Hamburg. Ausstieg aus der Kohle, Ausbau der Windkraft, Abkoppelung vom Erdgas – so einfach ist das alles nicht. Es bedarf einer Kurskorrektur.
Die Ziele der deutschen Energieversorgungspolitik sind mehr als ehrgeizig: Wir wollen möglichst bis 2030, spätestens aber bis 2038 aus der Kohle aussteigen. Ende 2022 sollen die letzten drei Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Bis die Stromversorgung aus regenerativen Quellen wie Sonne, Wind und Wasser sichergestellt werden kann, soll Erdgas mögliche Versorgungslücken in der Grundlast vermeiden. An dessen Stelle soll so rasch wie möglich „grüner“ Wasserstoff treten.
Tempo und Umfang dieser „Energiewende“ werden durch die klimapolitischen Ziele des Pariser Abkommens bestimmt (1,5° - Ziel). Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft soll dadurch nicht beeinträchtigt werden. Die Belastung der Privathaushalte soll erträglich bleiben. Ich halte diese Ziele aus mehreren Gründen für nicht erreichbar:
Für Kohleausstieg wird höhere Stromkapazität gebraucht
Um bis 2030 aus der Kohle aussteigen zu können, wird eine zusätzliche Stromkapazität von mehr als 30 Gigawatt gebraucht. Windenergie wird davon kaum mehr als die Hälfte übernehmen können. Es müssten also 15 bis 20 neue Erdgaskraftwerke geplant, genehmigt und gebaut werden. Bis 2024 erwartet die Bundesnetzagentur einen Zubau von 3,4 Gigawatt, was drei bis vier Kraftwerken entspricht. Wo soll bis 2030 der Rest herkommen? Die Investitionspläne der Versorgungsunternehmen geben das nicht im Geringsten her.
Die nächste Frage wird derzeit lebhaft diskutiert: Wo soll dieses zusätzliche Erdgas denn herkommen? Die Ausgangslage ist dramatisch, spätestens seit der Zuspitzung der Ukraine-Krise. Wir werden gut 95 Prozent des Erdgases importieren müssen. 40 Prozent des gegenwärtigen Bedarfs kommen aus den Niederlanden und aus Norwegen. Dieser Anteil wird sinken, zumal die Liefermöglichkeiten der Niederlande an ihre Grenzen stoßen.
Flüssigerdgas bleibt vorerst nur theoretische Alternative
Das bedeutet: 65 Prozent oder mehr würden aus Russland kommen müssen. Was das heißen kann, führt uns Putin gerade vor. Die Alternative Flüssigerdgas (LNG) ist schön, aber bis auf Weiteres reine Theorie. In Deutschland gibt es nicht einen einzigen LNG-Terminal. Es gibt keine LNG-Tankerflotte. Auch Pipelines von denkbaren Terminals zu den Gasfernleitungen stehen nicht einmal auf dem Papier.
Ebenso in der Luft hängt der Ersatz von Erdgas durch „grünen“ Wasserstoff. Wasserstoffproduktion erfordert hohe Investitionen und einen beträchtlichen Energieeinsatz. Diese Investitionen sind nicht in Sicht. Ohne Großproduktion ist Elektrizität aus Wasserstoff aber auch vom Preis her nicht konkurrenzfähig.
Suche nach Standorten wird schwieriger
Der geplante Ausbau der Windkraft erinnert schon an den Kampf Don Quichottes mit den Windmühlen. Bis 2030 sollen 80% der elektrischen Energie aus regenerativen Quellen kommen. Einmal auf Windkraft umgerechnet bedeutet das, dass pro Jahr mehr als 1300 moderne Windkraftanlagen errichtet werden müssten. Derzeit sind es nicht einmal 500. Die Suche nach geeigneten Standorten wird objektiv schwieriger werden – vom „Bürgerwillen“ und unserem Rechtswegestaat ganz zu schweigen. Die Probleme mit lokalen bis überregionalen Stromtrassen schließlich sind hinreichend bekannt. Wie sollen sie innerhalb von zwei oder drei Jahren behoben werden?Allein diese einfachen Beobachtungen führen zu bedrückenden Einsichten:
Die deutsche Energie-Versorgungs-Politik ist nicht nur auf Kante genäht. Sie ist unzureichend und muss das Land in erhebliche Schwierigkeiten führen. So wie es heute aussieht, führt an deutlich gesteigerten Gasimporten aus Russland auch ohne Nordstream 2 kein Weg vorbei. Sich für die Deckung der Grundlast aber einem beherrschenden Lieferanten und dazu noch Moskau auszuliefern wäre grob fahrlässig.
Kurskorrektur ist jetzt erforderlich
Zudem haben wir nach Dänemark die höchsten Energiepreise in der OECD. Dieses Problem wird bleiben. Darunter wird unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit leiden – ja, das tut sie heute schon. Und was ein weiteres Ansteigen der Energiepreise beim Verbraucher politisch bedeuten kann, das wissen wir alle.
Eine gründliche Kurskorrektur ist also erforderlich. Die Energieversorgung darf nicht länger in erster Linie an zu ehrgeizigen klimapolitischen Zielen ausgerichtet bleiben. Damit beides überhaupt auf eine akzeptable Weise miteinander verknüpft werden kann, muss der Zeitrahmen für die „Energiewende“ gestreckt werden. Das bedeutet nach meiner Überzeugung: Der Kohleausstieg kann allerfrühestens 2038 stattfinden.
Deutschland braucht leistungsstarke LNG-Terminals
Für die drei letzten noch produzierenden Kernkraftwerke muss ein Moratorium her. Wir müssen die Unternehmen dazu zwingen, eine starke nationale Erdgasreserve anzulegen. Wasserstoff muss in die Großproduktion gehen, anstatt sich in Kleinprojekten zu verzetteln. Wir brauchen dringend zwei leistungsstarke LNG-Terminals und deren Anbindung an die Ferngasnetze. Wir müssen die EU bei ihrem Bemühen unterstützen, Bezugsquellen zu diversifizieren. Und natürlich müssen die Genehmigungsverfahren beschleunigt sowie die Planungsvorläufe für Produktion und Verteilung erneuerbarer Energien verkürzt werden.
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Die Bundesregierung hat bereits erkannt, dass wir derzeit unseren gesetzten Zielen hinterherhinken. Mit der Ukraine-Krise sollte diese Einsicht gewachsen sein. Die Antwort aber ist nicht schlüssig: Da müssen wir eben verstärkt aufholen! Das ist Wunschdenken. Aber auch die Aufgabe der klimapolitischen Ziele wäre keine Lösung. Sich mehr Zeit zu geben, um sie sinnvoll erreichen zu können, das ist das Gebot der Stunde.