Nach Abendblatt-Bericht über Entmietung und Luxussanierung: SPD-Politiker Werner Dobritz will ein „Hamburger Modell“
Hamburg. „Wenn ich ihnen nur einen Millimeter helfen kann, damit ihr Kampf um die Wohnungen erfolgreich ist, will ich das gerne tun“, sagt Werner Dobritz, 66. Der SPD-Politiker steht im Innenhof der Hegestraße 46. Die meisten der 36 Wohnungen in allerbester Lage am Isebekkanal stehen schon lange leer. Acht Mieter aber sind noch verblieben. Maggi Willer, 55, ist eine von ihnen. „Manchmal helfen auch viele Millimeter, um das Ziel zu erreichen“, sagt sie.
Vor einer Woche hat das Abendblatt in einem großen Dossier über die „Akte Hegestraße“ berichtet. Dort hat ein Investor im Jahr 2009 einen Gebäudekomplex von einer Erbengemeinschaft für 4,7 Millionen Euro gekauft. Er will die vernachlässigten Häuser sanieren und mit Gewinn verkaufen. Aus 36 kleinen sollen 24 Wohneinheiten werden. Um seine Mieter loszuwerden, hat der Eigentümer ihnen im vergangenen August eine Verwertungskündigung geschickt. Seitdem kämpfen sie um ihr Zuhause. Sie werfen dem Investor vor, dass leer stehende Wohnungen unbewohnbar gemacht wurden. Das Bezirksamt Nord ermittelt gegen den Eigentümer wegen Verstößen gegen das Hamburgische Wohnraumschutzgesetz.
„Die Akte Hegestraße hat mich wachgerüttelt“, sagt Werner Dobritz. Er ist ziemlich wütend. 22 Jahre saß Dobritz für die SPD in der Bürgerschaft, von 1997 bis 2001 war er Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses. Seit 1966 macht er Politik für die SPD, immer im Ortsverein Eppendorf. Politiker wie ihn nennt man gerne „Urgestein“. Was Dobritz am meisten ärgert? „Dass die SPD ihr Wächteramt nicht mehr wahrnimmt und viele Funktionsträger jetzt auf Tauchstation gegangen sind.“ Er spricht von einer „unerträglichen Bunkermentalität“ und kann es nicht verstehen, dass seine Parteigenossen es nicht mitbekommen haben wollen, wie dramatisch sich die Lebenswirklichkeit von den Bewohnern der Hegestraße 46 verändert hat. „Das schlägt dem Fass den Boden aus.“ Und das hätte es, sagt er, früher so nicht gegeben.
Werner Dobritz ist kampferprobt. In den 1980er-Jahren tobte in Eppendorf die Auseinandersetzung um die Falkenriedterrassen. Sie dauerte länger als zehn Jahre. „Und jedes Jahr waren die historischen Häuser mindestens einmal schon abgerissen“, sagt er. Doch am Ende war der SPD-Politiker maßgeblich daran beteiligt, dass die unter Denkmalschutz gestellten Häuser mit insgesamt 324 Wohnungen zwischen der Löwenstraße und Falkenried keinem Neubau weichen mussten. Sie wurden zusammen mit den Mietern in einer Genossenschaft saniert. Preiswerter Wohnraum für Geringverdiener blieb bis heute erhalten.
„Die SPD war damals Teil der Mieterinitiativen“, sagt Dobritz. Der Fall Hegestraße zeige nun auf erschütternde Art und Weise, dass die SPD inzwischen Teil des Verwaltungshandelns sei. „Sie schützt ihre Verwaltung mehr als die Mieter.“ Dobritz vermisst nicht nur das aktive Einmischen, sondern auch den Mut. „Dazu gehört es auch, sich auf Versammlungen von Bürgerinitiativen den Fragen der Menschen zu stellen und im Zweifel ausgebuht zu werden.“ Wenn den Bürgern der Verlust ihrer Wohnungen drohe, müsse man es allemal akzeptieren, dass sie aufgebracht sind. Und manchmal müsse man auch seine Hilflosigkeit zeigen.
