Hamburg. Seit 2016 wurde in Hamburg kein Windrad genehmigt, nun drängt die Zeit. Das wird Senator Kerstan angekreidet. Der präsentiert einen Plan.

Trotz jahrelanger Reden von der so dringend nötigen Energiewende: In Hamburg ist seit sieben Jahren kein neues Windrad genehmigt worden. Und wie sich jetzt herausstellt, hat die Stadt auch erst 2022 mit der systematischen Suche nach möglichen neuen Standorten begonnen.

Das musste der Senat in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU einräumen: Man habe erst im vergangenen Jahr ein „behördenübergreifendes Projekt zur Windenergie-Standortsuche in Hamburg eingesetzt“, in dem Behörden, Bezirke und städtische Unternehmen neue Plätze für Windräder suchten.

Bisher gibt es 67 Windkraftanlagen in Hamburg. Sie stehen in den Bezirken Bergedorf und Harburg und im Hafen – und entsprechen wegen ihrer geringen Höhe oft nicht mehr dem modernen Standard.

Fotovoltaik und Windkraft: Kritik an Hamburgs Umweltsenator Kerstan

Für die CDU und den Naturschutzbund Deutschland (Nabu) ist das erstaunlich gemächliche Tempo beim Ausbau der Windkraft nicht akzeptabel – und auch der Koalitionspartner SPD kritisiert zumindest durch die Blume die Arbeit von Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) in diesem Bereich.

„Seit 2015 ist der grüne Umweltsenator im Amt und hat seither wie bei den Fotovoltaikanlagen auch bei der Windkraft wenig umgesetzt“, kritisiert CDU-Umweltpolitiker Sandro Kappe. „Kerstan ist und bleibt ein Ankündigungsmeister. In seiner Amtszeit wurde der Ausbau der Windkraft nicht prioritär betrieben. Man muss davon sprechen, dass er den Ausbau der Erneuerbaren bremst anstatt fördert.“

Naturschützer: „Grüne haben Suche nach Windkraftstandorten verpennt“

Auch der Hamburger Nabu-Vorsitzende Malte Siegert kritisiert den grünen Umweltsenator Kerstan – sieht aber auch Fehler bei der SPD. „Die SPD blockierte jahrelang den Fotovoltaikausbau auf öffentlichen Dächern, die Grünen haben bei der lange anstehenden Suche nach geeigneten Windenergieflächen gepennt“, sagte Siegert dem Abendblatt. „Man muss das als kollektives Senatsversagen ohne Weitsicht bezeichnen. Jetzt passiert alles überhastet und teils ohne Verstand, wahrscheinlich auf Kosten von Natur und Umwelt. Da kann man es ja machen.“

Hintergrund der Kritik: Für den jahrelang verschleppten Ausbau von Fotovoltaikanlagen auf öffentlichen Dächern ist SPD-Finanzsenator Andreas Dressel verantwortlich. Denn die Finanzbehörde ist für die städtischen Gebäude zuständig.

SPD wirft Kerstan vor, lange keine Windrad-Standorte gesucht zu haben

Beim Thema Windkraft kritisiert auch der Koalitionspartner von der SPD den grünen Senator Kerstan. „Der Umweltsenator ist seit langer Zeit aufgefordert, Vorschläge zu bringen, wie das ambitionierte Ziel beim Ausbau erreicht werden kann“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf dem Abendblatt am Donnerstag. Auch von anderen Genossen ist gelegentlich der Vorwurf zu hören, Kerstan unternehme nicht genug bei dem Thema.

