Hamburg. Die Liberalen fallen gar nicht mehr auf – dabei hätten sie Themen genug.

„Es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren“ – dieser Satz ging nicht nur in die Geschichte der Liberalen ein, sondern in die Annalen der Republik. Ihn sprach FDP-Chef Christian Lindner Ende November 2017, nachdem er die Jamaika-Sondierungen mit CDU/CSU und Grünen platzen ließ. Seitdem geht es für den Wahlsieger der Bundestagswahl 2017 bergab. Damals war die totgesagte FDP mit sensationellen 10,7 Prozent weit vor den Grünen gelandet. In den aktuellen Umfragen sind die Liberalen auf sechs bis sieben Prozent abgerutscht und liegen hinter den Linken noch knapp über der lebensbedrohlichen Fünf-Prozent-Hürde. „Es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren“ – für die FDP ist dieser Satz längst widerlegt.

Mit Blick auf die Performance der Großen Koalition vermuten viele Beobachter, „Jamaika“ wäre die bessere Wahl für das Land gewesen. Auch wenn das Bündnis aus Sozial- und Christdemokraten besser ist als sein schlechter Ruf, für die beiden Volksparteien ist die dritte Elefantenhochzeit in zwölf Jahren suizidal: Die Union liegt in Umfragen mit 27 Prozent, die SPD mit knapp 15 Prozent jeweils sechs Prozentpunkte unter ihrem schon verheerenden Bundestagswahlergebnis. Wäre Lindner ein Christdemokrat oder ein Sozialdemokrat, sein Satz wäre wohl wahr: „Es ist besser, nicht zu regieren, als schlecht zu regieren“.

Die Liberalen: Opfer einer gestörten Aufmerksamkeitsökonomie

Für die FDP hingegen hatte der Gang in die Opposition etwas vom Gang in die Bedeutungslosigkeit: Sie ist langweilig geworden und wird als bürgerliche Stimme zwischen Lautsprechern von links und Radikalen von rechts zerrieben. Die Fundamentalopposition findet ihren Weg in Talkshows und soziale Netzwerke; die FDP findet dort kaum statt. Die Liberalen werden das Opfer einer gestörten Aufmerksamkeitsökonomie, die nicht Argumente, sondern Aggressivität, nicht Fakten, sondern Fiktionen, nicht Substanz, sondern Schrilles, nicht Hintergründe, sondern Hysterie belohnt.

Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblattes.
Matthias Iken ist stellvertretender Chefredakteur des Hamburger Abendblattes. © HA | Andreas Laible

Davon profitieren auch die Grünen, die von Wahlkampfhelfern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oft freundlich ins Licht gesetzt werden. Die aber auch durch ein eloquentes wie sympathisches Spitzenpersonal heller strahlen als die anderen Oppositionsvertreter. Die Grünen profitieren zudem wie keine andere Partei von der Greta-Begeisterung der Deutschen. Das bedeutet aber nicht, dass die FDP keine Themen hätte – eigentlich schreien die Zeiten nach einer liberalen Partei, welche die Dinge gegen den Strich bürstet. Sie muss ihre Themen nur auf die Straße und in die Köpfe der Wähler bringen.

Union, SPD, Linkspartei und Grüne liefern sich einen Wettlauf, wer das Klima am radikalsten rettet. Viele Bundesbürger wollen und können da nicht mithalten. Eine gemäßigte Stimme der Vernunft würde helfen, dass hier nicht der AfD das nächste Thema in den Schoß fällt.

Steuerpolitik der Großen Koalition ist ein Elfmeter für Liberale

Die Union hat sich zudem derart sozialdemokratisiert, dass manche Christdemokraten beim Namen Ludwig Erhard vermutlich eher an eine Straße in Hamburg denken als an den Erfinder der sozialen Marktwirtschaft. Viele Unternehmer und Selbstständige sind heimatlos geworden, aber die FDP hat es kaum vermocht, ihnen eine neue Heimat zu geben. Die Steuerpolitik der Großen Koalition ist ein Elfmeter für Liberale: 2004 lag die Steuerquote unter Gerhard Schröder (SPD) bei 20,6 Prozent, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sie inzwischen auf 23,8 Prozent gesteigert – die Steuereinnahmen sind in dieser Zeit um 80 Prozent gestiegen. Sind die Straßen heute besser, die Züge pünktlicher, die Hochschulen innovativer, die Schulen moderner und die Funklöcher gestopft?

Es wirkt fast grotesk, nun auch noch die schwarze Null kippen zu wollen – an mangelnden Steuereinnahmen krankt die Republik wohl am wenigsten. Nachhaltigkeit sollte nicht nur in der Ökologie, sondern auch in der Ökonomie gelten. Auch die Umwelt muss eine Partei der Mitte bewegen: Wie rettet man das Klima effizient, ohne die Wirtschaft abzuwürgen und den Radikalen neue Wähler zuzuführen?

Es geht auch um das geistige Klima im Land. Wer steht für den Aufbruch in der Mitte? In dieser satten deutschen Selbstzufriedenheit könnten, ja müssten, Liberale der Stachel im Fleisch sein. Das würde aber verlangen, sich in den Wind zu stellen und auch den Shitstorm nicht zu fürchten. Es ist besser, schnell zu reagieren, als gar nicht zu reagieren.