Auf jeden Fall verwirrt sie Ausländer und Flüchtlinge. Wie unsere Grammatik bei der Integration zum Hindernis wird.

Der 30-jährige Dmytro kämpft seit vielen Monaten in der Ukraine bis zur Erschöpfung gegen den russischen Aggressor. Seine Frau Sofija ist mit den beiden Kindern nach Deutschland geflohen, weil sie hier in Sicherheit ist und vom Staat mit Wohnraum, Heizung und Bürgergeld gut versorgt wird. Sofija dürfte arbeiten, und Sofija will arbeiten – wenn es dafür nicht ein entscheidendes Hindernis gäbe: die deutsche Sprache. Selbst als Pflegehilfskraft wäre sie überfordert, wenn eine demente Patientin sie in wirren Worten anspräche, und sogar bei einer Unterhaltung mit einem Gegenüber, der korrekt die Grammatik bis hinab zum zweiten Konjunktiv präsentiert, hat Sofija den Eindruck, dass es sich beim Deutschen um keine Sprache, sondern um das Produkt eines Zufallsgenerators handelt.

Als Sofija mit den Kindern und dem Nachbarn „Mensch ärgere Dich nicht!“ spielte, sagte der Deutsche gewollt hochsprachlich: „Würfest du endlich eine Sechs, könntest du das Spiel beginnen.“ Was heißt „würfest“? Wahrscheinlich die Grundform von „würfen“, dachte Sofija, und schaute an der entsprechenden Stelle im Lexikon nach. Dort stand aber nur „würfeln“, was nicht gemeint war. Sie hätte bei „werfen“ suchen müssen. Im Duden bekäme sie weitergehende Hinweise: <st. V., hat> und auch die Bedeutung: „mit drehend geschwungenem Arm schleudern“. Aha, wenn die Hündin Junge „wirft“, schleudert sie ihre Welpen also aus dem Korb? Nein, „werfen“ heißt dann „gebären“. Das gilt aber nur für Tiere. Menschenkinder werden nicht „geworfen“, sondern „geboren“.

Das „hat“ bedeutet, dass das Perfekt und Plusquamperfekt (vollendete Gegenwart bzw. Vorvergangenheit) mit dem Hilfsverb „haben“ gebildet werden, nicht mit dem Hilfsverb „sein“: Sie „hat“ (hatte) den Ball ins Tor geworfen. Das gilt allerdings nicht für das Passiv (Leideform): Sie „ist“ ins Wasser geworfen worden.

Schwere deutsche Sprache: Kaum ein Verb erscheint in der Grundform

Nun zu <st. V.>. Das „V.“ steht für „Verb“. Unsere Lehrerin hatte eine pragmatische Erklärung parat: Alles, was ihr anfassen könnt wie Wand, Haus, Bank oder Tafel, ist ein Hauptwort und wird großgeschrieben, alles, was ihr tut wie lesen, schreiben, laufen oder reden, ist ein Tuwort und wird kleingeschrieben. Statt Hauptwort sagen wir heute Substantiv (oder Nomen), statt Tuwort heißt es Verb.

Und ein <st. V.> ist ein „starkes“ Verb. Im Mittelpunkt des germanischen Erbwortschatzes steht ein System dieser starken Verben, die ihre Vergangenheitsformen aus sich selbst heraus bilden können, ohne eine Flexionsendung anhängen zu müssen (er friert – er fror). Jacob Grimm, der nicht nur Märchen erzählte, sondern auch ein bedeutender Sprachwissenschaftler war, nannte diese Gruppe in romantischer Verklärung „starke Verben“. Die Bezeichnung „unregelmäßige Verben“ wäre richtiger gewesen. Regelmäßige Verben, die ihre Vergangenheitsformen mithilfe eines angehängten „-(e)t“ bilden (zeig-en – zeig-te), waren dementsprechend die „schwachen Verben“.

Das alles überfordert Sofija. Kaum eine Form erscheint im Infinitiv, in der Grundform. Die Beugung der Verben ist, zumal für Ausländer, kompliziert, verwirrend und hat einen eigenen Namen: die Konjugation, während die auch nicht einfache Beugung von Substantiven und Adjektiven Deklination genannt wird.

Bei den starken Verben wechselt der Stammvokal; er „lautet ab“. Wir haben es also mit einem „Ablaut“ zu tun (werfen – warf – geworfen). Damit sind die Vokale „e“, „a“ und „o“ bereits untergebracht. Bei der Substantivierung in „Wurf“ wird auch das „u“ verbraucht. Sogar das „i“ findet seinen Platz: Bei einigen Verben tritt nämlich ein sogenannter e/i-Wechsel ein: ich werfe – du wirfst; wirf! – werft! (Imperativ, Befehlsform). Das Partizip II wird mit „ge-“ und „-en“ gebildet (stehen – gestanden), bei den schwachen Verben hingegen mit der Endung „-t“ (sagen – gesagt). Zudem gibt es außer dem Ablaut teilweise einen Konsonantenwechsel im Stamm: Bei „ziehen – zog – gezogen“ verwandelt sich das „h“ in ein „g“.

Nicht verzweifeln, Sofija! Wer eine gute Deutsche werden will, muss sich durch die Grammatik kämpfen wie durch den Hirsebrei auf dem Weg ins Schlaraffenland.