man sich als Mieter schlecht informieren, wo die eigene Mietkaution liegt oder wie es um die Bonität des Vermieters steht, wenn man nicht weiß, wer der Vermieter ist. Abgesehen davon ist es nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für den politischen Entscheidungsträger wichtig zu wissen, wem auf dem Wohnungsmarkt was gehört und wie sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt entwickelt.
Womit wir bei unserem Projekt wären.
Genau. Deshalb beteiligen wir uns an dem Rechercheprojekt von Correctiv und dem Abendblatt. Als Mieterverein wollen wir gemeinsam mit den Journalisten für mehr Transparenz auf dem Mietwohnungsmarkt in Hamburg sorgen. Dafür brauchen wir allerdings die Unterstützung der Mieter. Jeder Mieter in Hamburg sollte im Eigeninteresse in seinen Mietvertrag schauen und prüfen, ob dort der Vermieter oder nur der Hausverwalter genannt wird. Bei Unklarheiten und Fragen werden wir Mietern gerne Hilfestellung zukommen lassen, den Eigentümer zu ermitteln, wenn sie ihn nicht kennen. Dafür muss man auch nicht Mitglied bei uns werden. Ziel ist es, für uns alle gemeinsam herauszufinden, wer der tatsächliche Vertragspartner der Mieter ist und wem in Hamburg welche Mietwohnungen gehören.
Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag von SPD und Union in Sachen Mieterrechte?
Gemessen an unseren Erwartungen hätten wir uns mehr gewünscht, wenn aber berücksichtigt wird, dass die Wohnraumversorgung im Wahlkampf leider von anderen Themen überlagert wurde, sind die hypothetischen Koalitionäre im Großen und Ganzen auf einem guten Weg. Die Mietpreisbremse soll verschärft werden, die Kosten für Modernisierungen sollen etwas weniger stark auf Mieter umgelegt werden – und der Bund will den Ländern Fördermittel für den Wohnungsbau auch nach 2019 zukommen lassen und Bundesimmobilien überlassen, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern. Das ist alles im Sinne der Mieter.
Sie sind also zufrieden?
Sagen wir es so: Derzeit sehe ich außer der GroKo keine realistische Chance für eine politische Mehrheit, die mehr für Mieter tun würde. Schwarz-Gelb oder eine Jamaika-Koalition wären definitiv schlechter für die Mieter gewesen.
Empfehlen Sie den SPD-Mitgliedern also, der GroKo zuzustimmen?
Unbedingt! Denn was nützt es den Menschen in den Ballungsräumen wie Hamburg, vor allem denen, die der SPD nahestehen, wenn sie aus den Städten verdrängt werden, nur weil die SPD sich nicht der politischen Verantwortung stellen, sondern um ihre Erneuerung kümmern will. Dann hätten wir im besten Falle überspitzt ausgedrückt den Effekt: Partei erneuert und die Mieter schauen in die Röhre.