Für die Hegestraße aber hat Dobritz konkrete Lösungsvorschläge. Er möchte, dass Peter Tschentscher, SPD-Kreisvorsitzender im Bezirk Nord, das Gespräch mit den Mietern vor Ort führt. Und da der Finanzsenator auch für die städtischen Immobilien zuständig ist, fordert Dobritz ihn auf, an einer Lösung für den Erhalt des Wohnungsbestandes Hegestraße 46 mitzuarbeiten. „Die Stadt kann dem Eigentümer das Angebot unterbreiten, dass die Häuser für einen angemessenen Preis von der Saga gekauft werden“, sagt Dobritz. Das städtische Unternehmen solle die Gebäude grundsanieren und die Wohnungen wieder vermieten.
Anschließend könne die Saga den Wohnungsbestand zu einem kostendeckenden Preis an eine ihr bekannte Wohnungsgesellschaft verkaufen, so dass der preiswerte Wohnraum in dieser Innenstadt-Lage erhalten bliebe.
Für Dobritz ist die Hegestraße ein „Präzedenzfall für die zukünftige Wohnungspolitik des Senats“. Es ginge eben nicht nur um die magische Zahl von 6000 neuen Wohnungen pro Jahr, „in der sich viele verfangen haben“. Dieses große Neubauprogramm brauche eine weitere Ergänzung, um nicht ins Leere zu laufen. Denn, wie man in der Hegestraße sehe, würden zwar neue Wohnungen genehmigt, aber am Ende verringert sich die Zahl der Einheiten.
Dobritz geht es um den Erhalt von preiswertem Wohnraum in vielen älteren Quartieren. Seine Idee, die man Hamburger Modell nennen könne: Die einzelnen Bezirksämter identifizieren in bestimmten Quartieren Wohnungskomplexe, um sie vor Spekulanten zu schützen. „Wir nehmen bestimmte Bestände zeitweise aus dem Markt, machen sie durch Sanierung spekulationsresistent und führen sie dann wieder seriösen Hamburger Unternehmen am Markt zu.“ Auf anderen Politikfeldern, wie etwa bei Hapag-Lloyd oder Beiersdorf, würden Senat und Bürgerschaft bereits so handeln, um Unternehmen vor der Übernahme durch Dritte zu schützen, sie in einen öffentlichen Schutzraum zu überführen und Schaden für Hamburg abzuwehren. „Diese Methode lässt sich auch in einem kleineren Stil auf dem städtischen Wohnungsmarkt anwenden“, sagt Dobritz. Und erinnert an Zeiten, als so etwas in Hamburg schon einmal in einem größeren Stil geschehen ist. „Als die Neue Heimat Ende der 80er-Jahre den Bach runterging, hat der damalige SPD/FDP-Senat die Bestände des städtischen Wohnungsunternehmens gekauft“, sagt Dobritz. Einige seien noch in ihrem Bestand, andere sind privatisiert worden. „Wenn diese Entscheidung nicht getroffen worden wäre“, ist Dobritz noch heute sicher, „hätte sich ein gigantischer Spekulationsmarkt mit verheerenden Folgen aufgetan.“
Genau den befürchtet Dobritz nicht nur wegen der momentan historisch niedrigen Zinsen, sondern auch, weil irgendwann die Steueroasen aufgelöst werden. „Dann überschwemmen weitere Milliarden-Summen den Markt und suchen Rendite-Objekte.“ Aber, so Dobritz: „Nicht nur Spekulanten kommen heute an zinsgünstige Kredite, sondern auch die Saga und die Stadt.“ Von daher sei das Modell ökonomisch gestaltbar und die Mieten blieben begrenzt.
Und wenn der Eigentümer nicht verkaufen will? „Er wird es müssen“, sagt Dobritz. „Dafür sorgt die Öffentlichkeit. Und nichts ist für Spekulanten so gefährlich wie Transparenz.“