Hamburg. Der medizinische Leiter des Impfzentrums, Dr. Dirk Heinrich, über Biontech und AstraZeneca, Privilegien für Geimpfte und Joggen.

100.548 – so viele Menschen wurden bislang hamburgweit gegen Corona geimpft. 50.023 von ihnen (Stand Wochenende) erhielten die Erstdosis des Corona-Vakzin bislang in Deutschlands größtem Impfzentrum in den Hamburger Messehallen. Dr. Dirk Heinrich ist hier der medizinische Leiter. Im Abendblatt zieht er eine Zwischenbilanz, spricht über den Impffortschritt und mahnt zu Besonnenheit.

Hamburger Abendblatt: Verläuft alles so, wie Sie sich das gedacht haben?

Dr. Dirk Heinrich: Es ist gelaufen wie geplant. Wir haben natürlich eine größere Kapazität, aber wir haben planmäßig alles verimpft, was wir verimpfen können. Die Strategie des Senats, Impfstoff für die zweite Impfung zurückzuhalten, wurde konsequent durchgeführt. Dadurch hatten wir für die Zweitimpfung den Impfstoff zur Verfügung und mussten nie Termine absagen oder verschieben.

Wie steht Hamburg beim Impfen bundesweit da?

Heinrich: Wir sind bei der Impfquote Spitzenreiter. Laut Robert-Koch-Institut liegt diese in Hamburg bei 5,4 Prozent (Anmerkung der Redaktion: Die Prozentzahl gibt den Anteil derjenigen an, die ihre erste von zwei Impfungen erhalten haben).

Wie kommt es zu dieser guten Position?

Heinrich: Wir hatten diese Wellen beim Impfen nicht, wir haben eben nie Termine absagen müssen und haben am Anfang nicht alles verimpft. Wir haben vor allem mit den mobilen Teams, die zu den Alten- und Pflegeheimen gefahren sind, viel erreicht. Wir hatten am vergangenen Freitag einen Meilenstein: Wir haben alle 149 Heime zweimal aufgesucht, das bedeutet, die Heime sind durchgeimpft. Diese Woche sind die Heime in Vollschutz.

Wie geht es weiter?

Heinrich: Die mobilen Teams suchen die Heime weiter auf. Die Menschen, die neu in die Pflegeeinrichtungen kommen, erhalten zeitnah ihre Impfung. Das wirkt sich sofort positiv auf die Belegung der Intensivstationen und auf die Sterberaten aus. Die Infektionszahlen aus den Heimen sind ja dramatisch gesunken. Und wir haben am Freitag damit angefangen, die Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen aufzusuchen und dort zu impfen.

Video: So funktioniert das Hamburger Impfzentrum

So funktioniert die Corona-Impfung in Hamburg
So funktioniert die Corona-Impfung in Hamburg

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    Wie lange brauchen Sie, bis die über 80-Jährigen geimpft sind?

    Heinrich: Da haben wir ein gutes Drittel durch. Wenn man davon ausgeht, dass sich 80 Prozent dieser Menschen impfen lassen, sind wir knapp bei der Hälfte. Es wird noch ein paar Wochen dauern, bis wir die über 80-Jährigen durchhaben.

    Waren Sie bei den ersten Planungen zum Impfzentrum davon ausgegangen, gleich genügend Impfstoff zu haben?

    Heinrich: Nein, wir wussten, dass wir langsam starten. Klar wollen wir mehr Impfstoff haben. Es wird aber wöchentlich mehr, und wir rechnen im April mit noch größeren Lieferungen, sodass es dann ausgeweitet werden kann.

    Corona-Impfung: Das unterscheidet Biontech und AstraZeneca

    Welche Impfstoffe werden hier verimpft?

    Heinrich: Das sind alle drei Impfstoffe. Biontech, Moderna und AstraZeneca: 500 Impf­dosen von AstraZeneca verimpfen wir täglich und 2000 Dosen von Biontech. Davon sind 1000 Erstimpfungen und 1000 Zweitimpfungen. Mit Moderna starten wir diese Woche. Die Zweitimpfungen für AstraZeneca kommen erst noch. Zwischen Erst- und Zweitimpfung müssen bei AstraZeneca neun Wochen liegen.

    Bleibt in Hamburg AstraZeneca-Impfstoff ungenutzt übrig?

    Heinrich: Nein, hier bleibt nichts übrig. Wir versuchen, am Ende des Tages eine Punktlandung hinzulegen. Und wenn abends noch zwei Spritzen dort liegen, gibt es eine Liste von Berechtigten, die wir anrufen. Diese werden dann damit geimpft. Nicht eine Impfdosis liegt im Stau. Das scheint bundesweit einmalig zu sein.

    Wann meinen Sie ist die arbeitende Bevölkerung zwischen 30 und 65 dran mit der Impfung?

    Heinrich: Frühestens im Sommer.

    Können irgendwann die Arztpraxen auch impfen?

    Heinrich: Eine breite Impfung in den Praxen wird es erst geben können, wenn massenweise Impfstoff da ist. Denn die Priorisierungsdebatte kann man nicht in die Anmeldung der Praxis verlegen. Impfstoffe von AstraZeneca oder Johnson & Johnson sind für die Praxen gut geeignet in der Handhabung.

    Wann sind die Kapazitätsgrenzen im Impfzentrum erreicht?

