Nirgends in Deutschland wenden Richter so oft Jugendstrafrecht an. Urteile lassen Jahre auf sich warten, Strafen fallen oft mild aus.
Wählen darf die Hamburgische Bürgerschaft, wer 16, Auto fahren, wer 17 Jahre alt ist. Eine Begründung für die Absenkung des Mindestalters lautet: Jugendliche brächten dafür die nötige persönliche Reife mit. Diese Reife scheinen Hamburgs Jugendrichter aber den allermeisten jungen Menschen, mit denen sie zu tun haben, abzusprechen. Neun von zehn Angeklagten zwischen 18 und 21 Jahren werden in Hamburg nach Jugendstrafrecht verurteilt, obwohl die Gerichte auch Erwachsenenrecht anwenden könnten. Damit steht Hamburg an der Spitze der Bundesländer.
Aber ist dieser Spitzenplatz politisch klug? Erzieherisch richtig? Oder bedarf es in einer verunsicherten Gesellschaft nicht auch von der Justiz ganz anderer Signale? Mehr Tempo in den Verfahren gerade gegen junge Tatverdächtige, Strafen mit präventiver Wirkung, Urteile nach schweren Körperverletzungen, Rauben oder Tötungsdelikten, bei denen der strengere Strafrahmen des Erwachsenenstrafrechts angewendet wird?
Welche Bundesländer auf Erwachsenenstrafrecht setzen
Zum Vergleich: In Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg wenden die Richter in rund 60 Prozent der Fälle, in denen sie die Wahl haben, Erwachsenenstrafrecht an – im Bundesschnitt sind es rund 40 Prozent, in Bayern um die 30. Nur in Hamburg kommt in gerade einmal jedem zehnten Fall das Erwachsenenstrafrecht zur Geltung. Das liegt wohl kaum daran, dass die meist jungen Männer auf der Anklagebank in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern so viel weiter sind in ihrer Persönlichkeitsentwicklung.
Die Hamburger Polizei hat in einer Datei fast 200 Menschen mit besonders hoher krimineller Energie und Gewaltbereitschaft erfasst. Die meisten dieser „Intensivtäter“ sind jünger als 21 Jahre. Sie kommen also aus einer Altersgruppe, bei der hier fast immer das Jugendstrafrecht angewendet wird. Drei der 196 Hamburger Intensivtäter kann man überhaupt nicht bestrafen – sie sind jünger als 14 und damit noch nicht strafmündig. Aber ist diese Altersgrenze noch zeitgemäß?
Ist die Strafunmündigkeit unter 14 noch zeitgemäß?
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hatte unlängst im Abendblatt nach dem gewaltsamen Tod der Mädchen in Freudenberg und Wunsiedel und nach stundenlangen Misshandlungen eines Mädchens durch Gleichaltrige in Heide zwar nicht die grundsätzliche Strafunmündigkeit bei unter 14-Jährigen infrage gestellt, aber angeregt, wissenschaftlich zu überprüfen, ob man in Einzelfällen und bei entsprechender Reife nicht auch schon 12- oder 13-Jährige zur Verantwortung ziehen sollte. Selbst Priens Anregung einer wissenschaftlichen Studie genügte für mediale Empörung.
Blicken wir nach Hamburg. Ein Jahr und ein paar Tage Haft reichten einem Amtsrichter als Urteil für einen Messerstecher, der wegen einer Nichtigkeit einen Mann schwer verletzt hatte. Kaum aus der Haft entlassen, tötet dieser Messerstecher in der Regionalbahn bei Brokstedt zwei junge Fahrgäste.
Noch kein Urteil im Stadtpark-Prozess
Noch immer Bleiben wir in Hamburg: Die Empörung war groß, als in der Silvesternacht überwiegend junge Männer Polizisten und Rettungskräfte gezielt mit Raketen und Böllern angriffen. Die Täter wurden ermittelt. Aber dann? Im Stadtpark missbrauchten mehrere Jugendliche ein Mädchen. Knapp drei Jahre ist das jetzt her. Folgen für die Täter: Fehlanzeige.
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Prozesse, die nicht zeitnah auf eine Straftat folgen, Urteile, die sich (zumindest gefühlt) meist am unteren Ende des Strafrahmens orientieren, Jugendrecht statt Erwachsenenstrafrecht und ein Fokus auf den Täter statt auf die Opfer – das schadet dem Sicherheitsempfinden der Menschen und ihrem Vertrauen in den Rechtsstaat. Auch davon profitieren die Rechtsaußen von der AfD.