Wer die Sicherheit erhöhen will, muss auch den Drogenkranken helfen. Das Waffenverbot am Hamburger Hauptbahnhof ist sinnvoll.
Der Hauptbahnhof in Hamburg und sein pulsierendes Umfeld stecken so voller Widersprüche, dass es immer schwieriger wird, sie auszuhalten. Wie konnte dieser Ort in einer der reichsten Städte Europas zu einem solchen Elendsquartier werden? Wie ist es möglich, dass im angrenzenden St. Georg und am ZOB Parallelgesellschaften heimisch geworden sind, deren Koexistenz man nicht einfach schulterzuckend hinnehmen kann? Ist halt Großstadt!?
Die Lange Reihe ist mit Recht eines der beliebtesten Szene-Quartiere, der Hansaplatz ein Albtraum. Die Wandelhalle ist ein Sieben-Tage-Shoppingmarkt, der Weg dorthin ein Spießrutenlauf. Die Theater, Museen und Restaurants ziehen wie der Bahnhof als Verkehrsknotenpunkt selbst Hunderttausende Menschen an – und eben auch Wanderarbeiter, Obdachlose, Drogensüchtige, Gestrandete.
Hauptbahnhof Hamburg: Viele Wahrheiten und verwirrende Statistik
Ein spezieller Widerspruch wird gerne vergessen: Es gibt zahllose subjektive Wahrnehmungen und Wahrheiten über den Hauptbahnhof. Und es gibt „objektive“ Zahlen, die mal dazu passen und mal nicht.
Das Gefühl von Angst, mindestens aber Beklemmung beschleicht viele der täglich 550.000 Besucherinnen und Besucher. Dieses wird durch die neuen Sicherheitsmaßnahmen jetzt ernster genommen als zuletzt. Man kann den positiven Eindruck gewinnen, dass durch das endlich gebündelte Auftreten von Landespolizei, Bundespolizei, Hochbahn- und Bahn-Sicherheit besonnene Frauen und Männer auf dem Weg zu einer Deeskalation der Lage sind.
Kriminalität steigt nach Corona wieder
Mit dem Ende der Corona-Pandemie steigen die Kriminalitätszahlen wieder. Das war erwartbar. Sie werden – vorerst – weiterwachsen, wenn die Polizei die Kontrollen ausweitet, das absolut richtige dauerhafte Waffenverbot ab Oktober verhängt und weiter Präsenz zeigt. Ob die Videoüberwachung des Vorplatzes Kriminelle auf Dauer abschreckt, muss sich erst erweisen.
Es ist viel davon die Rede, dass die Sozialdemokraten im Senat sich an ihren blinden Fleck im Vorwege der Bürgerschaftswahl 2001 erinnern, als Populist Ronald Schill kurz nach den Terrorattacken des 11. September mit „Law and Order“ beim verunsicherten Wahlvolk reüssierte. Den roten und grünen Fraktionen im Rathaus sollte seit Jahren bewusst sein, dass die Not am Hauptbahnhof viele Schattierungen hat. Dass die Stimmen aus der Opposition bislang abprallten, war nur Ausdruck des alten „Wir-und-die“-Widerspruchs. Der Hauptbahnhof geht aber alle an. Es wäre fatal, ihn für durchschaubare populistische Manöver hier oder dort zu missbrauchen.
Zweites Drob Inn am Hauptbahnhof?
Denn die Fratze der Gewalt ist nur eine Ansicht dieses Ortes. Für die Nöte der Obdachlosen und der Abhängigen am Drob Inn sind vergleichbare Aktionspläne und Personal erforderlich. Die Kokain-Schwemme zeigt verheerende Ausmaße. Vor der Hilfseinrichtung vermischen sich die Drogenkranken mit den Kriminellen – den Dealern. Die Ausweitung der Öffnungszeiten am Drob Inn, ein geplanter Zweitbau und die neue Tagesstätte in Laufweite sind wirksame Ansätze, die Lage zu beruhigen. Die Bahnhofsmission mit ihrem neuen Standort arbeitet effektiv und entlastend.
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Es ist alles andere als ein Widerspruch, beide Seiten zusammen zu denken. Dafür brauchen die, die sich um die Betroffenen sowie die Reisenden und Geschäftsleute des Quartiers kümmern, ebenfalls sichtbare Unterstützung.
Was auf Behördenebene schon funktioniert, sollte Hamburg an diesem Ort auf die Straße bringen: Warum nicht eine Allianz von Polizei und Sozialarbeit schmieden?