Mit Shakespeares Aktualität beschäftigte sich ein Seminar des British Council, an dem auch der britische Dramatiker Mark Ravenhill teilnahm
Berlin „Er ist für mich eine Quelle der Inspiration und ständige Herausforderung“, sagt Mark Ravenhill über seinen „Kollegen“ William Shakespeare. Der britische Dramatiker („Shoppen & Ficken“), eigentlich ein Vertreter des drastischen In-yer-face-Theaters, hat gerade zwei Jahre mit der Royal Shakespeare Company zusammengearbeitet und war in dieser Zeit in einem Cottage in Straford-upon-Avon untergebracht. Am Ende hat er sogar ein Sonett über den Dichter geschrieben. Zusammen mit sechs Kollegen ging Ravenhill in einem dreitägigen Seminar des British Council der Frage nach, ob der wahrscheinlich vor 450 Jahren geborene Mann eigentlich immer noch unser Zeitgenosse ist. Am Ende hätte man die Frage am liebsten bejaht, denn die Veranstaltung war ziemlich lebendig und kaum verstaubt.
In seinem Gedicht „A New Sonnett“ schreibt Ravenhill, wie sehr er Shakespeare beneidet. Die Sprache sei damals noch nicht festgelegt gewesen. Ganze Kontinente von Gedanken und Gefühlen habe der Dichter fast täglich zu Papier gebracht. „Du hast aus unserer Sprache in deinem Globe Theatre ein Imperium gemacht“, schreibt er heute. Auch das gekonnte Fluchen habe er seinen Landsleuten beigebracht. Passend dazu gibt es im Theater in Stratford den „insults chair“. Wenn man sich darauf setzt, wird man mit Original-Flüchen aus den Stücken akustisch bombardiert.
Ravenhill, der als Rebell in die Kulturszene einstieg, findet mittlerweile, dass Theater nicht so viele neue Stücke produzieren, sondern sich lieber auf die Klassiker konzentrieren sollten. „Die traditionelle Art Shakespeare zu spielen ist aber nicht unbedingt die beste. Die Texte haben auch diskontinuierliche, dialektische, und Montage-Qualitäten. Das deutsche Theater ist ganz gut darin, das herauszufinden. Seit Brecht ist man hier dabei, die Konflikte aufzuspießen, die man im britischen Theater nicht so gern mag.“
Eine neue Erfahrung mit dem Klassiker machte er, als er „Troilus und Cressida“ inszenieren sollte. „Ein trostloses Stück. Auch als moderner Mensch, der sich mit Nihilismus auskennt, sucht man darin vergeblich nach Vergebung, Freundlichkeit oder Hoffnung. Ich dachte nur: armes Publikum. Ich wollte etwas Positives finden, habe es aber vergeblich gesucht. Ich hätte den Zuschauern gern geholfen, wollte aber das Stück auch nicht verraten.“ Ravenhill schreibt zurzeit ein neues Stück und arbeitet an einem Opern-Libretto mit dem norwegischen Komponisten Rolf Wallin.
Außer Ravenhill waren auch Dame Antonia Byatt, Howard Jacobson, Tom McCarthy, Alice Oswald, Polly Stenham und Naomi Alderman nach Berlin gekommen, um unter der Leitung des Londoner Anglistik-Professors John Mullan über Shakespeare zu diskutieren. Jeder der teilnehmenden Autoren hatte sich Lieblingsstellen aus dem Kanon herausgesucht. Die Lyrikerin Alice Oswald, die mit „Memorial“ eine freie Neuübersetzung der „Ilias“ veröffentlicht hat, hatte sich für die Sonette entschieden. Etwa für Nummer 116, das in der deutschen Übersetzung so beginnt: „Dem festen Bund getreuer Herzen soll kein Hindernis erstehn.“ Das sei bis heute bei Hochzeiten sehr beliebt, so Oswald. Nur erinnerten sich wenige daran, dass der Dichter damit einen Mann angesprochen hatte.
Die junge Dramatikerin Polly Stenham hatte eine Passage aus „Der Sturm“ gewählt. Eine der Zeilen wiederholte sie und grübelte: „Das könnte auch aus einem Radiohead-Song sein.“ Antonia Byatt wunderte sich „Jedesmal, wenn ich Shakespeare lese, finde ich ein anderes Stück.“ Autor Tom McCarthy zog sogar Parallelen zwischen dem Elisabethanischen Drama und dem NSA-Abhörskandal: „Das findet man alles schon in ‚Hamlet’“. Auch dort werde überwacht und durchsucht.
Verbindungen zur Gegenwart gibt es also in den Stücken genug. Neue werden zurzeit aber auch gerade aufgebaut. Penguin Books, das jetzt zur Verlagsgruppe Random House gehört, hat bei bekannten Autoren vier aktuelle Kurzromanversionen von Shakespeare-Stücken in Auftrag gegeben. Howard Jacobson hat sich „Der Kaufmann von Venedig“ ausgesucht. Margaret Atwood schreibt „Der Sturm“ neu, der norwegische Krimi-Autor Jo Nesbø kümmert sich um „Macbeth“. Die drei haben ihre Lieblingsstücke gewählt. Nur Anne Tyler entschied sich für ein Stück, das sie angeblich hasst: „Der Widerspenstigen Zähmung“. Bis 2016 sollen die neuen Versionen fertig werden. Dann feiert die Welt Shakespeares 500. Todestag.
„Was wir ersinnen, ist des Zufalls Spiel“: aus „Hamlet“