Das Bismarck-Denkmal erinnert an einen Mann, der Deutschland Einheit und Frieden brachte und Hamburg Wohlstand und Weltgeltung.

Politik sei Kampf, meinte einst Otto von Bismarck. Gut 120 Jahre nach seinem Tod entbrennt der von ihm entfachte Kulturkampf plötzlich neu. Gegner Bismarcks nutzen die „Black Lives Matter“-Bewegung dazu, um die Debatte über Deutschlands koloniale Vergangenheit mit dem Vorwurf des Rassismus anzuheizen. So wenig Zweifel daran bestehen kann, dass die Kolonialgeschichte diskutiert werden muss, weil ihre dunklen Kapitel lange ignoriert worden sind, so sollten Bilderstürme doch der Vergangenheit angehören.

Nicht anders denn befremdlich wirkt es, wenn der Ruf nach einer Verdammung der Kolonialgeschichte mit Verständnis für „Gewalt gegen Dinge“ verknüpft wird, wie jüngst im „Spiegel“-Gastbeitrag von Hedwig Richter, Professorin an der Universität der Bundeswehr in München. Einen besonderen Stein des Anstoßes bietet offenbar das Bismarck-Denkmal auf St. Pauli, das mit Mitteln des Bundes und der Stadt saniert und um eine historisch-kritische Ausstellung ergänzt werden soll. Schon fordern einschlägige Kreise die Abräumung, weil Bismarck Kolonialpolitik betrieben habe und ergo Rassist gewesen sei.

Hält dieses Urteil einer Prüfung stand? „Solange ich Reichskanzler bin, treiben wir keine Kolonialpolitik“, versicherte Bismarck 1881. Als 1882 im Reich ein regelrechtes Kolonialfieber ausbrach, glaubte er sich der Forderung der Imperialisten nicht entziehen zu können. Dies „zynisch“ zu nennen, wie Jürgen Zimmerer, Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg, es im Abendblatt tut, klingt merkwürdig. Bismarck war kein Ideologe, sondern Realpolitiker. Fernab von Kolonialenthusiasmus ging es ihm darum, den Schutz der Kaufleute zu sichern, wobei die Flagge dem Handel zu folgen hatte. Die Intensivierung der Kolonialpolitik betrieb er aus einem Bündel von Motiven, die vom Streben nach neuen Märkten über die nahenden Reichstagswahlen bis hin zur Sorge um sein Amt im Falle eines Thronwechsels reichten. Eine, wenn nicht die zentrale Rolle spielte der Erhalt des Friedens in Europa durch eine Unterstützung der französischen Kolonialinteressen. Höhe- wie Wendepunkt dieses Unterfangens war die Berliner Kongo-Konferenz 1884/85. Als sein Werben um eine „Kolonialehe“ mit Frankreich kurz darauf scheiterte, beendete Bismarck das koloniale Abenteuer abrupt.

Ihn „aus der Geschichte des deutschen Kolonialismus [zu] entfernen“ wäre, wie Jürgen Zimmerer zu Recht betont, historisch unredlich. Dass Bismarck „an entscheidender Stelle Weichen gestellt“ habe, die ein Jahrzehnt nach seinem Tod zum „Genozid“ gegen die Herero und Nama führten, kann jedoch nur behauptet werden, wenn man die These vertritt, dass irgendwie alles mit allem zusammenhängt. 1887 plädierte Bismarck sogar dafür, die Hereros mit Waffen auszurüsten, um durch sie das Schutzgebiet in Südwest-Afrika gegen Überfälle anderer Stämme zu sichern.

Was nun die Denkmäler betrifft, die ihm zu Ehren von Bürgern und Vereinen errichtet worden sind, galten sie weniger dem Kolonialpolitiker denn dem Reichsgründer und „ehrlichen Makler“, der Deutschland Einheit und Frieden gebracht hatte – und Hamburg Wohlstand und Weltgeltung. Dass Bismarcks politische Bilanz auch dunkle Schatten aufweist, ist allseits bekannt: ein Mann mit Widersprüchen in einer Epoche voller Umbrüche. Wenn Jürgen Zimmerer nun meint, einen Menschen nicht länger mit Denkmälern „feiern“ zu können, weil er 100 Jahre später nicht mehr unseren moralischen Ansprüchen genüge, stellen sich drei Fragen: Wo bleibt der Anspruch des Historikers, die Vergangenheit stets aus ihrer Zeit heraus zu bewerten? Wer bzw. was entscheidet über die moralische Integrität eines Vorbilds? Und kann ein möglicherweise moralisch angreifbarer Mensch wenn nicht gefeiert, so doch erinnert werden?

Es wirkt absurd zu glauben, man könne die von Zimmerer zu Recht kritisierte „koloniale Amnesie“ durch „Auslöschung“ von Denkmälern und Verbannung in Schulbücher, Hörsäle und „Fernsehdokus“ (Hedwig Richter) quasi heilen. Not tut vielmehr eine demokratische historisch-kritische Auseinandersetzung mit öffentlichen Bismarck-Orten, kein geschichtsvergessener Orwell’scher Clean Sweep unserer Gegenwart. Stets sollten wir dabei bedenken, dass unser heute moralisch einwandfrei wirkendes Tun schon morgen der Verdammung anheimfallen könnte. Der Zeitgeist ist ein unstetes Wesen.

Prof. Dr. Ulrich Lappenküper ist Geschäftsführer und Vorstand der Otto-von-Bismarck-Stiftung in Friedrichsruh.