Hamburgs niedergelassene Mediziner sind in mehrfacher Hinsicht eine Risikogruppe. Und sie warnen. Gastbeitrag von Dr. Matthias Soyka.

Letzte Woche habe ich 1000 FFP2-Masken zum Preis von 8984 Euro gekauft. Vielleicht werden sie am Ende der Woche auch geliefert. Die Bestellung über meinen Berufsverband ist nicht nur für mich und meine Praxisgemeinschaft, sondern auch für andere Kollegen gedacht. Aus Angst vor Einbrüchen können wir diese Masken nicht in der Praxis lagern. Denn ein Preis von 7,55 + MWSt ist momentan eher ein Schnäppchen.

Die Preise für FFP 2 Masken liegen teilweise bei 20 Euro, statt wie sonst bei wenigen Cent. Im Kampf gegen Viren sind sie allerdings nur die zweite Wahl, man bräuchte eigentlich FFP3 Masken – und die sind zurzeit überhaupt nicht zu bekommen.

Coronavirus: So werden Arzt-Praxen gesichert

Außerdem haben wir Plexiglasscheiben aufgestellt, um uns und die Patienten zu schützen, den gesamten Praxisablauf umgestellt und alle Hygienemaßnahmen noch einmal überprüft und verschärft. Wir streben an, dass für die Patienten, die ärztliche Hilfe benötigen, unsere Praxen der „sicherste Ort nach ihrem Wohnzimmer“ werden soll.

Dafür haben wir unsere Patienten aufgerufen, nur noch mit dringenden Beschwerden zu uns zu kommen, damit nicht zu viele Patienten gleichzeitig in der Praxis sind. Das neue Einlagenrezept kann auch ein paar Tage warten. Wir empfehlen denjenigen, die kommen, mit einer (selbst)genähten Schutzmaske zu erscheinen, um sich und andere etwas mehr zu schützen. Für die dringend behandlungsbedürftigen Patienten ist somit besser gesorgt.

Die aktuellen Fallzahlen in Deutschland und weltweit

Politik lässt die Praxisärzte allein

Wir niedergelassenen Ärzte behandeln die kleineren Gesundheitsstörungen und retten den Bürgern so ein Stück ihrer Normalität und Lebensqualität. Und wir halten auf diese Art und Weise den Krankenhäusern den Rücken frei für die schwer erkrankten Patienten mit und ohne Coronavirus.

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Bei all diesen Bemühungen lässt uns die Politik allein. Wenn die Praxen der niedergelassenen Ärzte ihren Betrieb wie von der Regierung empfohlen „herunterfahren“ führt das zu Umsatzeinbußen. Das Ganze wird noch dadurch verstärkt, dass die Einnahmen wegbrechen, die den Praxen in normalen Zeiten das Überleben sichern. Für viele Praxen ist es wie bei uns: Die normalen „Kasseneinnahmen“ decken gerade einmal die Betriebskosten. Ein Überschuss, von dem man leben kann, entsteht nur durch Zusatzeinnahmen wie Vorsorgeuntersuchungen, Privatpatienten oder Selbstzahler. All das wird jetzt weniger.

Darum ist die Pandemie in Deutschland nicht so schlimm

Wenn diese Situation über längere Zeit besteht, wird es zu Insolvenzen und Praxisschließungen kommen. Dann bricht die wichtige ambulante Säule des Gesundheitssystems ein. Und das wäre in der jetzigen Pandemie-Situation fatal. Denn nur wegen unserer guten ambulanten und stationären Infrastruktur ist bei uns die Situation im Moment noch besser als in anderen Ländern.

Die Kliniken haben längst eine Hilfszusage von zehn Milliarden erhalten. Angeblich soll auch den Praxen geholfen werden. Doch, wenn man sich das alles genauer ansieht, werden die Praxen auf ihren Kosten sitzenbleiben. Mit allerlei Tricks und Geldverschiebungen innerhalb der verschiedenen Budgets wird nur ein kleiner Teil des Defizits ausgeglichen werden.

Spahn drückt sich um klare Aussagen

Gesundheitsminister Jens Spahn drückt sich um eine klare Zusage wie bei den Kliniken. Er müsste stattdessen eine klare Zusage einer Summe geben, die für die ambulante Säule des Gesundheitswesens zusätzlich bereitgestellt wird. Und diese Summe dürfte nicht unter sechs Milliarden liegen.

Zudem sind die Kosten der Ärzte bei fallenden Umsätzen rapide gestiegen. Der Grund ist die erwähnte Mangelsituation bei Schutzanzügen und Masken. Wir niedergelassenen Ärzte tragen wegen dieses Mangels nicht nur ein wirtschaftliches, sondern auch ein hohes persönliches Risiko.

Ärzte sind Risikogruppe – in mehrfacher Hinsicht

Denn ein Großteil der deutschen Ärzte ist älter als fünfzig. Sie gehören damit zu der Gruppe von Menschen, die eine erhöhte Sterblichkeitsrate durch Covid-19 haben. Viele von ihnen sind chronisch überarbeitet und nicht wenige haben auch Vorerkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes. Auch das sind weitere Risikofaktoren dafür, diese Epidemie nicht zu überleben.

Uns jetzt ohne ausreichende Schutzkleidung arbeiten zu lassen, ist unverantwortlich.

Denn es werden dadurch die Stützen des Gesundheitssystems in eine gefährliche Situation gebracht. Der Ausfall der Behandler gefährdet die medizinische Versorgung der Bevölkerung. Zusätzlich werden Bewohner in Altersheimen direkt in Gefahr gebracht. Wenn ein Arzt sich mangels ausreichender Schutzkleidung mit dem Coronavirus infiziert hat und danach seinen wöchentlichen Rundgang durch ein Altenpflegeheim macht, wird er selbst zum „Superspreader“, zum Verteiler der Viren, deren Opfer vor allem die Alten und Schwachen werden.

Schutzmasken: Früher Einkauf abgelehnt

Viele Ärzte haben den Eindruck, dass der Gesundheitsminister für die niedergelassenen Ärzte nicht unbedingt eine Fürsorgeverpflichtung empfindet. Auch andere Beschäftigte im Gesundheitswesen fühlen sich verheizt (und nebenher gilt das auch für Kassiererinnen und andere, die jetzt ohne Masken die Stellung halten).

Jetzt wird ein neues Infektionsschutzgesetz verabschiedet, das dem Gesundheitsminister weitreichende Macht gibt. Ich bin nicht nur besorgt über diese Machtfülle. Ich bin auch nicht sicher, dass der Minister diese Macht gut nutzen wird. Denn das tat er zumindest in der Vergangenheit nicht. Selbst als die Pandemie sich schon abzeichnete, kümmerte er sich noch mehr um seine Digital-Vorlieben als um die nötigen Schutzmaßnahmen.

Minister Spahn wurde schon Anfang Februar von Schutzmasken-Händlern auf Ausverkäufe und die drohende Mangelsituation hingewiesen. Damals hätte man noch kaufen können. Doch das Gesundheitsministerium handelte nicht.

Nach Ansicht der Kanzlerin soll Jens Spahn „einen guten Job“ machen. In der Öffentlichkeit wurde er schon mit Gerhard Schröder verglichen.

Aber was würde man heute über Schröder denken, wenn beim Elbehochwasser schon nach einem Tag die Sandsäcke gefehlt hätten?

Dr. Matthias Soyka ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Physikalische und Rehabilitative Medizin in Hamburg-Bergedorf