Der Bildersturm übereifriger Aktivisten macht die Welt nicht besser – sondern dümmer.

Kürzlich beim Ausmisten fiel mir ein altes T-Shirt in die Hände – es zeigt den Großrevolutionär Che Guevara, den ich einst über meinem Herzen trug. Ich war jung und revolutionär, und Che stand wie kaum ein anderer für eine radikale Veränderung der ungerechten Verhältnisse, unter denen die Völker Lateinamerika ächzten. Che war eine Ikone – Jean-Paul Sartre lobte ihn als den „vollständigsten Menschen unserer Zeit“.

Nun, heute sind wir etwas schlauer. Der vermeintliche „Christus mit der Knarre“ war auch ein Despot und Menschenschinder. Nach der Kubanischen Revolution ließ er Hunderte politische Häftlinge inhaftieren und ermorden. Manche Verräter, Deserteure oder Gefangene erschoss er eigenhändig, Schwule oder Dissidenten schickte er in Arbeitslager. Das tat seiner Wertschätzung keinen Abbruch. Die 68er vergötterten ihn wie auch den weit schlimmeren Despoten Mao Zedong. Dass schätzungsweise 45 Millionen Chinesen dessen „großen Sprung“ nicht überlebten, störte kaum jemanden.

Lenin: Statue für einen Massenmörder?

Kürzlich kam sogar der russische Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin zu Ehren. Seinem „roten Terror“ infolge der Oktoberrevolution fielen zwar Hunderttausende zum Opfer. Für die ziemlich verrückte Partei MLPD in Gelsenkirchen aber war sein Wirken Grund genug, eine zwei Meter hohe Statue für den Massenmörder aufzustellen.

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Und was schrieb der bis heute in Deutschland verehrte und mit Hunderten von Plätzen und Straßen geehrte Karl Marx in seinem Text „Zur Judenfrage“? „Welches ist der weltliche Grund des Judenthums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.“ Marx haben trotzdem fast alle gern. Linke genießen bei Bilderstürmern und Denkmalstürzern Welpenschutz.

Es gibt gute Gründe, das Bismarck-Denkmal für eine ästhetische Zumutung zu halten

Dafür geht es gegen das Bürgerliche, das Konservative, das vermeintlich „Deutsche“. In Hamburg steht nun Reichskanzler Bismarck 122 Jahre nach seinem Tod in der Kritik. Es gibt gute Gründe, das Riesendenkmal am Millerntor für eine ästhetische Zumutung zu halten – und auch viele Argumente, den Reichskanzler kritisch zu sehen. Aber der Furor, der einige Geschichtsdeuter treibt, darf durchaus Sorgen machen.

Der Hamburger Professor Jürgen Zimmerer ist derzeit fast zu einem Medienstar avanciert, weil er fordert, was viele Journalisten gerne hören: Er möchte das Bismarck-Denkmal wahlweise auf den Kopf stellen, niederlegen oder auf andere Weise dekonstruieren. Er hält Bismarck für den Politiker, der Deutschland auf den Weg geführt hat, der dann in dem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts gipfelte. Das ist schnell gehüpft, aber ist es auch weit gedacht?

Martin Luther war ein Antisemit

Der evangelische Pastor und Gedenkkultur-Experte Ulrich Hentschel kommt ebenfalls zu Wort und wird mit einer besonders radikalen Forderung in Zeiten der Aufmerksamkeitsökonomie allüberall zitiert. Er fordert, Bismarck den Kopf abzunehmen. Wo fängt das an? Wo hört es auf? Es ist ein gefährliches Spiel. Da könnte man auch in der evangelischen Kirche beginnen. Martin Luther war, bei all seinen Leistungen, ein Antisemit, der Juden für teuflisch hielt, sie verfolgen und vertreiben, ihre Synagogen niederbrennen wollte. Längst geht es nicht mehr nur um Bismarck. Die halbe Aufklärung gerät unter Generalverdacht. Der Historiker Michael Zeuske nennt Immanuel Kant einen Rassisten, Alexander von Humboldt gilt inzwischen als Kolonialist. Der kluge Kolumnist Theo Sommer sieht „Schmalspurgeschichtler und Abrissterroristen“ am Werke.

Tatsächlich verstehen viele nicht oder sie wollen es nicht verstehen, dass Figuren der Geschichte aus ihrer Zeit heraus verstanden werden müssen. Es gehört viel Selbstermächtigung und Selbstherrlichkeit dazu, über die Tugend verstorbener Größen zu richten – ein jeder ist Kind seiner Zeit, so wie die Bilderstürmer übrigens auch. Es ist wohlfeil und unhistorisch, mit den Maßstäben von 2020 über Menschen des 18. oder 19. Jahrhunderts zu richten. Es ist unredlich und anmaßend, mit ein paar Absätzen ganze Leben zu bewerten. Und es ist zwecklos, Denkmäler zu stürzen. Viel wichtiger wäre, mit Denkmälern zum Denken anzuregen – so wie es die Stadt nun mit dem Bismarck-Denkmal plant.

Übrigens: Mein Che-T-Shirt habe ich behalten. Nur anziehen werde ich es nimmermehr.