Hamburg. Dr. Silke Lüder kritisiert falsche Vorstellungen, mangelnde Wertschätzung – und stellt klare Forderungen an die Politik.

Langsam dämmert es der Politik, dass die Impfzentren nicht die einzige Lösung für die notwendigen Massenimpfungen gegen Corona sein können. In Deutschland wird der endgültige Weg aus dem Lockdown über die Praxen von Hausärzten und einigen Fachärzten führen.

In Moskau wird im Einkaufszentrum geimpft, in Israel in den Krankenkassenzentren – und in Deutschland wird vor allem diskutiert, in der Kanzlerinnenrunde, bei Anne Will, im Robert-Koch-Institut, in den Medien.

Die Patientinnen und Patienten in unserer Praxis wollen aber wissen, wann es bei uns losgeht. Wann wir sie impfen können. Was wir von den Impfstoffen halten, ob der Impfstoff von Astra Zeneca wirklich so schlecht ist, und ob sie mit ihrer Allergie geimpft werden können. Nein, der Astra-Zeneca-Impfstoff ist besser als sein Ruf. Und ja, Sie sollten sich trotz Ihrer Hausstauballergie unbedingt impfen lassen!

Corona-Impfung: Ohne Hamburgs Hausärzte wird es nicht gehen

In den vergangenen Wochen habe ich sehr viel mit Patienten über die Impfung gesprochen. Wir sind froh über die tolle Organisation des Impfzentrums in den Messehallen. Auch die Impfungen in den Hamburger Alten- und Pflegeheimen laufen gut. Doch ohne die Praxen wird es nicht gehen. Wir Hausärzte wollen impfen und können uns das mit geeigneten Impfstoffen sehr gut vorstellen.

Allerdings: Auch wir benötigen dafür Unterstützung und mehr Ressourcen. Denn mit der jährlichen Grippeschutzimpfung lässt sich die Corona-Impfung nicht vergleichen. Aufwendige Aufklärungsgespräche, hochbürokratische Aufklärungsbögen und Unterschriftenlisten, schwierige Zubereitung der Impfstoffe und neue Kühlkapazitäten, Nachbeobachtungszeiten von 15 bis 30 Minuten und mehr Nebenwirkungen erfordern deutlich mehr Aufwand. Das ist mit einer Vergütung von 7,41 Euro wie bei der Grippeimpfung nicht getan.

Patienten in der Praxis "priorisieren"?

Was aber überhaupt nicht geht, ist eine Verpflichtung der Arztpraxen, bei der Impfung zu priorisieren und als Kontrollstation für die Einhaltung der ständig wechselnden Impfgruppen zu dienen. Wenn in den Praxen massenhaft und schnell geimpft werden soll, müssen die schematischen Priorisierungs-Gruppen dort aufgelöst werden können. Und es muss genügend Impfstoff für alle Impfwilligen zur Verfügung stehen. Sonst funktioniert es nicht.

In den Praxen haben wir bereits drei verschiedene Sprechstunden: Terminsprechstunden, offene Sprechstunden und Infektsprechstunden. Dann kommen die Impfsprechstunden dazu. Um Abstände einzuhalten, sind die Wartezimmerplätze halbiert. Patientengruppen werden voneinander getrennt, Krebskranke dürfen nicht mit Infektpatienten zusammenkommen. Wie sollen wir unter diesen Umständen in acht Wochen 20 Millionen Menschen impfen? Davon kann nur reden, wer es nicht umsetzen muss.

Jens Spahn scheint die Hausarztpraxen nicht zu kennen

Ja, wir werden impfen, denn ohne uns gibt es keinen Ausweg aus der Pandemie. Aber wir brauchen dafür Unterstützung. Auch für die zusätzliche Arbeit unserer Medizinischen Fachangestellten. Einen Corona-Bonus bekommen sie bestenfalls von uns. Warum nicht aus Steuergeldern? Warum wird ihre Arbeit ignoriert? In der medialen und politischen Darstellung kommt sie jedenfalls nicht vor. Dabei sind es die Praxen, die unser starkes ambulantes Gesundheitssystem am Laufen halten und damit auch die Überforderung der Kliniken verhindern.

Unser Bundesgesundheitsminister scheint die Praxen und ihre Mitarbeiter nicht wirklich zu kennen. Dafür konzentriert er sich außergewöhnlich stark auf die Gesetzgebung. Jens Spahn hat in 20 Mo-naten 20 neue Gesetze geschaffen. Alle hatten etwas mit „Digitalisierung“ zu tun: Komplizierte und unbrauchbare elektronische Patientenakten, elektronische Rezepte, Telemedizin, elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, elektronische Medikationspläne und vieles mehr soll es geben.

Corona: Das Hamburger Impfzentrum

So funktioniert die Corona-Impfung in Hamburg

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    App statt Arzt? Das funktioniert nicht

    Zugleich hat sich das milliardenschwere „Telematik-Programm“ in eine Investitionsruine verwandelt. Bisher gibt es weder für Patienten noch für Ärzte irgendwelche Vorteile. Das Ziel ist nun: App statt Arzt, Videogespräche statt persönlicher Arzt-Patienten-Kontakte, Callcenter-Medizin statt echter Behandlung und zentrale Speicherung der Krankheitsdaten in der Cloud statt geschützter Schweigepflicht. Die Patientendaten sollen nur noch übers Smartphone verfügbar sein – auch wenn der Patient vielleicht keines hat oder damit gar nicht umgehen kann. In Frankreich wurden gerade 500.000 Patientendateien gehackt und im Darknet angeboten.

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    Corona hin oder her – der App-Tsunami von Jens Spahn wird kommen. Moderne Technik, ja bitte. App statt Arzt, nein danke. Vielleicht sollte man erst einmal schauen, was nötig und sinnvoll ist. Das gilt auch für den Weg aus der Corona-Krise. Es wird nur mit den Praxisärzten funktionieren.

    Das Bundesgesundheitsministerium sollte mit denjenigen sprechen, die die echte medizinische Arbeit leisten, und das sind nicht die Telemedizinkonzerne. Zusammen mit international tätigen Onlineapotheken wollen sie den Hausärzten und Apothekern vor Ort richtig Konkurrenz machen – die Gesetze von Spahn machen es möglich. Druck auf Praxen und Apotheken, Apps und Callcenter-Medizin werden uns aber nicht aus der Krise führen. In den Arztpraxen brauchen wir unseren effizienten Workflow und Unterstützung für unsere Tätigkeit. Auch in der Corona-Krise.

    Dr. Silke Lüder, Fachärztin für Allgemeinmedizin, Delegierte der Ärztekammer Hamburg und Mitglied der Vertreterversammlung der KV Hamburg