Hamburg. Der HSV hat die große Chance, die Kultur des Vereins nachhaltig zu verändern. Dabei geht es nicht um Trainer oder Spieler.

Das „Manager Magazin“ hat vor wenigen Wochen einen Artikel über Klaus-Michael Kühne veröffentlicht. Es ging um dessen Logistik-Unternehmen Kühne + Nagel und das Krisenmanagement des 83-Jährigen während der Corona-Krise. Der Autor beschreibt Kühne als „Patriarchen“, der „Panik“ verbreitete, sich später aber wieder beruhigen sollte. Trotzdem würden in der Unternehmenszentrale im Schweizer Schindellegi Sorgen bestehen, dass es sich bei Kühnes „Eskapaden“ nicht um einen Ausrutscher gehandelt habe. Zudem schreibt der Autor von „berüchtigten Mails“, die Kühne frühmorgens versende.

Es sind Beschreibungen, die jedem HSV-Verantwortlichen der vergangenen zehn Jahre bekannt vorkommen dürften. So lange mischt Kühne nun schon im Hintergrund des HSV mit. Erst kürzlich erzählte ein ehemaliger Funktionär hinter vorgehaltener Hand, dass er noch eine dicke Mappe habe, die nur mit E-Mail-Auszügen des Investors gefüllt sei.

HSV: Wie groß soll der Einfluss Kühnes noch sein?

Warum ich das schreibe? Weil hinter den Kulissen des HSV aktuell mal wieder darüber gestritten wird, wie groß der Einfluss des Anteilseigners künftig noch sein soll. Der HSV-Aktionär (20,57 Prozent) ist zum einen gewillt, seine Anteile zu verkaufen. Den Vertrag über das millionenschwere Sponsoring des Stadionnamens hatte er nicht verlängert. Doch wer Kühne kennt, der weiß, dass er sich auch wieder von einem weiteren Engagement überreden lassen würde, wenn es der HSV denn will. Und der HSV ist gewillt, die Gespräche mit dem Milliardär wieder aufzunehmen. Geht es also am Ende doch wieder so weiter wie in den vergangenen zehn Jahren?

Wer sich mit HSV-Beobachtern dieser Tage über notwendige Veränderungen unterhält, hört immer von einer neuen Kultur, die innerhalb des Clubs Einzug erhalten müsse. Ein Wunsch, der nach nahezu jeder Saison der vergangenen Dekade geäußert wurde. Und in jedem Sommer wurde dann auch fast alles verändert: die Mannschaft, die Trainer, die Manager, die Stadionuhr.

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Der Kühne-Kreislauf hat den HSV dahin gebracht, wo er heute ist

Nur eines blieb neben Maskottchen Dino Hermann in jedem Jahr gleich: die Kultur. Und die sieht beim HSV so aus: vereinsinterne Machtkämpfe, Hinterzimmerpolitik, Postengeschachere. Und fast immer geht es dabei um die Frage: Wer hält den besten Draht zu Investor Kühne?

Zehn Jahre nachdem sich der Unternehmer jeweils 33 Prozent der Transferrechte an den Spielern Marcell Jansen, Dennis Aogo, Heiko Westermann, Paulo Guerrero und Lennard Sowah sicherte, hat der HSV in diesem Sommer eine große Chance. Er könnte tatsächlich ausbrechen aus dem nun schon zehn Jahre andauernden Kühne-Kreislauf, der den Club dahin gebracht hat, wo er heute steht.

Die Neuzugänge kommen aus Paderborn, nicht Barcelona

Er könnte tatsächlich einen neuen Weg gehen und nicht wie in jedem Sommer davon reden, um am Ende doch wieder die gleiche Nummer in Schindellegi zu wählen. Er könnte tatsächlich eine neue Kultur entwickeln, die etwas mit Leistungskultur zu tun hat und nicht mit einer Kultur von Seilschaften.

Man muss die Forderung der Ultragruppe „Castaways“ nicht teilen, die sich am Montag grundsätzlich gegen eine neue Vermarktung des Stadionnamens ausgesprochen hat. In einem Punkt haben die Anhänger aber recht: „Ziel muss es sein, wieder eigene, unabhängige Entscheidungen zu treffen und ein neues Selbstbild zu schaffen.“

Die vier Vorstandsvorsitzenden seit der Ausgliederung 2014 (Dietmar Beiersdorfer, Heribert Bruchhagen, Frank Wettstein, Bernd Hoffmann) wurden nicht müde zu betonen, dass die Entscheidungen beim HSV immer im Volkspark getroffen werden. Unabhängig waren sie dabei aber nie, wie man meist dann hörte, wenn Kameras und Mikrofone ausgestellt waren.

Will man beim HSV wirklich einen neuen Weg einschlagen, wird man sich zunächst daran gewöhnen müssen, dass die Neuzugänge Klaus Gjasula heißen und nicht Alen Halilovic und aus Paderborn kommen und nicht vom FC Barcelona. Das ist die Realität des HSV. Daran ist nicht Klaus-Michael Kühne schuld. Schuld sind diejenigen, die diese Abhängigkeit zugelassen haben. Es wäre an der Zeit, endlich einen neuen Weg zu gehen.