    Heinrich: Erst wenn massenhaft Impfstoff zur Verfügung steht. Die liegt dann bei 10.000 Menschen am Tag. Dann ist der Zeitpunkt gekommen und man könnte in die Praxen gehen. Vielleicht schon im Mai oder Juni. Aber das ist reine Spekulation.

    Wer meinen Sie wird als Nächstes geimpft werden?

    Heinrich: Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir besondere Patientengruppen, die am Anfang der Prio-2-Gruppe stehen, vorziehen. Zur Priorisierungsgruppe 2 gehören viele Gruppen mit Vorerkrankungen und die jünger sind als 65 Jahre. Diese können mit dem Astra-Impfstoff gut geimpft werden. Wir impfen ja bereits Menschen aus der Prioritätsgruppe 2, weil wir den Astra-Impfstoff haben. Den können wir bei den 70- oder 80-Jährigen nicht verwenden. Die brauchen Biontech oder Moderna. Die 70-Jährigen kommen nach den 80-Jährigen dran. Wie das gemacht wird, entscheidet die Behörde. Man wird sich Gedanken darüber machen müssen, wie die weitere Rangfolge in der nächsten Prioritätsgruppe aussehen wird.

    Helfen Impfungen beim Lockern des Lockdowns?

    Sind weitere Lockerungen mit dem Fortschreiten der Impfungen möglich?

    Heinrich: Wenn sich herausstellt, dass die Impfungen auch bei den Mutationen gut funktionieren und keine Viren von Geimpften in einem hohen Prozentsatz übertragen werden und wenn es eine entsprechend hohe Impfquote gibt, dann sind Lockerungen möglich.

    Was halten sie von Antigen-Schnelltests für Laien?

    Heinrich: Die Zulassung beruht nur auf der Selbstauskunft der Unternehmen, die diese Tests auf den Markt bringen. Ich möchte dazu immer unabhängige Untersuchungen sehen, mir nützt es nichts, wenn irgendeine Firma sagt, das sei getestet. Entscheidend ist die richtige Handhabung, und da habe ich bei Laien meine großen Zweifel.

    Ist es nicht übertrieben, dass Jogger und Spaziergänger Mundschutz tragen müssen?

    Heinrich: Die Sache ist noch nicht vorbei! Deswegen halte ich das immer dann für richtig, wenn die Abstände nicht eingehalten werden können. Das, was wir über die Mutationen wissen, ist noch zu wenig. Jetzt kann man sich auch noch einmal drei Wochen zurückhalten. Wir müssen das zarte Pflänzchen des Erfolgs hegen und pflegen. Ich war selbst bei sonnigem Wetter an der Alster. Wenn innerhalb von 30 Sekunden acht Jogger schwer atmend bei Windstille an Ihnen vorbeilaufen, dann haben Sie da eine Innenraumsituation, und die ist durchaus gefährlich. Am besten FFP2-Masken tragen. Bei der ansteckenderen Variante ist das auch im Freien nicht ganz ohne.

    Gibt es neue Untersuchungen zur Übertragung von Corona durch Geimpfte?

    Heinrich: Ja, es gibt vorsichtige positive Daten aus Israel und Großbritannien. Demnach wird eine Übertragung bei Biontech zu 90 Prozent verhindert. Wir wissen, dass diese Impfstoffe schwere Krankheits­verläufe verhindern. Das ist das Wichtigste!

    Das ist doch toll!

    Heinrich: Ja, schon. Aber ich bin vorsichtig, weil das immer gleich mit der Impfpass-Diskussion verbunden wird. Dann dürfen die Geimpften Dinge tun, die die anderen nicht tun dürfen. Ich weiß nicht, ob das für den gesellschaftlichen Zusammenhalt günstig ist. Und diesen brauchen wir momentan besonders.

    Sollte man mit Sonderrechten für Geimpfte warten, bis alle die Chance auf eine Impfung haben?

    Heinrich: Wir sollten damit warten, bis der Großteil der Bevölkerung ein Impfangebot gehabt hat. Der Druck wird sonst noch größer, wir werden Fälschungen von Impfpässen bekommen. Und das ist besonders gefährlich, weil die Leute möglicherweise infiziert sind und als geimpft gelten. Und wenn man solch einen Pass hat, wie gehe ich mit Menschen um, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können?

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    Was sind das für Menschen?

    Heinrich: Welche, die hochgradig allergisch auf Impfungen reagieren zum Beispiel. Wenn es eine Herdenimmunität gibt, ist das ja nicht mehr relevant.

    Herdenimmunität – was bedeutet das?

    Wann ist eine Herdenimmunität erreicht?

    Heinrich: Wenn 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sind.

    Impfen wir in Deutschland zu langsam? Israel und Großbritannien sind viel schneller.

    Heinrich: Die Leute sollen Ruhe bewahren und froh sein, dass wir Impfstoff haben. Hätte jemand im letzten April gesagt, in neun oder zehn Monaten haben wir einen Impfstoff und bauen ein Impfzen­trum, hätten wir gesagt: Träumerle! Und hier sitzen wir. Israel ist doppelt so groß wie Hamburg, das ist dann leichter, und die haben einfach gezahlt. Andere Länder haben egoistisch gehandelt: Die Amerikaner haben nur ihr eigenes Zeug gekauft und verkaufen weniger ans Ausland und die Briten auch. Die EU war fair und hat gesagt, wir machen das alle zusammen. Und: Die EU kauft Impfstoff und gibt den auch in die Entwicklungsländer. Wir sind doch nicht allein auf der Welt!