„Ohne Frage ist der Ausbau der Windkraft herausfordernd“, sagte Kienscherf. „Die Hamburger SPD wünscht sich, dass alle Verantwortlichen jetzt anpacken und intensiv an Lösungen arbeiten. Den Klimaschutz konkret umzusetzen ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Der Bürgermeister hat sich zuletzt stark engagiert, sodass ich bald mit Erfolgen rechne.“

Zeitdruck wächst: Bis 2032 müssen 200 Hektar zusätzlich ausgewiesen werden

Der Zeitdruck ist mittlerweile hoch. Auch aufgrund des Ukrainekrieges hat der Bund sehr ehrgeizige Vorgaben zum Ausbau der Windenergie gemacht. Bis 2032 sollen jeweils zwei Prozent der Fläche aller Bundesländer für die Windkrafterzeugung genutzt werden – in Stadtstaaten wie Hamburg 0,5 Prozent. Die bisherigen Anlagen machen lediglich 0,24 Prozent der Hamburger Flächen aus. Und das auch nur, wenn man den Flächennutzungsplan ändert. Denn die meisten Anlagen erfüllen wegen der darin bisher verankerten Höhenbegrenzung die Anforderungen nicht. Auch das Landschaftsprogramm, in dem Vorgaben des Naturschutzes festgelegt sind, soll laut Senat geändert werden.

Um das Ziel von 0,5 Prozent zu erreichen, muss neben diesen rechtlichen Änderungen die Zahl der Windkraftanlagen auf mehr als 130 etwa verdoppelt werden. Es müssen also rund 70 neue Standorte gefunden werden. So hatte es Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zuletzt betont. Laut Umweltbehörde bedeutet dies: Zusätzlich zu den derzeit genutzten 180 Hektar müssen weitere 200 Hektar für die Windkraftnutzung ausgewiesen werden – in einer Stadt kein einfaches Unterfangen.

Kerstan wehrt sich: „CDU und SPD haben Windkraftausbau gestoppt“

Umweltsenator Kerstan weist die Kritik von Opposition, Nabu und SPD zurück. „In meiner ersten Zeit als Umweltsenator konnten wir in Hamburg 30 neue Windkraftanlagen aufstellen und haben damit die Zahl fast verdoppelt“, sagte Kerstan dem Abendblatt. „Nachdem die CDU-geführte Bundesregierung 2016 mit dem zuständigen SPD-Wirtschaftsminister das Ausschreibungsmodell installierte, kam der Ausbau der Windkraft in ganz Deutschland praktisch zum Erliegen.“

Die Umweltbehörde habe dennoch in den darauffolgenden Jahren viele Standorte geprüft und versucht, sie durchzusetzen, so Kerstan. „Ohne Erfolg. Denn wir hatten keine Weisungsbefugnis gegenüber anderen Senatsbehörden. Dies hat sich inzwischen geändert.“ Mit „grüner Regierungsbeteiligung unter Wirtschafts- und Klimaminister Habeck“ gehe es „nun auch mit dem Ausbau der Windkraft wieder voran“, so der grüne Umweltsenator.

Hafenfirmen sollen Strom bald selbst durch Windräder erzeugen

Allerdings sei Windkraft „für einen dicht besiedelten Stadtstaat – anders als in einem Flächenland – nicht die erste Wahl mit Blick auf erneuerbare Energien“, sagte Kerstan „Die 67 in Hamburg existierenden Windkraftanlagen haben zusammen eine Leistung von 121,9 Megawatt. Allein die geplante Großwärmepumpe im Klärwerk Dradenau wird 60 Megawatt produzieren, ebenso wie die Wärmepumpen Borsigstraße. Diese Zahlen machen deutlich, dass wir zur Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien deutlich größere Potenziale heben können.“

Gleichwohl werde die Stadt die Windkraft weiter ausbauen. „Wir werden der Vorgabe des Bundes natürlich nachkommen“, betonte Kerstan. Mittlerweile arbeite nun ja auch die behördenübergreifende Arbeitsgruppe am Windenergieausbau.

„In Hamburg ist es sogar gelungen, im besonders schwierigen Umfeld des Hafens Windenergie zu ermöglichen. Das ist europaweit selten und bundesweit in der Menge einzigartig“ so Kerstan. Derzeit spreche man über die Gründung einer gemeinsamen Firma von Hamburg Port Authority (HPA) und den Hamburger Energiewerken. Diese solle „den Eigenstrom für die Hafenwirtschaft, für die HPA und die Hafenunternehmen per Windkraft im Hafen“ erzeugen, so Kerstan. „Damit wird der Prozess der Standortsuche im Hafen Fahrt aufnehmen.“